Arbeitsmarkt: Gustav Horn im Gespräch:"Der Aufschwung muss ankommen"

Die Zahl der Arbeitslosen kratzt an der Drei-Millionen-Marke: Ökonom Horn über die aktuelle Entwicklung auf dem Jobmarkt - und warum der Aufschwung dieses Mal auch im Portemonnaie der Arbeitnehmer ankommen muss.

Melanie Ahlemeier

Professor Gustav Horn ist Chef Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung mit Sitz in Düsseldorf. Er studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn und arbeitete beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, zuletzt als Leiter der Konjunkturabteilung. Unter den Wirtschaftswissenschaftlern gilt er als "der letzte Keynesianer".

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Gustav Horn vom Institut für Makroökonomie: "Wir haben immer noch nicht das Produktionsniveau von vor der Krise erreicht."

(Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Horn, die Zahl der Arbeitslosen ist trotz Sommerflaute gesunken. Sind derzeit nur jene Menschen arbeitslos, die faul sind?

Gustav Horn: Nein, das ist falsch. Wir haben selbst unter Berücksichtigung der Saisoneinflüsse immer noch mehr als drei Millionen Arbeitslose. Da sind viele bei, die arbeiten wollen und können, aber noch keinen Job finden.

sueddeutsche.de: Wirtschaftsminister Rainer Brüderle sprach schon vor einigen Wochen vom Ziel der Vollbeschäftigung. Nahziel, Fernziel oder ein unrealistisches Ziel?

Horn: Es ist ein realistisches Ziel aber nur auf längere Sicht. Wir sind jetzt bei einer Arbeitslosenquote von 7,6 Prozent. Bevor wir die Vier nicht unterschreiten, würde ich nicht sagen, dass wir dem Ziel der Vollbeschäftigung nahe sind.

sueddeutsche.de: Die Kurzarbeit hat abgenommen, außerdem schoss im vergangenen Quartal das Bruttoinlandsprodukt um 2,2 Prozent nach oben - eigentlich beste Voraussetzungen dafür, dass sich der Arbeitsmarkt noch stärker erholt. Erleben wir den von Brüderle als "Aufschwung XXL" bezeichneten Boom bald auch beim langjährigen Sorgenkind?

Horn: Diese Zahlen muss man mit großer Vorsicht genießen. In diesen 2,2 Prozent stecken auch Nachholprozesse drin. Im ersten Quartal war der Winter besonders hart, am Bau sind beispielsweise Produktionen auf das zweite Quartal verschoben worden, deshalb ist die Zahl auch so besonders hoch. Die wird sich so nicht wiederholen. Der zweite Punkt ist: Wir haben immer noch nicht das Produktionsniveau von vor der Krise erreicht. Wir sind jetzt auf dem Niveau des späten Jahres 2006. Das heißt, es ist ein noch etwas längerer Weg, bis wir wieder da sind, wo wir schon einmal waren. Erst dann kann man davon reden, dass zusätzliche Beschäftigung entsteht und dass die Arbeitslosigkeit durchgreifend abgebaut wird. Bis dahin spreche ich nicht von einem Aufschwung, sondern von einer durchaus kräftigen Erholung.

sueddeutsche.de: Arbeitslose in Umschulungen werden seit einiger Zeit aus der offiziellen Arbeitslosen-Statistik herausgerechnet. Wie hoch ist die tatsächliche Arbeitslosigkeit?

Horn: Die Frage ist nicht so einfach zu beantworten, weil es noch viel mehr Effekte gibt, die senkend auf die Arbeitslosenzahlen wirken. Menschen in der stillen Reserve zum Beispiel, die entmutigt sind von ihrer Lage und sich gar nicht mehr melden. Selbst wenn man nur die engeren Maßnahmen nimmt, sind sicherlich rund 200.000 Arbeitslose durch Umbuchungen aus der Statistik verschwunden, die nicht in sicherer Beschäftigung sind.

sueddeutsche.de: Vom letzten Aufschwung haben angestellte Arbeitnehmer nicht profitiert, sie mussten sogar Reallohneinbußen hinnehmen. Was muss dieses Mal anders laufen?

Horn: Von dem sich abzeichnenden Aufschwung müssen auch die privaten Haushalte profitieren. Der Aufschwung muss bei den Menschen ankommen, sei es in Gestalt von Lohnsteigerungen oder mehr Beschäftigung oder von Transferleistungen. Das muss grundsätzlich gewährleistet sein. Man sollte nicht wieder einen Aufschwung über die Köpfe der Menschen hinweg machen.

sueddeutsche.de: Also höhere Löhne und angepasste Hartz-IV-Sätze?

Horn: Das wäre dann eine Konsequenz. Die Hartz-IV-Sätze können ja erst in der Folge steigen, wenn sie über die Inflationsentwicklung angepasst werden. Wichtig wäre, dass die Lohnsteigerungen höher sind als im letzten Aufschwung. Vom Leistungszuwachs muss ein fairer Anteil an die Arbeitnehmer gehen, das darf nicht alles in den Gewinnen steckenbleiben.

sueddeutsche.de: In der aktuellen Hartz-IV-Debatte - Chipkarte ja oder nein - haben sich selbst Ministerinnen zerstritten. Ist das die Diskussion, die Deutschland braucht? Oder muss das Thema Hartz IV vielmehr grundsätzlich angegangen werden?

Horn: Man muss das Thema von zwei Seiten angehen. Man muss prüfen, was zur Existenzsicherung notwendig ist. Das muss ganz nüchtern ermittellt werden. Zum Zweiten muss der Mechanismus - und das hat ja auch das Bundesverfassungsgericht vorgeschrieben -, mit dem Hartz-IV-Sätze angepasst werden, geändert werden. Die Existenzsicherung richtet sich nicht nach der Rentenerhöhung, die richtet sich nach der Inflationsrate. Drittens: Wir haben durch die Aufstockungsregelung den doch sehr beträchtlichen Anreiz, dass sich Unternehmen auf Kosten des Staates sozusagen Niedriglöhne gönnen. Diesem Anreiz muss ein Riegel vorgeschoben werden durch die Einführung eines allgemein gesetzlichen Mindestlohns. Der Staat spart damit Geld und schafft die Anreize für Fehlverhalten ab.

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