Arbeit für Flüchtlinge:Sie wollen, dürfen aber nicht

Migrants Arrive On The Beaches Of Kos In Greece

Bei der Erfassung der Flüchtlinge spielt die Qualifikation keine Rolle.

(Foto: Getty Images)

Die Unternehmen brauchen Flüchtlinge - und die würden gerne arbeiten. Doch beiden wird es sehr schwer gemacht.

Von Jan Bielicki, Lea Hampel und Pia Ratzesberger

Für Martin Dries ist das alles nicht neu. Während sich manche Firmen in Deutschland in diesen Monaten und Wochen zum ersten Mal Gedanken machen, wie sie ihre leeren Stellen mit den ankommenden Flüchtlingen besetzen könnten und welche Formalia es dafür braucht, beschäftigt der Bäckermeister aus dem Rheingau schon seit mehr als fünfzehn Jahren Geflohene. Damals kamen die Menschen vor allem aus Kosovo, Kroatien oder Äthiopien in die Region Rüdesheim, erzählt er. Heute kommen sie aus Afghanistan, der Türkei oder Syrien in die Gegend zwischen Weinbergen und Rheinufer. Schon der Urgroßvater von Martin Dries hat hier vor mehr als hundert Jahren die Menschen mit Brot und Gebäck versorgt, heute machen das Dries, sein Bruder und mehr als 250 Mitarbeiter.

Was manche als eine der größten Herausforderungen für Politik und Wirtschaft betrachten, die Integration Hunderttausender Asylbewerber in den Arbeitsmarkt, ist bei der Bäckerei Dries Alltag. In das Unternehmen kommen viele gut qualifizierte Flüchtlinge - und auch für die anderen gebe es genügend Arbeit, sagt Dries. "Aus Flüchtlingen werden irgendwann feste unverzichtbare Mitarbeiter, das vergessen viele." Ein Großteil derer, die vor mehreren Jahren als Asylbewerber zu ihm kamen, sind heute noch dabei. In der Backstube, im Vertrieb, im Fuhrpark. "Ohne all diese Menschen mit Migrationshintergrund würde unser Betrieb nicht funktionieren", sagt der 53-Jährige.

Klassisch unterbesetzte Branchen brauchen Auszubildende

Wenn Dries erzählt, vom Alltag mit Mitarbeitern aus den verschiedensten Nationen, von der größtenteils unkomplizierten Zusammenarbeit, der Bereicherung, könnte man meinen, alles sei ganz einfach. Doch die Wahrheit ist: Das ist es nicht. Dries ist die Ausnahme. Zwar wollen viele Arbeitgeber Flüchtlinge einstellen oder ausbilden, an Institutionen wie das Münchner Amt für Wohnen und Migration und die Handwerkskammer wenden sich vor allem seit Sommerbeginn immer häufiger Unternehmen, die diese Arbeitskräfte suchen. Klassisch unterbesetzte Branchen wie das Hotel- und Gaststättengewerbe hoffen, so ihre Ausbildungsplätze zu füllen. Auch andere Unternehmen, aus der Logistikbranche etwa, zeigen Interesse; Flüchtlinge stehen im Ruf, besonders motiviert zu sein.

Gleichzeitig versucht die Politik, dem immer drängenderen Wunsch der Arbeitgeber nachzukommen. Anfang des Jahres kürzte sie das Arbeitsverbot für Asylbewerber und Geduldete auf drei Monate, auch die Vorrangprüfung fällt nun nach 15 Monaten und nicht erst nach zwei Jahren weg - dann kann der Bewerber eine Stelle antreten, ohne dass die Arbeitsagentur vorher überprüft, ob nicht auch ein Arbeitnehmer mit deutscher oder EU-Staatsbürgerschaft den Job machen könnte.

Die entscheidenden Probleme sind nicht gelöst

Trotzdem aber kommen Arbeitgeber und Flüchtlinge nach wie vor nur schwer zusammen, die entscheidenden Probleme sind nicht behoben. Ein Flüchtling ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht für ein Unternehmen noch immer ein Risiko. Beispielsweise steht bis heute nicht fest, dass jemand, der geduldet ist und einen Ausbildungsplatz antritt, tatsächlich die volle Zeit bleiben darf - obwohl Arbeitgeberverbände das seit Jahren fordern. Nach der Reform des Bleiberechts vor wenigen Wochen kann die Ausländerbehörde den Aufenthaltstitel eines Geflüchteten in Ausbildung jedes Jahr um maximal ein Jahr verlängern, aber im Gesetz steht eben "kann" - und nicht "muss". Das verursacht Stress, bei Betroffenen wie Arbeitgebern.

Der Autohersteller Daimler zum Beispiel beschäftigt in vier deutschen Werken Flüchtlinge in Ausbildung und Praktika, dies seien aber "noch Einzelfälle", sagt eine Sprecherin des Konzerns. Wieso Daimler nicht mehr Asylbewerber einstelle?"Es herrscht eine große Rechtsunsicherheit", heißt es. Man wäre Befürworter des 3+2 Modells, das so viele Arbeitgeber derzeit fordern. 3+2 bedeutet, dass Asylbewerber und Geduldete sicher für die gesamte Ausbildungszeit sowie für zwei weitere Jahre als Facharbeiter im Land bleiben dürften. Solange das nicht passiert, ist es für Firmen die einfachere Lösung einen deutschen Bewerber vorzuzuziehen - wenn es den gibt. Zehntausende Lehrstellen waren in Deutschland zuletzt unbesetzt, allein in der Gastronomie waren es mehr als 7000, Anfang September beginnt nun das neue Lehrjahr. Die Arbeitsplätze wären da, genauso wie die Menschen, die diese Jobs gerne übernehmen würden. Doch die Politik ist nicht schnell genug.

Warum erfasst niemand die Qualifikation der Ankömmlinge?

Ginge es nach der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BdA), sollte die Vorrangprüfung vollständig wegfallen, ebenso das Verbot von Zeitarbeit. "Gerade das wäre oft eine gute Gelegenheit für Asylbewerber, zu zeigen, was sie können", sagt Alexander Wilhelm vom BdA. Auch die Altersbegrenzung für eine Ausbildung sei nicht praxisnah, da viele Ankommende erst die Sprache lernen müssten - das zweite große Problem, an dem sich nichts geändert hat. Einen Anspruch auf Deutschkurse hat niemand, dessen Asylverfahren noch nicht entschieden ist.

Auch Flüchtlinge aus Ländern wie zum Beispiel Syrien, bei denen der Antrag mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen wird, können die Wartezeit so nicht sinnvoll nutzen. Im Schnitt vergehen mindestens fünf Monate, in denen der Asylbewerber zwar schon im Land ist, aber keinen Sprachkurs besuchen darf. Die Bundesagentur für Arbeit spricht sich deshalb dafür aus, Geflohenen "mit Bleibeperspektive" das Deutschlernen zu ermöglichen, schon bevor der Status geklärt ist. "Das macht es sowohl den Flüchtlingen als auch den Arbeitsvermittlern leichter", sagt ein Sprecher.

Viele Bundesländer fördern nur bis zu einem bestimmten Sprachniveau

Doch schon jetzt werden die Mittel kaum reichen, um allen Flüchtlingen, die theoretisch einen Sprachkurs besuchen dürften, solch einen Kurs zu ermöglichen. Der Arbeitsagentur zufolge müssten bei weiter steigenden Flüchtlingszahlen für die Jahre 2015 bis 2017 geschätzt zusätzlich 200 Millionen Euro jährlich zur Verfügung stehen, um den Bedarf zu decken. Vielleicht auch deshalb, weil schlichtweg das Geld fehlt, wird in vielen Bundesländern nur bis Sprachniveau "B1" gefördert.

Nach europäischer Regelung ein Level, auf dem sich Menschen im Alltag bei klarer Sprache und in gewohntem Kontext gut verständigen, aber nicht unbedingt eine Berufsausbildung schaffen können. "Umgangssprachlich kommen sie vielleicht mit 1500 Wörtern aus, aber in einer Ausbildung kommen 5000 bis 10 000 Wörter hinzu", sagt Josef Amann, Bereichsleiter Berufsbildung bei der IHK München und Oberbayern. Natürlich könnte man den Auszubildenden in den Prüfungen entgegen kommen, indem man etwa Wörterbücher zulasse, gleichzeitig aber könne man die Anforderungen nicht senken. Man müsse ein bestimmtes Niveau sicherstellen.

Handwerksmeister, die nach der Arbeit Deutsch beibringen

Genauso problematisch ist, dass viele Asylbewerber zwar bereits mit Vorkenntnissen und Fähigkeiten in Deutschland ankommen - diese aber nicht unbedingt berücksichtigt werden. Was diese Leute für Qualifikationen mitbringen, "darüber wissen wir im Prinzip gar nichts", sagt Thomas Bauer, Vizepräsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung. Niemand erfasst systematisch die Ausbildung der Ankömmlinge, auch wissenschaftlich gibt es kaum Erkenntnisse, allenfalls Hinweise. So hat das Institut für Arbeits- und Berufsforschung (IAB) bei einer Stichprobe unter anerkannten Flüchtlingen festgehalten, dass 13 Prozent der Untersuchten ein Hochschulstudium abgeschlossen, 58 Prozent jedoch keine Berufsausbildung hatten. "Viele haben das, was die Jobcenter multiple Vermittlungshemmnisse nennen", sagt Herbert Brücker, Forschungsbereichsleiter für Migration am IAB. Fehlende schulische Bildung, Flucht-Traumata - und vor allem, auch bei sonst gut ausgebildeten Flüchtlingen aus den Kriegsländern des nahen Ostens: mangelnde Sprachkenntnisse. "Wir haben eine Unmenge von Baustellen", sagt Brücker. Deutschland müsse jetzt dauerhaft Strukturen schaffen, um die Ankömmlinge fit für hiesige Jobs zu machen.

Längst gibt es zwar zahlreiche Initiativen, offizieller wie inoffizieller Natur. Manche Handwerksmeister setzen sich nach dem Arbeitstag mit ihren Lehrlingen hin, um Deutsch zu lernen, es gibt Rentner, die bei Behördengängen helfen und Studenten, die Nachhilfe geben. Einzelne Kommunen, ja ganze Bundesländer haben Programme, die Integration fördern sollen. In Bayern zum Beispiel gibt es sogenannte Berufsintegrationsklassen, die vor einer Ausbildung unter anderem gezielt Sprachkenntnisse vermitteln. Aber weil all das von Ort zu Ort, von Bundesland zu Bundesland variiert, verlieren Arbeitgeber schnell den Überblick.

"Wir müssen ehrlich sein. Ein Großteil dieser Menschen wird bleiben."

Bei einem Gastronomiebetrieb heißt es am Telefon, man arbeite momentan daran, in Zukunft Flüchtlinge zu beschäftigen und lese sich ein, aber es sei "alles sehr komplex". Das anschließende Seufzen zeigt, wie schwer sich Firmen tun. Das juristische Geflecht aus verschiedenen Aufenthaltsstatus und den damit verbundenen Auflagen macht es den Unternehmen nicht leichter. Die Bundesagentur versucht jetzt gegenzusteuern, indem sie die Arbeitgeber aufklärt, in der vergangenen Woche hat sie eine entsprechende Infobroschüre herausgegeben.

Denn das Interesse ist da, man hat verstanden, dass viele Flüchtlinge für lange Zeit in Deutschland sein werden: "Wir müssen ehrlich sein: Ein Großteil dieser Menschen wird bleiben", sagt Alexander Wilhelm von der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände. Deshalb sei niemandem geholfen, wenn Flüchtlingen mit Bleibeperspektive der Zugang zum Arbeitsmarkt versperrt werde. Weder den Geflohenen. Noch der deutschen Wirtschaft.

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