Arcandor-Insolvenz:Die Geschichte des Herrn Sommer

Pikante Enthüllungen von Noch-Vorstand Marc Sommer: Die ehemalige Arcandor-Führung wollte den Konzern zerschlagen - und so Quelle retten.

Stefan Weber

Airport Office I ist ein halbzylinderförmiger Bürobau an der Peter-Müller-Straße in unmittelbarer Nähe des Düsseldorfer Flughafens. Das Gebäude steht leer, obwohl es seit der Fertigstellung im Frühjahr 2008 einen Mieter gibt: Der Arcandor-Konzern hat Airport Office I heimlich angemietet und lange Zeit jeden Monat mehrere zehntausend Euro Miete überwiesen. Ziel war es gewesen, den Firmensitz von Essen nach Düsseldorf zu verlegen. Und wenn alles gut gegangen wäre, wenn Arcandor nicht in die Insolvenz geschliddert wäre, dann würde Marc Sommer jetzt vermutlich in der obersten Etage des Airport Office hinter einer schicken Fassade aus Glas und Naturstein sitzen und einen großen Versandkonzern dirigieren.

Marc Sommer, Foto: dpa

Ehemaliger Arcandor-Manager Sommer: "Es war klar, dass Karstadt an Metro abgegeben wird."

(Foto: Foto: dpa)

Denn mehr als das Versandgeschäft mit Quelle und einem bunten Strauß von Spezialversendern, das der damalige Arcandor-Chef Thomas Middelhoff in eine Partnerschaft mit dem französischen Versender Redcats einbringen wollte, sollte von dem Handels- und Touristikkonzern nicht übrig bleiben, sagt Marc Sommer heute. Die Beteiligung am Reisekonzern Thomas Cook, so der Plan, sollte verkauft werden: "Mit dem Erlös hätte der Konzern seine Schulden begleichen können."

Im Herbst 2008, als solche Gerüchte die Runde machten, hatte das ganz anders geklungen. Thomas Cook, so hieß es damals in Essen, sei fester Bestandteil des Konzerns. Auch bei der Zukunftsplanung für das Warenhausunternehmen Karstadt sei das Management, wie Marc Sommer nun erzählt, damals sehr viel weiter gewesen, als offiziell gesagt wurde: "Es war klar, dass Karstadt an Metro abgegeben wird."

Doch aus diesen Plänen ist nichts geworden. Und so arbeitet Sommer, 46, nach wie vor im schmucklosen Verwaltungsbau von Arcandor an der Theodor-Althoff-Straße in Essen. Er ist der letzte im Amt verbliebene Vorstand von Arcandor. Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg hat ihn gebeten, noch eine Weile zu bleiben, weil er vom Versandgeschäft eine Menge versteht und weil er von vielen Mitarbeitern geschätzt wird. Trotz des Zusammenbruchs von Quelle, der die Beschäftigten in Fürth und Nürnberg erzürnt.

Vorwurf der Legendenbildung

"Die Insolvenz hätte vermieden werden können. Es gab bis zu diesem Frühjahr eine gute Chance, das Unternehmen zu retten", sagt Sommer. Ähnlich hatte sich am vergangenen Wochenende Ex-Vorstandschef Thomas Middelhoff, den viele für den Totengräber des Unternehmens halten, geäußert und war dafür heftig kritisiert worden. Legendenbildung wurde ihm vorgeworfen.

Schließlich war sein Plan, das in der Primondo-Gruppe gebündelte Versandgeschäft von Arcandor in eine Partnerschaft mit Redcats einzubringen, bereits im Sommer 2008 gescheitert. Die Finanzierung war nicht zu stemmen gewesen. "Deshalb haben wir ein anderes Modell entwickelt", sagt Sommer. Geplant gewesen sei ein Bündnis zwischen Primondo, Redcats und der Finanzgesellschaft Germany1 als zusätzlichem Partner. Germany1 sammelt Geld an der Börse; dahinter stehen der Unternehmensberater Roland Berger und der ehemalige Investmentbanker Florian Lahnstein. Seit seinem Abschied bei Arcandor im März gehört auch Middelhoff zum Managementteam. Als der Deal mit Primondo und Redcats nicht klappte, kaufte Germany1 im Juli den Hersteller von Stromversorgungsgeräten AEG Power Solutions.

"Die Verhandlungen mit Redcats und Germany1 waren im Februar weit fortgeschritten", sagt Sommer. Das gemeinsame Unternehmen wäre gleich vom Start weg börsennotiert gewesen und hätte somit gute Möglichkeiten gehabt, weitere Mittel aufzutreiben. Auch die beteiligten Banken hätten den Plan gutgeheißen. Warum das Vorhaben dann doch aufgegeben wurde? Middelhoffs Nachfolger, Karl-Gerhard Eick, der auf Bestreben des Großaktionärs Oppenheim im März in Essen antrat, habe den Plan nicht weiterverfolgt, sagt Sommer. "Er wollte den Konzern als Ganzes sanieren und hat alle anderen Gespräche gestoppt."

Ob Karstadt und Primondo heute besser dastünden, wenn der Konzern wie von Middelhoff angestrebt, zerschlagen worden wäre? "Zumindest wäre die Chance größer gewesen, wesentliche Teile zu retten", ist Sommer, der im April 2008 zum stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden ernannt worden war, überzeugt.

Er selber war mit seinem Wechsel zum Arcandor-Konzern zu Jahresbeginn 2006 ein Risiko eingegangen. Als Bereichsvorstand der Bertelsmann-Tochter Directgroup und Leiter der Buchclubs in Deutschland und Frankreich hatte er einen gut dotierten Job aufgegeben. Allerdings war Sommer, Schwiegersohn des früheren Bertelsmann-Chefs Mark Wössner, damals vorsichtig genug, sich gegen Unwägbarkeiten abzusichern: Statt seine Bezüge im ersten Jahr von der Ergebnisentwicklung abhängig zu machen, vereinbarte er ein festes Salär. Das führte dazu, dass er 2006 mit knapp drei Millionen Euro etwa doppelt so hoch entlohnt wurde wie Konzernchef Middelhoff.

"Dreimal 50"

"Dreimal 50", so lautete die Faustformel für Sommers Strategie, als er zur Sanierung des Versandgeschäfts antrat. Zu jeweils 50 Prozent sollte der Primondo-Umsatz aus dem nationalen und dem internationalen Geschäft, aus dem Online-Handel und dem Katalog sowie aus dem Spezial- und Universalversand stammen. Mit diesem Konzept, so hatte er im Frühjahr 2008 prognostiziert, werde Primondo eine Rendite von fünf bis sechs Prozent erwirtschaften. So weit ist es nicht gekommen, auch wenn die Versandgruppe vor allem im internationalen Geschäft erfolgreich war und Spezialversender wie Baby Walz gute Erträge ablieferten. Das Problem waren die hohen Verluste von Quelle in Deutschland.

In ein paar Wochen wird es für Sommer, der neben seinem Wirtschaftsstudium am Conservatoire National Superieur in Paris eine Ausbildung zum Dirigenten abgeschlossen hat, bei Arcandor nichts mehr zu tun geben. Was dann kommt? "Ich habe mich noch nicht darum gekümmert", sagt er.

Im Frühjahr 2008 waren seine Frau und die drei Kinder von Paris nach Mülheim ins Ruhrgebiet gezogen. An den Gedanken, bald wieder umzuziehen, kann er sich nicht gewöhnen. "Eigentlich wollen wir hier wohnen bleiben."

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