Argentinien:Kredit für 100 Jahre

Argentinien: Kinder an der Essensausgabe: Die bislang letzte Staatspleite Argentiniens ist zwar beigelegt, trotzdem geht es nicht allen Menschen wirtschaftlich gut. Die Kapitalmärkte allerdings scheinen dem Land wieder zu trauen.

Kinder an der Essensausgabe: Die bislang letzte Staatspleite Argentiniens ist zwar beigelegt, trotzdem geht es nicht allen Menschen wirtschaftlich gut. Die Kapitalmärkte allerdings scheinen dem Land wieder zu trauen.

(Foto: Natacha Pisarenko/AP)

Die jüngste Staatspleite wurde erst 2016 überwunden - nun scheint Argentinien frisches Vertrauen der Kapitalmärkte zu haben. Internationale Geldgeber zeichnen eine Jahrhundertanleihe in Milliardenhöhe. Wer geht so ein Risiko ein?

Von Markus Zydra, Frankfurt

Es bedarf einer soliden Vertrauensbasis, bevor man sein Erspartes an jemanden für den Zeitraum von 100 Jahren verleiht. Mit wem würde man ein solches Kreditgeschäft tatsächlich eingehen? Mit seinen Eltern, dem Bundesfinanzminister oder sogar Argentinien?

Das südamerikanische Land hat Anfang der Woche erstmals eine Jahrhundert-Anleihe begeben. Die argentinische Regierung nahm 2,7 Milliarden Dollar auf und bezahlt dafür pro Jahr 7,9 Prozent Zinsen. Das bedeutet: bis ins ferne Jahr 2117. Wer ein Gefühl dafür entwickeln möchte, wie sich die Welt bis dahin verändert haben könnte, dem sei ein historischer Blick zurück ins Jahr 1917 empfohlen.

Wer vergibt solche Kredite? Es sind vor allem Versicherungskonzerne und Pensionskassen, die Interesse an diesen langlaufenden Wertpapieren haben. Die Rendite der argentinischen Staatsanleihe ist mit knapp acht Prozent sehr attraktiv in diesen Nullzinszeiten. In zwölf Jahren, so die Kalkulation, hätten Investoren durch die Zinserträge ihren Einsatz wieder eingespielt. Danach würde man für heutige Verhältnisse viel Geld verdienen. Diese institutionellen Investoren, wie man sie nennt, mögen eine gewisse Planungssicherheit bei ihren Zinserträgen.

Doch wie sicher ist diese Anleihe wirklich? Der hohe Zins verrät schon, dass die Ausfallrisiken beträchtlich sein müssen. Immerhin musste der argentinische Staat in den vergangenen 200 Jahren sieben Mal den Offenbarungseid leisten, davon drei Mal in den letzten 23 Jahren, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg.

Die jüngste Staatspleite ereignete sich im Jahr 2001. Betroffen waren Staatsanleihen im Wert von 95 Milliarden Dollar. Der juristische Streit zwischen argentinischer Regierung und einigen Hedgefonds um diesen Zahlungsausfall ist erst im vergangenen Jahr beigelegt worden. Vorher war das Land vom internationalen Kapitalmarkt praktisch abgekoppelt. Doch jetzt scheint Argentinien an den internationalen Finanzmärkten wieder salonfähig zu sein. "Argentinien hat die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Welt wiedergewonnen", sagte Finanzminister Luis Caputo in einer Stellungnahme. Die erfolgreiche Kreditaufnahme gilt der Regierung als Symbol dafür, dass Argentinien in die Finanzwirtschaft zurückgekehrt ist.

Grundsätzlich fristen Jahrhundertanleihen an den Börsen ein Nischendasein. Oft begeben Staaten diese Papiere erst, wenn Investoren konkret danach fragen. Irland borgte sich vergangenes Jahr im Rahmen einer solchen Privatplatzierung 100 Millionen Euro. Auch diese Anleihe hat eine Laufzeit von 100 Jahren - das ist länger, als der irische Staat politisch unabhängig ist. In Europa begab auch Belgien jüngst eine Jahrhundertanleihe. In den Schwellenländern taten es die Regierungen von Mexiko und den Philippinen. China platzierte im Jahr 1996 eine Anleihe mit einer Laufzeit von 100 Jahren. Auch manche Großkonzerne, wie die brasilianische Petrobras, die französische EDF und der amerikanische Medienkonzern Disney, haben solche Bonds begeben. Häufig sehen die Vertragsklauseln vor, dass die Schuldscheine vorzeitig getilgt werden dürfen.

Großbritannien hat zwischen 1853 und 1946 sogenannte "ewige" Anleihen begeben. Diese Schuldscheine lösten damals Wertpapiere ab, die sogar bis ins 18. Jahrhundert zurückreichten. Diese Anleihen hätten theoretisch niemals getilgt werden müssen und für die Kreditgeber auf ewig einen Zinsertrag abgeworfen. Vor dem Zweiten Weltkrieg war das üblich, erst danach setzten sich feste Laufzeiten durch. Die britische Regierung machte 2015 von ihrem Recht Gebrauch, die letzte im Markt befindliche "ewige" Staatsanleihe zu kündigen und zu tilgen.

Das Interesse an der argentinischen Jahrhundertanleihe ist auch Ausdruck der gestiegenen Risikobereitschaft an den internationalen Börsen, wo die Aktienpreise schon sehr hoch sind. Zudem werfen die meisten anderen Staatsanleihen kaum etwas ab, bei manchen Bundesanleihen legen Anleger sogar Geld drauf.

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