Arbeitslosengeld II:Ein Streit um 14 Euro

Die Unterschiede beim Arbeitslosengeld II zwischen Ost und West erregen die Gemüter.

Nina Bovensiepen

Horst Köhler hatte angekündigt, er werde manchmal ein unbequemer Bundespräsident sein. Die Interpretation der Aussage Köhlers, die Deutschen sollten unterschiedliche Lebensbedingungen zwischen Ost und West akzeptieren, hat nun wie Sprengstoff gewirkt.

Gefühlte Ungerechtigkeit

Es ist zwar nicht Auftakt, aber Höhepunkt einer neuen Ost-West-Debatte. Auslöser für die Diskussionen ist die Sozialreform der Bundesregierung. Hartz IV sei ein Gesetz, das gegen den Osten gemacht wurde, schimpft mancher Politiker aus den neuen Ländern.

Diese gefühlte Ungerechtigkeit dürfe man nicht noch stärken, fordert der wahlkämpfende brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) - und verlangt, die unterschiedlichen Regelsätze für das neue Arbeitslosengeld II in Ost und West anzugleichen.

Laut dem Gesetz beträgt die Regelleistung für Empfänger der Leistung, die am 1. Januar 2005 Sozial- und Arbeitslosenhilfe ersetzt, im Westen 345 und im Osten 331 Euro pro Monat. 14 Euro Unterschied - um die sich viele Emotionen ranken.

Platzeck etwa argumentiert, die Lebensverhältnisse in den neuen und alten Bundesländern rechtfertigten die Differenz nicht mehr. Das sei falsch, heißt es beim Bundespresseamt der Regierung. Die Unterschiede gehen nach Aussage eines Sprechers eben darauf zurück, dass die Lebenshaltungskosten im Osten noch niedriger sind.

Erhellend ist ein Blick auf die Berechnung des Arbeitslosengeldes II. Ausschlaggebend für die Höhe der Leistung ist ein Warenkorb, der auch der Sozialhilfe zugrunde liegt. Dieser beruht auf der so genannten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, die das Statistische Bundesamt alle fünf Jahre erhebt.

Die Stichprobe untersucht Einkommen, Vermögen, Schulden und den Konsum privater Haushalte. Aus der Statistik leitet das Gesundheits- und Sozialministerium den Eckregelsatz für die Sozialhilfe ab - besagte 345 beziehungsweise 331 Euro.

Weil noch nicht alle Daten aus der Stichprobe von 2003 ausgewertet sind, beruht der - um Preis- und Einkommensentwicklung korrigierte - Eckregelsatz für die Sozialhilfe auf Daten aus 1998. Und hier zeigte die Statistik zwischen Ost und West tatsächlich noch deutliche Unterschiede auf.

Verschlungene Wege

So gab ein Haushalt in den alten Bundesländern laut Stichprobe für den privaten Konsum - von Miete und Kleidung über Lebensmittel bis zum Autofahren - pro Monat rund 2100 Euro aus. In den neuen Ländern waren es nur 1670.

Aus dieser Differenz leitet sich auf komplizierten Rechenwegen, die weder die Experten im Statistischen Bundesamt noch in den Ministerien genau erklären können, die 14-Euro-Lücke ab.

Dies habe auf jeden Fall seine Richtigkeit, heißt es. Zudem verweist man darauf, dass die Sätze geprüft würden, sobald die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe aus 2003 ausgewertet ist. Es müsse damit aber nicht unbedingt zu einer Schließung der Lücke kommen.

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), der sich auch in den 14-Euro-Streit eingemischt hat, sagt, die Differenz möge statistisch erklärbar sein, politisch sei es aber vernünftig, die Ost-West-Unterscheidung nicht zu machen.

Kanzler Gerhard Schröder (SPD), der allen weiteren Korrekturen an der bereits reformierten Reform eine Absage erteilt hat, bleibt in der Sache hart, schlägt aber diplomatische Töne an. Mittelfristig sei ohnehin eine Angleichung der Lebensverhältnisse in West und Ost das Ziel, sagt er. Wann es soweit sein soll - dazu schweigt der Kanzler allerdings.

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