Argentiniens Schuldenkrise:Kampf den Geierfonds

Cristina Fernandez de Kirchner

Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner macht gierige Hedgefonds verantwortlich für den Staatsbankrott Argentiniens.

(Foto: dpa)

Finanzdesaster kommen so regelmäßig über Argentinien wie Naturereignisse. Staatschefin Kirchner schiebt den Spekulanten die Schuld dafür zu, dass das Land Ende Juli für teilweise zahlungsunfähig erklärt wurde. Ihre Beliebtheit wächst, doch die Bevölkerung resigniert.

Von Peter Burghardt, Buenos Aires

Argentinien hat sich nicht groß verändert, seit mal wieder von einer Pleite die Rede ist. Ende Juli war das südamerikanische Land für teilweise zahlungsunfähig erklärt worden, weil ein US-Richter verhinderte, dass Gläubiger fristgerecht bedient werden konnten. Weltweit machte die Meldung die Runde, dass am Río de la Plata wie so oft das Geld ausgegangen sei. Statistiker ermittelten den achten Zahlungsausfall (default) der argentinischen Geschichte seit 1827. Doch mit dem Zusammenbruch von 2001/2002 hat die aktuelle Krise bislang wenig gemein, obwohl sich Bewohner und Interessenten fragen, wie dieses Duell zwischen Buenos Aires und New York enden wird.

Damals stellte die Regierung den Schuldendienst ein, Argentinien war bankrott. Präsidenten stürzten in Serie, Privatkonten wurden eingefroren und Pesos abgewertet, Sparer verloren ihre Guthaben. Unternehmer gaben auf, Jobs gingen verloren, Millionen Argentinier verarmten, Hunderttausende wanderten aus. "Que se vayan todo", rief das Volk bei blutigen Demonstrationen, alle Politiker sollten verschwinden. Die theoretisch so reiche Republik stürzte ab, ehe dank eines billigen Peso und hoher Nachfrage nach Rohstoffen ein erstaunlicher Aufschwung begann. Nach mehr als zehn Jahren Wachstum ist der Boom inzwischen der Rezession gewichen, aber die aktuellen Engpässe sind nur ein Schatten und eine Spätfolge des neoliberalen Crashs.

Diesmal wird vorläufig nicht mehr protestiert, blockiert und gestreikt als gewöhnlich. Im pinkfarbenen Präsidentschaftspalast Casa Rosada regiert nach wie vor die Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner, ihr 2010 verstorbener Mann und Vorgänger Néstor hatte die Familienherrschaft 2003 eröffnet. Viele Cafés und Restaurants sind voll, am Flughafen stehen enorme Schlangen vor der Passkontrolle. Lokale und Geschäfte schließen, andere machen auf. Wie gehabt.

Das generelle Durcheinander der späten Ära Kirchner

So geht das schon länger, die unübersichtliche Lage liegt am generellen Durcheinander der späten Ära Kirchner. Die Subventionen sowie die Kosten für Energieimporte, die wiederverstaatlichte Fluggesellschaft Aerolineas Argentinas und den Ölkonzern YPF sind gewaltig. Die Inflation von mehr als 30 Prozent frisst Lohnerhöhungen auf und treibt Preise und Mieten in die Höhe. Dollar sind wegen bizarrer Devisenbeschränkungen vor allem in Hinterzimmern zu kriegen und dort 50 Prozent teurer als offiziell. Der 100-Peso-Schein, einst 100 Dollar wert, wird als größte Währungseinheit auf dem Schwarzmarkt für kaum acht Dollar gehandelt. Importe brauchen langwierige Genehmigungen. Es ist alles recht kompliziert. Das nervt die Bevölkerung, auch die Armut nimmt wieder zu.

Viele der 40 Millionen Argentinier wissen zwar, dass es ihnen trotz allem deutlich besser geht als nach dem Konkurs vor bald 13 Jahren. Wütend bis resigniert allerdings nehmen sie zur Kenntnis, dass in etwa jeder Dekade ein Finanzdesaster über sie hereinbricht - wie ein Naturereignis. Der gegenwärtige Schuldenstreit belebt dabei ein altes Trauma, löst indes vornehmlich Verwirrung aus und entzweit die Gemüter.

Was der "default" eigentlich bedeutet

Was genau bedeutet dieser "default"? Was passiert als Nächstes? Zunächst ist Argentinien ja keineswegs in Konkurs. 93 Prozent der Gläubiger hatten 2004 und 2010 einer Umschuldung mit Abschlägen von fast drei Vierteln zugestimmt, die Zinsen ihrer Papiere wurden bis zuletzt pünktlich überwiesen. Sieben Prozent der Investoren dagegen beharren auf den vollständigen Wert ihrer seinerzeit spottbilligen Ramschpapiere, das sind die "Holdouts". Dazu gehören Hedgefonds des US-Milliardärs Paul Singer. Sie fordern zunächst 1,75 Milliarden Dollar. Der konservative US-Richter Thomas Griesa sowie der Oberste Gerichtshof verfügten, dass auch die übrigen Anleger nicht bezahlt werden dürfen, bis diese Summe nicht beglichen sei. So sperrte die US-Justiz jene Raten, die Argentinien den Besitzern seiner umstrukturierten Schuldscheine termingemäß auf ein US-Konto hinterlegt hatte, daher der technische Zahlungsausfall.

Argentinien hätte die 1,75 Milliarden Dollar natürlich. Die Devisenreserven sind erheblich geschmolzen, betragen aber noch 29 Milliarden Dollar. Doch würden diese Hedgefonds bezahlt, dann kämen vermutlich die nächsten Forderungen daher. Und endgültig zu teuer würde es möglicherweise wegen einer Klausel, die auch den umgeschuldeten Investoren einen gleichberechtigten Nachschlag garantiert, falls andere Teilhaber mehr bekämen. Der Passus allerdings läuft Ende dieses Jahres aus, derweil spielt das Kabinett Kirchner noch auf Zeit und bläst zur Rebellion.

Für Kirchner sind Hedgefonds nur noch "Geierfonds"

Die Präsidentin Fernández de Kirchner und ihr junger Wirtschaftsminister Axel Kicillof nennen die gierigen Hedgefonds längst nur noch "Geierfonds". Vor dieser Attacke hatten die Amerikaner bereits das argentinische Segelschulschiff Libertad in einem ghanaischen Hafen festsetzen lassen und versucht, Präsidentenmaschine und Dinosaurier-Sammlung zu pfänden. "Patria o buitres" lautet unterdessen das Motto der Regierung, "Vaterland oder Geier". Das erinnert in Ansätzen an den aufflammenden Patriotismus im Krieg um die Falklands alias Malvinas während der argentinischen Militärdiktatur 1982.

Die Beliebtheit der Staatschefin Fernández de Kirchner stieg im Zuge des Widerstands auf mutmaßlich 40 Prozent, es geht auch um das Überleben ihres sterbenden Projektes: Bei den Wahlen 2015 darf die Amtsinhaberin laut Verfassung nicht mehr antreten, ein Verbündeter soll die Macht retten. Gegner wie die Zeitung La Nación warnen vor den "hohen Kosten einer ideologischen Laune". Argentinien hatte sich mit dem Pariser Club und dem enteigneten spanischen Ölkonzern Repsol geeinigt, doch nun schwinden wieder die Aussichten auf eine Rückkehr an die Kreditmärkte. Inzwischen klagt Argentinien sogar vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag gegen die US-Entscheidung, obwohl Néstor Kirchner dem Gerichtsstandort New York einst zugestimmt hatte.

Jenseits der Hochfinanz findet sich ohnehin wenig Sympathie für die Raubvögel aus Manhattan. Richter Griesa und Anleger Singer hätten großen Schaden angerichtet, findet der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz. Insolvente Schuldner bräuchten einen Neustart, doch diese Hedgefonds seien keine langfristigen Investoren, sondern Spekulanten. "Sie haben eine Bombe auf das Finanzsystem geworfen."

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