Arbeitsmarktbarometer:Orakel von Nürnberg

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Steigt die Zahl der Erwerbslosen - oder sinkt sie? Künftig will die Bundesagentur für Arbeit mit einem neuen Indikator drei Monate im Voraus abschätzen, wie viele Menschen in Deutschland einen Job suchen. Eine erste Prognose bis Januar liegt bereits vor.

Von Uwe Ritzer, Nürnberg

Optisch erinnert er an einen Drehzahlmesser, einen Kompass oder einen Tachometer. Was kein Zufall ist, denn der neue IAB-Arbeitsmarktbarometer ist ein bisschen von allem: Ein Instrument, das die Ausschläge, die Richtung, die Geschwindigkeit und vor allem den Druck auf dem Arbeitsmarkt registriert und auf dieser Basis vorhersagt, wie er sich in den kommenden drei Monaten entwickeln wird. "Es gibt dafür keinen besseren Indikator", sagt Ulrich Walwei, Vizechef des Nürnberger IAB, des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.

Die Denkfabrik der Bundesagentur für Arbeit hat dieses Arbeitsmarktbarometer frisch erfunden und es gleich seine erste Prognose anzeigen lassen ( hier als PDF). Demnach wird sich der Arbeitsmarkt in Deutschland in den kommenden drei Monaten, bis einschließlich Januar 2014 also, nicht nennenswert verändern. Von saisonalen Einflüssen wie starkem Winterwetter oder Weihnachtsurlaub abgesehen, droht weder ein größerer Anstieg der Erwerbslosigkeit noch darf man auf einen nennenswerten Rückgang hoffen. Experten sprechen in solchen Situationen von einer "Seitwärtsbewegung".

Momentan deutet nichts darauf hin, dass es alsbald vorwärts gehen könnte. Obwohl die Konjunktur anziehe und sich die Stimmung in der Wirtschaft seit Sommer verbessert habe, zeichne sich am Arbeitsmarkt "im Moment kein günstiger Trend ab", sagte IAB-Direktor Joachim Möller.

Das passt ins Bild. Das ganze Jahr 2013 war und ist von Stagnation auf dem Arbeitsmarkt geprägt. Knapp drei Millionen Menschen ohne Beschäftigung waren in den ersten neun Monaten durchschnittlich registriert; die Oktober-Zahl gibt die Bundesagentur für Arbeit an diesem Mittwoch bekannt. Der Stillstand habe mit dem Auslaufen zahlreicher arbeitsmarktpolitischer Programme aus den Zeiten der Hartz-Gesetzgebung zu tun, sagt Möller, und mit Auswirkungen der europäischen Schuldenkrise auf die deutsche Wirtschaft. Im nächsten Jahr wird es kaum besser: Das IAB erwartet 2014 im Jahresdurchschnitt allenfalls 40.000 registrierte Arbeitslose weniger.

Forscher sind von ihrer Methode restlos überzeugt

Ab sofort will das Nürnberger Institut zum Ende eines jeden Monats einen Blick in die nähere Zukunft gewähren. Basis sind die Einschätzungen der 156 Arbeitsagenturen. Sie müssen bereits seit 2008 alle vier Wochen ein Abbild des Ist-Zustandes in ihrer Region in die Nürnberger Bundesagentur übermitteln. Dazu gehört auch eine Einschätzung, wie sich der jeweilige Arbeitsmarkt in den folgenden drei Monaten entwickeln wird. Fünf Kategorien stehen ihnen dabei zur Auswahl von "viel mehr" bis "viel weniger" Erwerbslose. Daraus errechnen die IAB-Experten dann einen Index, der von 90 (starker Anstieg der Erwerbslosigkeit) bis 110 (starker Rückgang) reicht. Aktuell liegt er mit 99,6 nahe am Stagnationswert von 100.

Was der für den Arbeitsmarktbarometer zuständige IAB-Forscher Enzo Weber ein "innovatives, neues Instrument" nennt, ist eigentlich sehr naheliegend konstruiert. Nehmen sie ihre Aufgabe ernst, sind die leitenden Mitarbeiter der Arbeitsagenturen besonders nahe an der wirtschaftlichen Realität in ihren Regionen angesiedelt. Sie registrieren frühzeitig, wenn Entlassungen oder Kurzarbeit anstehen, pflegen in der Regel enge Kontakte zu örtlichen Kammern, wichtigen Unternehmen und Gewerkschaften.

Die Einschätzung von Agenturen mit großen, wichtigen Unternehmen erhält bei der Berechnung des IAB-Arbeitsmarktbarometers ein entsprechend größeres Gewicht als jene aus ländlichen und strukturschwachen Regionen. "Die Vielzahl der lokalen Einschätzungen ist die Stärke", sagt Weber.

Die Nürnberger Forscher sind von ihrer Methode restlos überzeugt. In einer Testphase haben sie simuliert, wie treffsicher ihr Arbeitsmarktbarometer in den vergangenen Jahren gewesen wäre, wenn es den Indikator bereits gegeben hätte. Dabei haben sie die zurückliegenden Drei-Monats-Vorschauen der Agenturchefs mit der schließlich eingetretenen Wirklichkeit verglichen. Und mit den Prognosen anderer Indikatoren. Keine wäre treffsicherer gewesen als die Vorhersagen der Agenturchefs, sagt IAB-Vize Walwei - nicht der Ifo-Beschäftigungsbarometer und nicht die Analysen der Statistiken über offene Stellen oder Auftragseingänge im verarbeitenden Gewerbe.

© SZ vom 29.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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