Arglosigkeit und Betrug:Getäuscht und mitschuldig

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Das Augustinum in Hamburg. Ein Gutachten der Münchner Staatsanwaltschaft wirft dem Unternehmenschef und dem Aufsichtsrat schwere Versäumnisse vor. (Foto: Bodo Marks/dpa)

Ein Gutachten der Staatsanwaltschaft sagt, dass der Chef des Sozialkonzerns, Markus Rückert, dubiosen Immobiliengeschäften blauäugig zustimmte und damit seine Einrichtung in die Krise stürzte.

Von Klaus Ott

Markus Rückert ist ein gottesfürchtiger Mann, der als evangelischer Pfarrer im Münchner Stadtviertel Pasing und vor allem als Chef des Augustinums, eines deutschlandweit tätigen Sozialkonzerns, schon viel Gutes getan hat. Der Seelsorger mit der barocken Figur kümmert sich um Junge und Alte, um Kranke und Behinderte; er kümmert sich um alle, die Schulen, Heime und Beistand brauchen. Das christlich geprägte Augustinum mit seinen vielen Senioren-Stiften, zwei Sanatorien, einer Klinik, Behinderten-Einrichtungen, Schulen und Internaten ist das Lebenswerk von Rückerts Familie.

Ausgerechnet dort ist der Kirchenmann aus Pasing nach eigener Darstellung unter die Räuber gefallen. "Hürden des Anstands" seien in schamloser Weise gerissen worden, klagt Rückert und meint jene Immobiliendeals in Höhe von insgesamt 728 Millionen Euro, mit denen die gemeinnützige Unternehmensgruppe die eigene Zukunft und den Alterssitz von 7400 Bewohnern in den Stiften sichern wollte.

231 Millionen Euro für die Verwaltung der Stifte - praktisch ohne besondere Gegenleistung

Was als glänzendes Geschäft gedacht war, bereitet dem Augustinum und seinem Chef nur noch Verdruss und Missbehagen. Neuerdings wohl mehr denn je, denn jetzt hat die in dieser Causa seit Langem tätige Staatsanwaltschaft München I ein Bußgeldverfahren gegen Rückert eingeleitet. Der Geistliche ist möglicherweise nicht nur Opfer, in einem grotesken Kriminalfall, wie er das selbst sieht. Er ist offenbar selbst auch mit schuld daran, dass der Sozialkonzern von eigenen, abtrünnigen Führungskräften und gerissenen Geschäftspartnern übel ausgenommen worden sein soll. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen mehrere Verdächtige, teils wegen Betrugs, teils wegen Veruntreuung von Firmenvermögen oder Korruption. Nun kommt das Bußgeldverfahren ausgerechnet gegen Rückert hinzu.

Die Ermittler glauben, dass der Kirchenmann und Konzernchef seine internen Aufsichtspflichten vernachlässigt habe und dass sich das Augustinum auch deshalb auf einen äußert nachteiligen Handel mit 14 der 23 Senioren-Stifte einließ. Einen Handel, der die gemeinnützige Unternehmensgruppe tief in die roten Zahlen führte. 32,8 Millionen Euro Verlust, so lautet die Bilanz für 2014. Das ist viel Geld für einen Sozialkonzern mit 338,5 Millionen Euro Gesamtumsatz.

Rückert ärgert sich, so steht es im Geschäftsbericht, über ein "verlorenes Jahr". Im schlimmsten Fall für das Augustinum könnten weitere verlorene Jahre folgen. Dann nämlich, wenn man aus den Verträgen nicht herauskäme, mit denen eine kleine Firma aus Hamburg und Schleswig-Holstein namens Nordic Kontor (NK) die 14 Stifte in München-Nord, Heidelberg, Bonn, Dortmund, Kassel und anderswo übernommen und sogleich an den Sozialkonzern zurückvermietet hat.

Die vielfach auch von Rückert unterschriebenen Verträge sollen so gestaltet sein, dass die NK in den dreißig Jahren Laufzeit 231 Millionen Euro "Verwaltungsgewinnspanne" erzielen würde, ohne dafür viel tun zu müssen. So steht es in einem Gutachten, das die Münchner Staatsanwaltschaft bei Hubert Oppl aus Kempten im Allgäu in Auftrag gegeben hat, einem Fachmann für Sozial-Immobilien. Oppl geht in seiner 122-seitigen Expertise hart ins Gericht mit Geschäftsführung und Aufsichtsrat des Augustinums, inklusive Rückert. Die größten Fehler: blindes Vertrauen, grenzenlose Naivität, fehlende Kontrollen.

Das gemeinnützige Unternehmen, glaubt der Gutachter, sei mit der Abwicklung der Immobiliendeals von Anfang an überfordert und ungeeignet gewesen. Diese Kritik könnte erklären, warum das Augustinum in den vergangenen Jahren, vor allem auf Betreiben des damaligen Aufsichtsratschefs Artur Maccari, der Mini-Firma NK die Mehrzahl der Stifte überlassen hat, einer Klitsche ohne viel Kapital, die das Geld für die Stifte-Deals auch noch als Kredit vom Augustinum bekam.

Nach Erkenntnissen der Ermittler hat der inzwischen verstorbene Maccari, ein Anwalt aus Schwaben, bei den Deals heimlich in die eigene Tasche gewirtschaftet, angeblich teils zusammen mit einem früheren Mitgeschäftsführer des Augustinums, Kurt Wilkin, was der bestreitet. Rückert behauptet, von den mutmaßlichen Straftaten der eigenen "Organträger" Maccari und Wilkin sei weder drinnen und draußen "etwas zu bemerken" gewesen. Das mag sein. Aber im Augustinum selbst war nach Auffassung des Gutachters auch einiges nicht in Ordnung.

Der Geschäftsführung habe völlig der Überblick gefehlt über das Immobiliengeschehen, betont Oppl. Die Verantwortlichen hätten Aufsichtsratschef Maccari faktisch ohne Kontrolle zahlreiche Aufgaben überlassen, die gar nicht dessen Job gewesen seien. Das gelte besonders für die Immobilien. Der Gutachter rügt noch mehr: Die Kontrollfunktion des Aufsichtsrats sei "ausgehebelt" gewesen. Die notwendigen Grenzen zwischen Geschäftsführung und Aufsichtsrat hätten teilweise gar nicht bestanden. Man sei in beiden Organen dem Aufsichtsratschef Maccari "blind gefolgt", bescheinigt der Gutachter dem Augustinum. Was der Experte vorgefunden hat, entlastet andererseits Maccari nicht. Der damalige Aufsichtsratschef hätte bestimmt ebenso wie Wilkin, die beiden NK-Betreiber und andere Verdächtige ein Aktenzeichen und ein Verfahren bei der Staatsanwaltschaft bekommen, wäre er nicht Anfang 2014 gestorben.

Der Manager hatte die fragwürdigen Verträge vor der Unterschrift gar nicht gelesen

Das Augustinum hatte gehofft, mit den Senioren-Immobilien auch deren Risiken losgeworden zu sein, bis hin zum Abbruch alter Häuser. Liquidität und Eigenkapital sollten erhöht werden. Doch das war nur ein Traumgebilde, wie der Gutachter urteilt. Der Sozialkonzern sei, um diese Ziele zu erreichen, vom guten Willen der neuen Inhaber abhängig. Zudem hatte das Augustinum bei Abschluss der Verträge fragwürdige Zahlungen in Höhe von bis zu 70 Millionen Euro für angebliche Nebenkosten leisten müssen. Ein Teil des Geldes floss nach Erkenntnissen der Ermittler auf Umwegen an Aufsichtsratschef Maccari. Erst nach Maccaris Tod Anfang 2014 und einem anonymen Hinweis, sich die Immobilien-Geschäfte genauer anzuschauen, ging Rückert ein Licht auf. Wenig später musste Wilkin gehen. Aber da hatte der Augustinum-Chef, im Vertrauen auf Maccari und Wilkin, viele Immobilienverträge längst unterzeichnet.

Die Abkommen seien "exzessiv" erwerberfreundlich gestaltet, schreibt der Gutachter. Das Augustinum trage auch nach der Übereignung der 14 Senioren-Stifte weiter alle Lasten und Kosten. Sämtliche Vorteile seien bei Nordic Kontor gebündelt. Rückert hat es offenbar gehalten wie einst Franz Beckenbauer bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006: einfach mal unterschreiben. Bei einer Zeugenvernehmung durch die Münchner Kriminalpolizei im Herbst 2014 sagte der Augustinum-Chef, er habe diverse Immobilienverträge zwar unterzeichnet, zusammen mit seinem Co-Chef Wilkin. Er gebe aber durchaus zu, dass er die Abkommen nicht durchgelesen habe, weil er dem Aufsichtsratschef Maccari immer vertraut habe.

Maccari, der sich Senator nannte, sei hervorragend vernetzt gewesen, bis in die Regierung von Baden-Württemberg, berichtete Rückert den Ermittlern. Zudem habe der schwäbische Anwalt mit Beziehungen zu nobler Kundschaft kokettiert. So kann man sich täuschen.

Rückert und das Augustinum sind dennoch zuversichtlich, bald wieder Eigentümer aller Stifte zu sein. Außerdem habe man mit der Bilanz 2014 die "größtmögliche Risikovorsorge" getroffen und gehe davon aus, bei den Immobiliendeals künftig "frei von weiteren Verlusten" zu sein, teilt der Sozialkonzern mit. Dass die Staatsanwaltschaft prüfe, ob Rückert als Geschäftsführer das Unternehmen ungenügend organisiert und damit eine Ordnungswidrigkeit begangen haben könnte, sei ein "vollkommen normaler Vorgang".

Vor Monaten hatte die Staatsanwaltschaft schon einmal einen Verdacht gegen den Augustinum-Chef, weil der Konzern einem Bauunternehmer aus Maccaris Umfeld eine Restschuld erlassen hatte. Ein Ermittlungsverfahren gegen Rückert wegen Untreue wurde nach Angaben des Sozialkonzerns mangels Schuld inzwischen eingestellt. Nun läuft das Bußgeldverfahren; das Gutachten für die Staatsanwaltschaft gibt dafür eine Menge her. Die Expertise liege dem Augustinum nicht vor, daher könne man sich nicht dazu äußern, schreibt der Konzern.

© SZ vom 08.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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