Arbeitslosigkeit:Die Zahl drei ...

... oder doch lieber die Zahl vier? Nicht die knapp drei Millionen Arbeitslosen, die jetzt gemeldet werden, spiegeln wider, was sich auf dem Arbeitsmarkt abspielt. Vielmehr geht es um die fast 4,2 Millionen Menschen, die im Mai 2011 ohne feste Stelle waren. Zur Lage auf dem Arbeitsmarkt.

Thomas Öchsner

Seit Monaten geht es auf dem Arbeitsmarkt um die Zahl drei. Jetzt ist es soweit. Deutschland hat die Marke von drei Millionen Jobsuchenden knapp unterschritten. Der erwartete große Erfolg ist eingetreten - aber damit ist es nun auch an der Zeit, sich einer anderen, weitaus wichtigeren Zahl zuzuwenden.

Arbeitsmarktdaten Mai 2011

Der Arbeitsmarkt ist so aufnahmefähig, wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Doch noch immer ist Deutschland von der Vollbeschäftigung weit entfernt. 

(Foto: dpa)

Nicht die drei oder die jetzt 2,960 Millionen spiegeln exakt wider, was sich auf dem Arbeitsmarkt abspielt. Vielmehr geht es um die Zahl vier. Tatsächlich waren fast 4,2 Millionen im Mai 2011 ohne feste Stelle. Darunter fallen nicht nur die als arbeitslos Registrierten, sondern all jene, die erwerbslos sind, gerne einen Job hätten - und dies bei der Bundesagentur für Arbeit bekundet haben. Diese Zahl ist immer noch viel zu hoch.

Die Statistiker sprechen bei dem Kreis der gut vier Millionen von der so genannten Unterbeschäftigung. Das ist ein beschönigender Begriff dafür, dass es etwa eine Million zusätzliche Arbeitslose gibt, die sich zum Beispiel krankgemeldet haben, über 58 sind und seit mindestens einem Jahr kein Jobangebot hatten - oder die gerade einen Ein-Euro-Job erledigen und deshalb bei den Arbeitslosen nicht mitgezählt werden.

Immerhin: Hier bewegt sich ebenfalls etwas. Und das ist die zweite gute Nachricht des Tages. Binnen eines Jahres sank die Anzahl der Jobsucher, die nicht in der Arbeitslosenstatistik auftauchen, um knapp 300.000.

Auch dies zeigt: Der Arbeitsmarkt ist so aufnahmefähig, wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Leider sinkt die Langzeitarbeitslosigkeit immer noch deutlich langsamer als bei denjenigen, die weniger als ein Jahr auf Jobsuche sind.

Neue Stellen entstehen aber derzeit in fast allen Branchen. Wie rasant die Entwicklung ist, offenbaren die vielen offenen Stellen. Vor zwei Jahren, in der Rezession, waren es noch etwa 300.000 - jetzt sind es eine Million.

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen hat deshalb recht, wenn sie darauf setzt, Erwerbslose auf den ersten Arbeitsmarkt und weniger in öffentlich geförderten Jobs unterzubringen. Sie muss jedoch aufpassen, dass ihr milliardenschweres Sparprogramm und ihre Reform der Arbeitsförderung nicht zu einem Kahlschlag auf Kosten derjenigen werden, die staatliche Hilfe besonders nötig haben.

In Deutschland gibt es eine florierende Armutsindustrie. Ihr Motor ist Hartz IV. In die Branche - zu der Fortbildungseinrichtungen, Wohlfahrtskonzerne oder private Arbeitsvermittler gehören - fließen Milliarden. Dabei gibt der Staat für viel Sinnvolles Geld aus, etwa für die Weiterbildung von Arbeitslosen.

Der Steuerzahler finanziert allerdings auch jede Menge Alibi-Kurse, die mit dem wirklichen Arbeitsleben nichts zu tun haben. Davon profitieren mehr die Anbieter von Trainingsmaßnahmen als die Hartz-IV-Bezieher. Deshalb ist es gut, wenn die Ministerin hier aufräumen will und sich dabei auch nicht vom Protest der Sozialverbände abschrecken lässt.

Die geplanten Eingriffe der Ministerin von der Leyen erwecken jedoch teilweise den Eindruck, dass es ihr mehr darum geht, die Sparvorgaben des Bundesfinanzministers zu erfüllen. Dies gilt zum Beispiel bei den Zuschüssen für arbeitslose Gründer. Arbeitsmarktforscher haben minutiös untersucht, welche Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik wirken oder folgenlos bleiben.

Die Förderung von Erwerbslosen, die sich selbständig machen, gilt dabei als besonders erfolgreich. Trotzdem kürzt von der Leyen die Mittel hier radikal zusammen - wohl auch deshalb, weil sich dabei besonders viele Milliarden einsparen lassen.

Wenn die Konjunktur weiter brummt, kann es gelingen, noch ein paar hunderttausend Hartz-IV-Empfänger zurück ins Arbeitsleben zu holen. Die große Frage ist, was mit dem Rest passiert. Viele sind ohne Schulabschluss oder Berufsausbildung, sie haben gesundheitliche Probleme oder gelten in den Unternehmen als zu alt. Sie werden ohne neue Fördermittel quasi zum Nichtstun verdammt.

Und sie brauchen besonders qualifizierte Helfer an ihrer Seite, die sie individuell betreuen - nur so haben sie eine Chance für einen Einstieg ins Berufsleben. Schon jetzt aber arbeiten in vielen Jobcentern zu wenige Fallmanager für zu viele Hilfsbedürftige. Berücksichtigt man wirklich alle Arbeitslosen in der Statistik, ist Deutschland von der Vollbeschäftigung noch weit entfernt.

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