Arbeitsmarkt:Hartz IV darf kein Schicksal sein

Vor dem Jobcenter der Bundesagentur für Arrbeit in Dessau warten Menschen auf den Beginnd der Sprech

Angesichts der guten Lage auf dem Arbeitsmarkt könnte man auf die Idee kommen, dass die Sondierer von Union, FDP und Grünen derzeit andere Probleme hätten als den Arbeitsmarkt. Das wäre jedoch fatal.

(Foto: imago/Klaus Martin Höfer)

Immer weniger Menschen in Deutschland sind arbeitslos, zugleich haben viele auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Chance. Um sie muss die Politik sich dringend kümmern.

Kommentar von Thomas Öchsner

Bei diesen Zahlen könnten Deutschlands Nachbarn neidisch werden: Fast 45 Millionen Menschen haben hierzulande eine Arbeit, so viele wie noch nie. Obwohl viele Flüchtlinge zunächst nicht so schnell einen Job bekommen, ist auch 2017 die Zahl der Arbeitslosen gesunken. In manchen Regionen herrscht sogar Vollbeschäftigung. Man könnte also auf die Idee kommen, dass die Sondierer von Union, FDP und Grünen derzeit ganz andere Probleme hätten als den Arbeitsmarkt. Das wäre jedoch fatal. Eine neue Bundesregierung muss mehr tun, damit die Abgehängten in der Gesellschaft wieder eine Chance bekommen.

Einerseits haben vom "German Jobwunder" Millionen Menschen profitiert. Andererseits ist noch knapp ein Fünftel der Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor beschäftigt. Sie haben einen Job, doch ihre Verträge sind oft befristet. Sie arbeiten nur zum Schein als Selbständige oder auf Abruf, meist zu äußerst miesen Bedingungen. Und ihre Bezahlung ist so niedrig, dass sie mit ihrer Rente im Alter kaum auskommen dürften. Der gestresste Paketzusteller, der von Haustür zu Haustür hetzt, ist der Prototyp für dieses prekäre Dasein. Diese Helden der Arbeit stehen ganz unten in einer Zweiklassengesellschaft am Arbeitsmarkt. Sie können sich finanziell gerade so über Wasser halten. Aber ihr Leben ist unsicher geworden.

"Einmal Hartz IV, immer Hartz IV"

Dass eine Jamaika-Koalition diesen Menschen helfen wird, ist unwahrscheinlich. Erstens fehlt dafür das gemeinsame Programm. Zweitens ist die Gefahr groß, mit jedem Eingriff den Jobboom zu gefährden. Es wäre aber schon viel gewonnen, wenn es gelänge, im Niedriglohnsektor mehr Tarifverträge zu verankern. Außerdem sollte die neue Bundesregierung falsche Anreize im Steuer- und Abgabensystem beseitigen. In Familien, in denen meist immer noch der männliche Partner gut verdient, ist es für den anderen meist weiblichen Partner steuerlich oft wenig attraktiv, mehr als einen Minijob anzunehmen oder die Teilzeit auszuweiten. Wer mehr arbeiten will, sollte jedoch nicht Vergünstigungen verlieren. Es wäre deshalb gut, die steuerlichen Vorteile von Minijobs schrittweise abzuschaffen, mit Ausnahmen für Rentner oder Studenten.

Die Sondierer in Berlin sollten auch daran denken, dass noch immer fast eine Million Menschen langzeitarbeitslos sind - trotz Rekord-Beschäftigung. Für Hunderttausende heißt "Einmal Hartz IV, immer Hartz IV". Die große Koalition hat an dieser Misere nichts geändert. Union, FDP und Grüne sollten genug Gemeinsamkeiten haben, um dies besser zu machen, zum Beispiel in den Jobcentern.

Die Ämter für die Hartz-IV-Empfänger sind seit Jahren finanziell zu schlecht ausgestattet. Die Jobcenter benötigen mehr Geld und mehr Zeit für die Betreuung und Qualifizierung der Bedürftigen. Das würde deren Chancen heben, einen Einstieg auf den Arbeitsmarkt zu finden. Gleichzeitig muss das Hartz-IV-Recht endlich einfacher werden. Ursprünglich waren die Hartz-Gesetze auch dafür gedacht, das Sozialrecht zu vereinfachen. Für die Bedürftigen wurden pauschale Leistungen eingeführt. Keiner sollte mehr für ein paar Schuhe einen Antrag beim Sozialamt stellen müssen. Tatsächlich ist das Hartz-IV-System immer komplizierter geworden. Die Hälfte der Jobcenter-Mitarbeiter ist damit beschäftigt, umständlich die Leistungen für die Hartz-IV-Empfänger auszurechnen. Eine neue Regierung muss damit Schluss machen, sodass sich wieder mehr Mitarbeiter auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren können, nämlich Menschen in Arbeit zu bringen.

Es wird allerdings Menschen geben, die auf dem regulären Arbeitsmarkt keine Chance haben. Sie sind für eine vorzeitige Rente zu jung und gesund - und für den regulären Arbeitsmarkt zu krank oder nicht fit genug, um dort eine Stelle zu bekommen. Für sie muss es einen staatlich geförderten sozialen Jobmarkt geben, damit zumindest ihre Kinder ein Vorbild haben. Kein Kind in Deutschland darf es sich länger zum Modell machen, auch "Hartzer" zu werden. Das Schlimmste bei der Langzeitarbeitslosigkeit ist, wenn sie über Generationen vererbt wird.

Der beste Ansatz einer guten Arbeitsmarktpolitik bleibt aber, Arbeitslosigkeit erst gar nicht entstehen zu lassen. Es kann nicht sein, dass im reichen Deutschland noch immer jeder zehnte Jugendliche die Schule ohne Schulabschluss verlässt. Nötig sind bessere Kitas, mehr Jugendsozialarbeiter in den Schulen, mehr gut ausgestattete Ganztagesschulen, mehr Anreize und finanzielle Hilfen, um Ausbildungen nachzuholen oder sich zusätzliche Qualifikationen zu erwerben. John F. Kennedy hatte schon recht, als er sagte: "Es gibt nur eines, das auf Dauer teurer ist als Bildung, keine Bildung."

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