Arbeitnehmer-Proteste:Der Chef soll weg

People hold portraits depicting Cho Hyun-ah and Cho Hyun-min, daughters of Korean Air Lines' chairman Cho Yang-ho as they take part in a protest against the abuse of power by them, in central Seoul

Beschäftigte von Korean Air demonstrieren in Seoul.

(Foto: Kim Hong-Ji/Reuters)

In Südkorea wächst der Widerstand gegen die mächtigen Familienclans. Ihnen wird Korruption vorgeworfen, aber es geht um mehr: um die Stabilität von Wirtschaft und Gesellschaft.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Piloten, Flugbegleiter und Bodenpersonal von Korean Air demonstrierten am Freitag im Zentrum von Seoul gegen die Familie Cho, die Südkoreas größte Airline kontrolliert. Etwa 500 Angestellte und Pensionäre skandierten "Cho Yang-ho out". Cho ist der Chef von Korean Air und der Patriarch der Hanjin-Gruppe, einem Chaebol. So nennt man die von Familien dominierten Konglomerate wie Samsung und Hyundai, denen Korea seinen Wirtschaftsaufstieg während der Militärdiktatur verdankt, die ihre Strukturen dem demokratischen jedoch nie angepasst haben.

In Seoul ist man Demos gewöhnt. Auf dem Gwanghwamun, dem Platz, auf dem im Dezember 2016 eine Million Menschen den Sturz der Ex-Präsidentin Park Geun-hye erstritten, protestiert immer jemand. Dass jedoch die privilegierten Angestellten eines Chaebols gegen die eigene Firma demonstrieren, ist neu.

Südkorea greift derzeit hart gegen die Korruption durch. Ex-Präsidentin Park wurde wegen Bestechung und anderer Delikte zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt. Ihr Vorgänger Lee Myung-bak wartet in Untersuchungshaft auf seinen Prozess. Samsung-Vize Lee Jae-yong saß ein Jahr in Haft, weil er Park zugunsten ihrer Vertrauten geschmiert hatte. Der Rest seiner Strafe ist bis zum Berufungsverfahren ausgesetzt. Shin Kyuk-ho, der 96-jährige Patriarch der Lotte-Gruppe, erhielt wegen Unterschlagung vier Jahre. Und zusätzlich für die Bestechung von Park 30 Monate.

Der Kampf gegen die Korruption ist für Südkorea aber nicht neu. In den 1990er-Jahren wurden zwei Ex-Präsidenten verurteilt, weil sie dem Staat etwa 300 Millionen Euro gestohlen hatten. Cho Yang-ho, der Chef von Korean Air, dessen Abgang seine Angestellten fordern, wurde schon im Jahr 2000 wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Vor zehn Jahren verurteilten Gerichte die Patriarchen von Samsung und Hyundai wegen Finanzdelikten. Aber die beiden saßen keinen Tag ab, der damalige Präsident Lee Myung-bak begnadigte seine Partner im Filz.

Selbst Südkoreas liberale Regierungen scheuten es bisher, die Chaebol zu zähmen. Das Land lebt vom Export, die Ausfuhren machen drei Viertel seiner Wirtschaftsleistung aus. Exporte generieren jedoch nur die etwa 45 Chaebol, Südkorea hängt von ihnen ab. Deshalb benehmen sich die Unternehmerfamilien, als stünden sie über den Gesetzen. Diese Sonderstellung erklärt sich aus der Geschichte. Südkorea, nach dem Koreakrieg eines der ärmsten Länder der Welt, war bis 1987 eine brutale Militärdiktatur. Das Regime klungelte mit Unternehmern. Es bot ihnen billige Anleihen und weitgehende Rechtsfreiheit, vor allem in Arbeitnehmer- und Umweltfragen. Dafür bauten diese ihm eine Exportwirtschaft auf. Die Korruption war der Kitt, der das System zusammenhielt.

Dass Südkorea seit dreißig Jahren eine Demokratie und ein Rechtsstaat ist, ignorieren die Chaebol bisher einfach. Viele Südkoreaner verabscheuen sie dafür, möchten aber trotzdem bei einem Chaebol arbeiten. Die Löhne sind höher, die Jobs sicherer, und sie gehören zur Elite.

Der Protest gegen Korean Air entzündeten sich nicht am 69-jährigen Patriarchen Cho, sondern auch an seinen Töchtern und seiner Frau. Fast alle Chaebol-Bosse lassen ihre Kinder, nunmehr in dritter Generation, im Unternehmen eine schnelle Karriere machen. Chos ältere Tochter, Hyung-ah, hatte als Chefin der Kabinen-Crews von Korean Air vor Weihnachten 2014 in New York einen Jumbo von der Startbahn ans Gate zurückbefohlen. Ein Steward hatte ihr Nüsschen in einer Tüte statt auf einem Tellerchen serviert. Dafür schrie sie ihn an und ließ ihn aus der Maschine werfen. Für diesen "Nüsschen-Skandal" saß sie fünf Monate in Seoul im Gefängnis. Der Papa Cho entschuldigte sich für die Tochter und warf sie aus der Firma. Doch ganz leise holte er sie bald zurück, sie ist nun Chefin der Hotels von Korean-Air.

Nun erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Hyung-min, die jüngere Tochter und Marketing-Chefin von Korean Air. Sie wird des Machtmissbrauchs beschuldigt, unter anderem soll sie einem Werbe-Angestellten Wasser ins Gesicht geschüttet haben. Auch gegen Chos Frau Lee Myung-hee, die die Kulturorganisation der Hanjin-Gruppe leitet, wird ermittelt. Sie soll Mitarbeiter gedemütigt haben. Außerdem soll die Familie im großen Stil Luxusartikel ins Land geschmuggelt haben. Dafür durchsuchte der Zoll ihre Häuser.

Eine neue Studie hält fest, die Chaebol-Familien, die nur noch wenige Prozente ihrer Firmen besitzen, umgingen systematisch Gesetze, sie hebelten die Kontrolle durch die Aktionäre aus, vor allem bei Besetzungen des Managements. Das klingt abstrakt. Die Demo der Flugkapitäne und -Begleiter dagegen rüttelt ganz konkret an der Macht über das Unternehmen; und damit an Südkoreas Wirtschaftsstruktur.

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