Arbeit für Geflohene:Prinzip zugedrücktes Auge

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Die Wirtschaft freut sich über die millionenfache Zuwanderung nach Deutschland. Der Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge wird wieder erschwert - zumindest theoretisch.

Von Lea Hampel, München

Wenn Klaus Bauer über seine Erfahrungen mit Integration redet, spricht er nicht unbedingt von Menschen, die derzeit aus Syrien kommen. Die Sache mit der Integration hat bei ihm schon in den 1990er Jahren angefangen. Damals hat Bauer unter den Menschen, die aus Bosnien nach Bayern kamen, Mitarbeiter für seine Maschinenbaufirma im oberbayerischen Weilheim gefunden. "Heute sind die, die kommen, halt von weiter her", sagt er. Entsprechend höher seien die Hürden. Doch er nimmt sie, die sprachlichen, kulturellen, rechtlichen Hindernisse, bei ihm sind ein Azubi aus Syrien und drei Praktikanten aus Nigeria. "Wir müssen diese Chance auf Arbeitskräfte ergreifen", sagt er. So motivierte und zufriedene Mitarbeiter, die finde er heute in Deutschland nur schwer.

Bauer benennt etwas, das die deutsche Wirtschaft seit eineinhalb Jahren bei jeder Gelegenheit laut wie selten zuvor wiederholt: Die Ankommenden seien eine Chance fürs demografisch geschwächte Deutschland. Doch um die Fachkräftelücke zu füllen, müssten Restriktionen ab- und staatliche Unterstützung aufgebaut werden. Diesen Forderungen schien die Politik zunächst nachzukommen: Im Juli wurden bessere Bleibemöglichkeiten und eine einjährige Duldung während der Ausbildung beschlossen. "In den vergangenen eineinhalb Jahren haben wir viel erreicht", sagte Alexander Wilhelm vom Arbeitgeberverband BDA dazu - und klang, wie viele Verbandsvertreter, euphorisch. Die Euphorie sollte nicht lange währen. Bereits im September begann das Zurückrudern. Zum einen wurden Albanien, Kosovo und Montenegro zu sicheren Herkunftsländern erklärt. Zum anderen wurde der Maximalaufenthalt in Erstaufnahmeeinrichtungen auf sechs Monate ausgedehnt. Kommt jemand aus einem sicheren Herkunftsland, gibt es überhaupt keine Höchstdauer und ein grundsätzliches Beschäftigungsverbot. Außerdem erhalten Geflüchtete verstärkt Sachleistungen statt Geld.

Das Gesetzespaket ist eine Reaktion auf Überforderung und gefühlten Stimmungswandel - oder wie es der Sprecher des BDA ausdrückt: Die Gesetze waren "stark beeinflusst von der Frage, wie wir die Zahl der Anreize verringern." Dahinter steht die Ansicht, dass es wirtschaftlich sinnvoller ist, Menschen mit Bleibeperspektive zu fördern und andere schnell abzuschieben - eine Richtung, in die auch derzeit geplante weitere Gesetzesverschärfungen gehen.

Für Geflüchtete und deren Arbeitgeber bedeutet es aber vor allem: Die Zahl der Kompromisse und Kulanzregelungen im Alltag nimmt zu. Was täglich in den Behörden geschieht, läuft unter dem Begriff "gebundenes Ermessen". Formell gibt es Vorschriften, praktisch gibt es Einzelsituationen, die der jeweilige Mitarbeiter im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder der Ausländerbehörde entscheidet: "Beispielsweise die Vorrangprüfung wird so gehandhabt, dass nur in seltenen Fällen Flüchtlinge ein Jobangebot nicht wahrnehmen können", sagt Jan Dannenbring vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Auch Maschinenbauer Bauer kennt das. "In der Regel gilt: Wer einen Job hat, hat bessere Chancen." Und so gibt es eine de-facto-Arbeitsmarktöffnung - hinter der die permanente Drohung der Anwendung der Gesetze steht. Es fehlt, was Betriebe seit Monaten fordern: Kontinuität und Verlässlichkeit.

"Ideal läuft es auf jeden Fall noch nicht", sagt Wilhelm von der BDA. Beispiele seien etwa: Menschen aus dem Senegal, die ein Praktikum absagen und in ihre Heimat zurück müssen. Menschen aus dem Kosovo, die in der Ausbildung abgeschoben werden. Ausnahmen - aber solche, die jederzeit jedem drohen. "Wir sehen zwar den politischen Wunsch, die Attraktivität der Flucht nach Deutschland zu mindern. Aber das sollte nicht auf dem Rücken der deutschen Betriebe ausgetragen werden, indem wichtige Maßnahmen zur Integration für diejenigen, die schon hier sind, unterbleiben."

So bleiben zum Jahresbeginn viele Wünsche offen. Der ZDH sähe gern die Vorgaben für die Vorrangprüfung verringert oder abgeschafft. Die BDA würde gerne das Zeitarbeitsverbot abschaffen: "Die wenigsten kommen mit Zertifikaten hier an", sagt Wilhelm. Zeitarbeit führe sie an den Arbeitsmarkt. Auch die Lieblingsforderung des Sommers bleibt unerfüllt bestehen: "3+2" lautet sie - und bedeutet, dass eine Abschiebung während der Ausbildung und zwei Jahre danach ausgeschlossen ist.

Ob all das langfristig hilft, ist bis jetzt offen. Klar ist: Die Botschaft der Abschreckung kommt an. Unternehmer Bauer erzählt, dass Ankommende ihn mittlerweile nicht nur fragen, welche Jobs er anbieten kann. Sondern auch, ob sie die in der Heimat brauchen können.

© SZ vom 02.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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