Arbeitsmarktdaten:Von wegen hilflos

Trotz der Wirtschaftskrise sinken die Arbeitslosenzahlen - das ist auch ein Erfolg kluger Politik. Doch ein großes Problem bleibt.

Claus Hulverscheidt

Es gibt Begriffe im Wortschatz des Menschen, die einen komplizierten Sachverhalt auf den Punkt bringen sollen, in Wahrheit aber genau das Gegenteil erreichen. Das Wort Globalisierung ist so ein Begriff, unter dem jeder etwas anderes versteht. Der Konzernboss hat vielleicht die neuen Absatzmärkte in Fernost im Auge, der Arbeitnehmer hingegen denkt eher an das Heer asiatischer Billiglöhner, die sich plötzlich mit ihm um den Job balgen. Für viele Beschäftigte hat die Globalisierung vor allem alte Gewissheiten weggefegt, etwa die, dass es ihnen gutgeht, wenn nur ihre Firma floriert.

Keine Entwarnung trotz sinkender Arbeitslosigkeit

Keine Entwarnung trotz sinkender Arbeitslosigkeit Die Silhouette einer Frau ist am Dienstag (01.06.2010) durch die Eingangstür der Agentur für Arbeit in Stuttgart zu sehen. Die Zahl der Arbeitslosen ist im Mai zum vierten Mal in Folge in Baden-Württemberg gesunken. Die Arbeitslosenquote sank auf 4,9 Prozent (April: 5,2). Die Leiterin der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit in Baden-Württemberg, Eva Strobel gab aber noch keine Entwarnung: Kurz- und Zeitarbeit stabilisierten zwar den Arbeitsmarkt, sagte Strobel. Sorge bereite aber die Situation der Langzeitarbeitslosen. Foto: Marijan Murat dpa/lsw +++(c) dpa - Bildfunk+++

(Foto: dpa)

Immerhin: Die jüngsten deutschen Arbeitsmarktzahlen zeigen, dass dieser Verlust an Berechenbarkeit nicht nur Nachteile mit sich bringen muss. So galt es noch vor zehn Jahren als gewiss, dass sich jeder Konjunktureinbruch mit ein paar Monaten Verzögerung eins zu eins in einer deutlich steigenden Erwerbslosigkeit niederschlägt. Ausgerechnet in der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit ist das nun anders: Die Zahl der Jobsuchenden stieg nur mäßig, sank dann wieder und liegt mittlerweile mit gut 3,2 Millionen nicht mehr weit vom Tiefstand des Boom-Jahres 2008 entfernt, als kurzzeitig sogar eine Zwei vor dem Komma vermeldet werden konnte.

Das beweist, dass die Politik der Globalisierung keineswegs so hilflos ausgeliefert ist, wie oft behauptet wird. Vielmehr hat sie es mit einer generösen Kurzarbeiterregelung vielen Firmen erst ermöglicht, auf einen Stellenabbau zu verzichten. Aber auch die Betriebe selbst haben aus früheren Krisen gelernt: Ein einmal entlassener, hochqualifizierter Mitarbeiter ist später, wenn es wieder bergauf geht, kaum zu ersetzen - erst recht nicht, wenn die Zahl geeigneter Nachrücker demografisch bedingt stetig sinkt. Da sich außerdem die Auftragsbücher der Firmen wieder füllen, und der niedrigere Euro-Kurs den Export beflügelt, ist für die nächsten Monate mit weiter sinkenden Arbeitslosenzahlen zu rechnen.

Grund zur Euphorie gibt es dennoch nicht, denn die Entwicklung am Arbeitsmarkt ist mit gravierenden konjunkturellen wie auch strukturellen Risiken behaftet. So werden die Sparprogramme beinahe aller EU-Regierungen die staatliche Investitionstätigkeit verringern und die Konsumlust der Bürger dämpfen, was viele Unternehmen erneut unter Druck setzen könnte.

Noch dramatischer ist das Problem der hohen Sockelarbeitslosigkeit, der Zahl jener Menschen also, die mangels Qualifikation selbst im Wirtschaftsaufschwung keine Stelle mehr finden. Sollten sie den Anschluss endgültig verlieren, müssen sich Wirtschaft und Politik bereits in naher Zukunft auf eine gefährliche Gemengelage aus Facharbeitermangel auf der einen und Massenarbeitslosigkeit auf der anderen Seite einstellen. Die Diskrepanz zwischen dem Qualifikationsniveau vieler Jobsuchender und den Qualifikationsanforderungen der Betriebe ist das eigentliche Problem der Arbeitsmarktpolitik in einer globalisierten Weltwirtschaft.

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