Arbeitswelt:Gehetzt durch ständige Erreichbarkeit

Viele Arbeitnehmer fühlen sich verstärkt unter Zeitdruck. 46 Prozent gaben an, dass die Arbeitslast aufgrund der Digitalisierung zunimmt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die der Deutsche Gewerkschaftsbund vorstellte.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Ob mit dem Smartphone, der Software für die Schichteinteilung oder neuen Robotern - zwei von drei Arbeitnehmern in Deutschland arbeiten heute mit digitaler Technik. Viele fühlen sich aber gerade dadurch bei der Arbeit mehr gehetzt oder aus dem Rhythmus gebracht. Dies zeigt eine repräsentative Umfrage bei knapp 10 000 Beschäftigten, die der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) vorstellte.

Demnach leidet fast die Hälfte derjenigen, die nicht mit digitalen Mitteln arbeiten, unter Zeitdruck. Bei denjenigen, die in sehr hohem Maß von der Digitalisierung betroffen sind, sind es bereits 60 Prozent. Auch der Arbeitsfluss wird bei der Arbeit mit digitalen Helfern offenbar häufig gestört. So berichten 69 Prozent in dieser Gruppe von ständigen Unterbrechungen und Störungen ihrer Arbeit. Bei denjenigen, die nicht digital arbeiten, liegt der Wert bei 36 Prozent.

Die Studie, die der DGB in Auftrag gegeben hatte, zeigt für DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach eindeutig: "Digitalisierung macht die Arbeit nicht automatisch besser." Schlecht organisierte Arbeit sei ein entscheidender Stressfaktor und beeinträchtige die Gesundheit der Beschäftigten. Auch IG-Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen-Urban warnt: Die Digitalisierung halte "vielfach als Rationalisierung von oben Einzug in die Betriebe". Die Hoffnung, die digitale Technik könne zur Humanisierung der Arbeit beitragen, "scheint eine Illusion zu sein".

Der Umfrage zufolge fühlen sich Beschäftigte, die für ihren Arbeitgeber oft ständig erreichbar sein müssen, besonders stark gehetzt. Insgesamt gaben 46 Prozent an, dass ihre Arbeitslast aufgrund der Digitalisierung zugenommen habe. Gut jeder Zweite ist überzeugt, die Arbeitsmenge ist dadurch größer geworden. Aber nur etwa jeder Vierte sieht den positiven Effekt, mehr selbst entscheiden zu können.

Die Gewerkschaften wollen die Situation so verbessern: In den Betrieben sollten Betriebsräte bei den Arbeitsbedingungen mehr mitreden dürfen. Die Arbeitgeber müssten dazu verpflichtet sein, auch mögliche Gefahren für die psychische Gesundheit bei den Arbeitsprozessen zu berücksichtigen. Dies sei unbedingt nötig "in einer Arbeitswelt, in der häufig die Grenzlinien zwischen privat und beruflich an Eindeutigkeit verlieren", sagte Lothar Schröder vom Verdi-Bundesvorstand. Die Steuerung über immer feiner ziselierte Finanzkennziffern dürfe nicht "das Menschliche erdrücken".

IG-Metaller Urban forderte erneut eine Anti-Stress-Verordnung. Dafür gibt es in der Bundesregierung jedoch bislang keine Mehrheit. Gleichzeitig warnte Urban davor, das Arbeitzeitgesetz aufzuweichen, so wie dies die Arbeitgeberverbände fordern. Das goldene Dreieck - Acht-Stunden-Tag, 40-Stunden-Woche und mindestens 11 Stunden Ruhezeit - seien auch für die digitale Arbeit notwendig, um Arbeitnehmer zu schützen.

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