Anti-Terror-Kampf:"Ich baue nur Gemüse an."

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Im Gefangenenlager Guantanamo Bay nehmen die USA ihre Verdächtigen ins Kreuzverhör. Die Mitschriften zeigen: Jede Aussage ist verdächtig.

Nicolas Richter

Im Gefangenenlager Guantanamo Bay versucht die US-Regierung, Hunderte Menschen dem Recht zu entziehen. Es gibt in der jüngeren Geschichte moderner Rechtsstaaten kein vergleichbares Unterfangen.

Hunderte Gefangene ohne Rechte: Außenbereich von Guantanamo. (Foto: Foto: Reuters)

Die amerikanische Regierung behauptet, sie habe keine andere Möglichkeit, sich vor den seit Jahren in Guantanamo einsitzenden, angeblichen Terrorverdächtigen zu schützen. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat sie die "Schlimmsten der Schlimmsten" genannt, unlängst bekräftigte der deutsche US-Botschafter William Timken: "Solange Terroristen abscheuliche Anschläge planen und ausführen, würde keine verantwortungsbewusste Regierung sie freilassen, damit sie es erneut versuchen können."

In Guantanamo lebt eine neue Kategorie von Menschen: enemy combatants, "feindliche Kämpfer", die angeblich zu den Taliban oder zu al-Qaida gehörten. Sie gelten weder als Kriminelle, noch als Kriegsgefangene. Guantanamo wurde abseits des amerikanischen Festlands ausgewählt, weil die Regierung einen Ort suchte, der dem Zugriff amerikanischer Gerichte entzogen sei. Der Supreme Court hat bereits widersprochen, doch bis zu endgültigen Urteilen kann es noch Jahre dauern.

Ob die Gefangenen korrekt als "feindliche Kämpfer" eingestuft wurden, haben bislang abschließend nur die so genannten "Combatant Status Review Tribunals" entschieden. Sie haben alle Insassen des Lagers überprüft. Seit dem 3.März sind die Mitschriften dieser "Guantanamo-Prozesse" öffentlich zugänglich (im Internet: www.defenselink.mil/pubs/foi/detainees/csrt/index.html), weil eine Nachrichtenagentur auf Herausgabe der Unterlagen geklagt hat.

Mehr als 5000 Seiten aus den Verhandlungsprotokollen gewähren den bislang tiefsten Einblick in das System Guantanamo, und nie ist so deutlich geworden, welch rechtliche Farce die so genannten Tribunale waren. Schon die Bezeichnung "Tribunal" ist irreführend. Zu Gericht saßen je drei Angehörige des US-Militärs.

Die Vorwürfe wurden den Gefangenen nur summarisch mitgeteilt, Details blieben militärische Geheimsache. Selbst das so genannte Gericht kannte die Einzelheiten der Anklagen nicht, als es die Verdächtigen anhörte.

Wo viele Terrorfälle schon vor gut vorbereiteten rechtsstaatlichen Gerichten kaum zu lösen sind, so waren sie es vor den Militärtribunalen erst recht nicht: Argumente der Anklage und der Gefangenen sind nicht überprüfbar, Zeugen so gut wie nie zu finden.

Weder sollten diese Tribunale die Wahrheit suchen, noch wiesen sie Schuld nach. Sie beschränkten sich auf eine oberflächliche Glaubwürdigkeitsprüfung, indem sie mit den Gefangenen über Ziegen, Armbanduhren und über das Chaos diskutierten, das nach dem Terror vom 11. September 2001 in Afghanistan entstand.

Die Süddeutsche Zeitung dokumentiert Auszüge in leicht redigierter Form.

Gemüse für die Taliban

Ein Mann aus Kasachstan hat angeblich die Taliban unterstützt, die USA werfen ihm vor, in einem Lager geholfen zu haben. Außerdem soll er in Pakistan Verwandte haben, die als Terroristen bekannt sind. Das Tribunal konfrontiert den Mann zunächst mit den Vorwürfen und stellt dann Fragen.

Tribunal: Der Gefangene reiste, von Kasachstan kommend, im September 2000 nach Kabul in Afghanistan.

Gefangener: Ich habe es vergessen. Es ist zweieinhalb Jahre her. Ich weiß den Monat nicht mehr.

Der Gefangene ist verwandt mit bekannten Terroristen in Pakistan.

Inwiefern?

Ist einer Ihrer Verwandten ein Terrorist in Pakistan?

Ich habe keine Verwandten in Pakistan. Wie kann...

Der Gefangene wohnte in einem Gästehaus der Taliban und arbeitete als Koch in einem Taliban-Lager.

Ich habe es doch schon gesagt. Ich war kein Koch, ich habe nur das Gemüse angebaut. Ich weiß nicht einmal, wie man kocht. Meine Mutter hat immer für mich gekocht.

Wir wissen nicht viel über Sie. Alles was wir haben ist aus dieser - als nicht-geheim eingestuften - Zusammenfassung und das, was Sie uns eben gesagt haben. Wir haben ein paar Fragen, um uns ein Bild Ihrer Geschichte zu machen. Sie und Ihre Familie gingen nach Afghanistan, um Arbeit zu suchen?

Wir hörten, dass alle Immigranten in Afghanistan zu Essen bekommen.

Also waren Sie in einem Haus in Kabul, und alles, was Sie taten, war Gemüse anbauen. Haben Sie sonst etwas getan?

Ich habe mich ums Haus gekümmert. Sonst nichts.

(Der Gefangene erklärt, dass er und seine Familie weder für Nahrung noch Unterbringung etwas zahlen mussten. Die Taliban hätten keine Gegenleistung verlangt. Anm. d. Red.)

Es ist doch sehr außergewöhnlich, dass eine Regierung so großzügig ist und nichts dafür verlangt. Können Sie uns das erklären?

(Der Gefangene antwortet nicht.)

Wenn es heißt, Sie seien verwandt mit Terroristen in Pakistan oder Kasachstan, was meint die Regierung damit?

Sie beschuldigen mich nur. Es stimmt nicht.

Wir versuchen herauszufinden, warum Sie hier sind. Die USA würden jemanden nicht zwei Jahre einsperren, bloß weil er Gemüse angebaut hat. Können Sie uns helfen, das zu verstehen?

(Der Gefangene antwortet nicht.)

Haben Sie in Afghanistan trainiert?

Für was?

Für etwas anderes als Gemüseanbau, vielleicht um der Regierung zu helfen.

Ich tue nichts anderes, als Gemüse anzubauen.

Hat jemand Sie gefragt, ob Sie etwas anderes machen wollten?

Nein.

Welche Gemüsesorten bauen Sie an?

Grüne Paprika, Tomaten, grüne Bohnen, Wassermelonen.

Haben Sie auch Poppies (Mohnblumen) angebaut?

Ich weiß nicht, was Poppies sind.

Blumen.

Eine Art Droge?

Ja, Opium.

Nein, was soll ich damit anfangen?

Es ist populär in Afghanistan, eine gute Geldquelle. Der Garten war also nur für Ihre Familie? Sie haben dieses Gemüse niemandem weitergegeben?

Der Boden ist schlecht. Das Gemüse wächst nicht gut.

Folter

Der Gefangene möchte nicht selbst erscheinen, aber er hat seinen persönlichen Vertreter gebeten, das Tribunal zu informieren.

Vertreter: Keiner der Vorwürfe ist wahr. Er wurde in Pakistan gekidnappt, gefoltert, und bis zu seinem Treffen mit mir am 17. September 2004 hat er ausschließlich unter Nötigung ausgesagt.

Tribunal: Hat der Gefangene erwähnt, ob er hier in Guantanamo gefoltert oder genötigt wurde?

Er sagt, er wird seit seiner Gefangennahme gefoltert. Er hat es dem Roten Kreuz berichtet. Wenn das Rote Kreuz wissen will, wer ihn gefoltert hat, antwortet er: "Wie soll ich einen Namen nennen, wenn die Namensschilder überklebt sind?" Er sagt, in Camp 5 sei ständig das Licht an und die Ventilatoren rauschten permanent, das sei auch schon eine Form von Folter.

Wo wurde er gefoltert?

Er sagt, bis heute.

Verschwörung im Zelt

Ein Afghane und sein Bruder sollen al-Qaida geholfen und einen Anschlag geplant haben. Der Gefangene sagt, er sei bloß Ziegenhirte und Nomade.

Tribunal: Der Häftling wurde in der afghanischen Khwost-Provinz gefangen genommen.

Gefangener: Mein Bruder und ich. Wir hatten eine Herde Ziegen verloren, er schaute durch sein Fernglas, da haben sie ihn gefangen. Auch ich war auf der Suche nach den Ziegen, alsbald nahmen sie auch mich fest.

Der Gefangene bekämpfte die afghanisch-amerikanische Koalition, er machte Fotos und übergab sie dem al-Qaida-Büro in Wana, Pakistan.

Ich bin nicht gegen Amerika, ich bin nicht der Feind.

Der Gefangene organisierte ein Treffen führender Mitglieder der Terrorgruppe Hezb-E Islami Gulbuddin (HIG) in seinem Zuhause, am 10. Dezember 2003. Es ging um einen geplanten Raketenangriff auf die Ratsversammlung Loya Jirga.

Das ist eine falsche Behauptung. Das ist nie passiert.

(Der persönliche Vertreter, eine Art Rechtsbeistand des Gefangenen, ergänzt: Als wir darüber sprachen, sagten Sie, Sie lebten in einem sehr kleinen Zelt, in dem Sie keine Treffen organisieren könnten.)

Wir haben kein Haus, wir hatten nie ein Haus. Wir sind Kutschi. Das bedeutet, eine Woche hier, eine Woche dort. Wir haben kein Apartment.

Hatten Sie eine Waffe?

Nur eine sehr alte Pistole, um mein Zuhause zu schützen.

Ist Ihr Zuhause ein Zelt oder ein Ort, den Sie gelegentlich aufsuchen?

Ein Zelt.

Wie bewegen Sie sich fort?

Auf einem Kamel.

Besitzen Sie eine Kamera oder kennen Sie jemanden, der eine Kamera besitzt?

Ich weiß nicht, was eine Kamera ist.

Durch welchen Teil Afghanistans zog Ihr Stamm?

Wir gehen nach Lugar, aber nur wenn das Gras dort gewachsen ist.

Was ist der nächste größere Ort in der Nähe von Lugar?

Es gibt keinen Ort und keine Stadt, nur einen Berg für die Tiere.

Hatten Sie je mit den Taliban zu tun?

Nie. Wir machen keine Geschäfte mit der Außenwelt. Unser Stamm kommt alleine zurecht. Ich bin schockiert und überrascht, ich weiß nicht, wer diese Dinge über mich geschrieben hat.

Alles geheim

Ein Mann soll in Afghanistan al-Qaida unterstützt haben.

Dolmetscher: Ich lese die Anklagepunkte vor, damit sich der Gefangene dazu äußern kann.

Gefangener: Vorher möchte ich etwas sagen. Wenn Sie fair sein wollen, bringen Sie jeden Zeugen, den Sie haben. Aber ich glaube, Sie haben keine Zeugen. Sie glauben nur, was die Pakistaner sagen.

Tribunal: Die Vertreterin der Regierung, eine Art Staatsanwältin, hat keinen Zeugen gegen Sie benannt.

Gefangener: Die Regierung will Ihnen später geheime Dokumente zeigen. Das ist rechtswidrig. Wenn es geheime Unterlagen gegen mich gibt, sollte das Tribunal sie jetzt erhalten.

Leider ist diese geheime Information, die wir später erhalten, nicht für Sie zugänglich. Daran können wir nichts ändern.

Wenn Sie aber aufgrund geheimer Dokumente entscheiden, die ich nicht sehen kann, ist das unfair.

Dies ist kein Gericht. Wir sind nicht hier, um Sie zu bestrafen. Wir kommen unvoreingenommen her. Wir kennen weder die Beweise gegen Sie, noch Ihre Geschichte.

Sie sagten, Sie wollten feststellen, ob ich ein feindlicher Kämpfer oder ob ich gegen die USA bin. Das ist doch eine Bestrafung.

Wir wollen feststellen, ob Sie richtig eingeschätzt wurden. Wir werden Sie anhören. Aus Gründen der nationalen Sicherheit ziehen wir uns dann zurück und studieren die Geheiminformationen über Sie. Dann erst entscheiden wir.

Die verdächtige Uhr

Ein Ingenieur aus Kuwait war nach dem 11. September 2001 mit 15000 Dollar nach Afghanistan gereist, angeblich wollte er Hilfsgüter verteilen.

Tribunal: Der Gefangene war im Besitz einer Casio-Uhr, Modell F-91W, eine gängige Uhr bei al-Qaida, um selbst gebastelte Bomben zu zünden.

Gefangener: Als sie mir sagten, diese Uhr werde von al-Qaida benutzt, war ich schockiert. Wir haben zwei Uhren in Kuwait, Fossil und Casio. Die Uhr zeigt, wo Mekka liegt, sie hat einen Kompass. Ich bin Muslim und bete fünf Mal am Tag. Ich brauche sie. Viele Leute in Kuwait benutzen sie. Hätte ich gewusst, dass Terroristen sie benutzen, hätte ich sie weggeworfen. Ich bin doch nicht dumm. Wir haben vier Geistliche hier in Guantanamo, sie alle benutzen diese Uhr.

Einer der Alias-Namen des Gefangenen fand sich auf einer Festplatte, die einer Führungsperson al-Qaidas zugerechnet wird.

Können Sie mir diesen Alias-Namen nennen, der in dem Computer gefunden wurde?

Wir haben diese Information nicht in dem zugänglichen Beweismaterial. Ich weiß nicht, welcher Name damals in dem Computer war. Diese Casio-Uhr, war die irgendwie manipuliert, um elektrische Signale auszusenden?

Nur ein Batteriewechsel.

Sie konnten also nichts senden? Nur eine normale Uhr?

Wenn ich sie manipuliert hätte, wäre es dumm gewesen, sie zu behalten.

Keine Zeugen

Der Gefangene soll die US-Truppen in Afghanistan bekämpft haben. Er sagt, er sei ein Bauer und bestreitet, im Besitz von Waffen gewesen zu sein. Jeder in seinem Dorf könne dies bezeugen.

Gefangener: Man fragte mich, ob ich Waffen hätte und ich habe gesagt, das ganze Dorf ist mein Zeuge. Es gibt Hunderte Leute im Dorf. Ich wollte sie alle als Zeugen benennen.

Tribunal: Wir wollten nur zwei Zeugen zulassen, aber Sie waren nicht in der Lage, uns Kontaktinformationen zu liefern. Wie sollen wir hundert Personen ohne genauere Angaben kontaktieren?

Haben alle mein Dorf Galdon verlassen? Lebt da niemand mehr?

Es steht kein Zeuge zur Verfügung.

Warum haben Sie die Zeugen nicht gefunden?

Sie gelten als nicht verfügbar. Auch die Anklage hat heute keine Zeugen.

Sie haben nicht einen Zeugen? Ich habe Hunderte Zeugen in meinem Dorf Galdon, und Sie gehen nicht hin, um diese zu finden.

Wenn Sie sonst nichts zu sagen haben, können wir jetzt weitermachen.

Was heißt weitermachen? Die Sache mit den Zeugen ist mir sehr wichtig. Wenn Sie keine Zeugen haben, habe ich Zeugen. Mein Dorf. Wenn dort jemand sagt, ich sei schuldig, bin ich schuldig. Ansonsten: Was mache ich hier?

Es ist bereits entschieden worden. Es wird keine Zeugen geben.

Die Quadratur des Kreises

Der Gefangene, der sich als Schullehrer für Physik und Algebra ausgibt, soll ein Anführer der Taliban gewesen sein, unter anderem trug er die verdächtige Casio-Uhr, die angeblich von Terroristen benutzt wird. Laut Akte hat der Gefangene keine Ahnung von Wissenschaft.

Tribunal: Kennen Sie die Formel für die Fläche einer Scheibe oder für den Umfang eines Kreises?

(Ein Mitglied des Tribunals zeichnet einen Kreis auf das Papier, um dem Dolmetscher zu erklären, was er von dem Gefangenen erwartet.)

Gefangener: Von einem Punkt zum anderen Punkt sind es 360.

Tribunal (zum Dolmetscher): Weiß er, was die Fläche ist. Es sind 360 Grad, aber kann er die Entfernung oder Fläche ausrechnen? (Er zeigt auf das Papier mit dem Kreis)

Gefangener: (unverständlich) Wenn Sie sie in verschiedene Positionen tun, oder dieses, oder dieses, wie viele Grad. Wenn Sie die Fläche herausfinden, dann haben Sie auch die Außenfläche.

Tribunal (zum Dolmetscher): Haben Sie eine Übersetzung für das Konzept von Pi? Wissen Sie, was Pi ist? (Die Konstante zur Berechnung von Kreisen, Anm. d. Red.)

Dolmetscher: Nein.

Tribunal: Okay, macht nichts. Wissen Sie was, ich ziehe die Frage zurück. (Das Gericht geht weiter der Frage nach, warum der Gefangene laut Anklage nichts von Wissenschaft versteht.)

Tribunal: Wurden Ihnen wissenschaftliche Fragen gestellt, seit Sie hier in Kuba angekommen sind? Ja, einmal brachten Sie mir fünf oder sechs Fragen auf Papier, es war Algebra, Physik und Chemie.

Haben Sie richtig geantwortet? Soweit ich weiß, habe ich richtig geantwortet, aber ich weiß nicht, vielleicht hat es meinen Verstand beeinträchtigt, seit zwei oder dreieinhalb Jahren habe ich kein Studium, kein nichts.

Im Frühjahr 2005 erklärte die US-Regierung, die "Combatant Status Review Tribunals" hätten alle 558 Gefangenen in Guantanamo überprüft. 38 von ihnen würden freigelassen.

© SZ vom 11.3.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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