AOL: Rückkehr an die Börse:Der gebrechliche Ex-Gigant

Es ist das Ende einer Desaster-Allianz: AOL muss künftig ohne Time Warner auskommen. Doch auch wenn der neue Chef Zuversicht verbreitet - die neue Strategie ist riskant.

Moritz Koch, New York

Seit acht Monaten ist Tim Armstrong Chef des Internet-Anbieters AOL, doch erst am heutigen Donnerstag wird er sein eigener Herr. AOL geht an die Börse und verlässt den Konzernverbund mit dem Medienunternehmen Time Warner. Die Abspaltung ist voller Risiken, wenn auch nicht für Time Warner, das sich künftig auf die Kerngeschäfte Print, Fernsehen und Kino konzentrieren will. Heikel ist die Eigenständigkeit für AOL, dem die Kunden davonlaufen, und für Armstrong, der sich als Manager beweisen will, doch mit fast unlösbaren Aufgaben konfrontiert ist.

AOL, Foto: AP

AOL verlässt den Verbund mit dem Medienkonzern Time Warner - und geht zurück an die Börse.

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Nur auf den ersten Blick erscheint sein Posten aussichtsreich. AOL zählt zu den bekanntesten Unternehmen der USA. In den 90er Jahren war es ein Schwergewicht in der Internetbranche, verdiente kräftig an Internetgebühren. Doch heute ist AOL ein Außenseiter und das alte Geschäftsmodell obsolet. Kaum einer zahlt noch für eine Software, die einen Internetzugang aufbaut. DSL-Leitungen, Drahtlosverbindungen und moderne Browser sind so einfach zu bedienen, dass die wegzollpflichtigen Einwahlhilfen von AOL überflüssig geworden sind. Immerhin: Fünf Millionen Abonnenten hat AOL noch, doch jährlich gehen mehrere tausend Kunden verloren. Armstrong muss neue Märkte erschließen, wenn AOL wieder wachsen soll. Dafür wurde er geholt.

Internetanzeigen - die große Hoffnung

Er ist jung, gerade einmal 38 Jahre alt und doch schon ein Veteran im Internetgeschäft. Erste Erfahrungen sammelte er bei Software-Start-ups. Später wechselte er zu Google und war für den Anzeigenverkauf auf dem amerikanischen Kontinent verantwortlich. Armstrong hat Google stark gemacht, nun muss er es bekämpfen. Seine Vision für AOL setzt auf die gleiche Geldquelle, die Google so erfolgreich anzapft. Internetanzeigen, die bisher nur 30 Prozent des Gewinns von AOL ausmachen, sollen der Stützpfeiler der neuen Strategie werden.

Allerdings will Armstrong das Werbegeld auf andere Weise anzapfen. 100 Millionen Nutzer klicken sich pro Monat nach Angaben der Marktforscher von Comscore auf die AOL-Seiten vor, das sind mehr als bei den derzeit so erfolgreichen Internetunternehmen Amazon und Facebook. Für diese treue Kundschaft will Armstrong Marketingabteilungen von zahlungskräftigen Konzernen gewinnen - und AOL wieder Glanz geben. Das Unternehmen hat ein miserables Jahr hinter sich. In den ersten neun Monaten brach der Umsatz um 24 Prozent auf 2,4 Milliarden Dollar ein. Noch schneller schrumpfte der Gewinn. 34 Prozent weniger sind es bisher. Nur noch 765 Millionen Dollar hat AOL eingespielt.

Wenn Armstrong von seinen Plänen erzählt, gelingt es ihm schnell, sein Publikum zu überzeugen. Der junge Manager wirkt imposant. Zwei Meter ragt er in die Höhe, hat markante Wangenknochen, einen durchdringenden Blick - und ein außergewöhnliches Vermarktungsgeschick. Er war maßgeblich daran beteiligt, bei Google das lukrative Auktionssystem für Anzeigen zu etablieren. Dabei geben Unternehmen Gebote für besonders attraktive Werbeplätze ab. Armstrong war es auch, der skeptische Werbekunden davon überzeugte, dass die kleinen, zurückhaltenden Annoncen, die Google neben den Suchergebnissen auflistet, oft mehr Aufmerksamkeit erzeugen als blinkende Großanzeigen.

Winzige Geschäfte

AOL hat die Überzeugungskraft des Chefs nötig. Armstrong muss erklären, warum AOL für Werbekunden attraktiv sein soll, obwohl die Seiten wesentlich seltener aufgerufen werden als die von Google, Yahoo und Microsoft. Vor allem aber muss es ihm gelingen, die eigene Mannschaft zusammenzuhalten und zu motivieren. Die AOL-Mitarbeiter sind erschöpft und enttäuscht. Zu oft wurde bei AOL eine Kursänderung angeordnet. Die Firma, die sich Internetsurfern als Kompass andient, hat selbst die Orientierung verloren. "Wir waren zu lange im Dunkeln", räumt Armstrong ein.

Gerne erzählt der Chef von seinen ersten Tagen bei AOL. Damals habe er sich eine Liste sämtlicher Übernahmen und Kooperationen erstellen lassen, die das Unternehmen anstrebte. 900 Posten fanden sich darauf. "Wenn man die Liste durchging, hätte man dann die Strategie des Unternehmens erkennen können?", fragt er. "Mir jedenfalls fiel es schwer." Die meisten Posten waren winzige Geschäfte.

Armstrong will die kleinteiligen Denkstrukturen durchbrechen. AOL soll wieder ehrgeizig werden und das Angebot, das von Technologie-Blogs über den Kinokarten-Kiosk Moviefone und Seiten für afroamerikanische Kultur reicht, offensiv vermarkten. Zunächst aber beginnt die neue Zeitrechnung mit einem Kahlschlag. AOL will ein Drittel seiner 6900 Stellen abbauen, und hartnäckig halten sich Gerüchte, dass das Unternehmen seine erfolgreichsten Internetseiten abstoßen will. Armstrong wird noch viele Skeptiker überzeugen müssen, gerade in den eigenen Reihen.

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