Anti-Tabak-Gesetz in Australien:Willkommen in der Kindermädchen-Welt!

Es soll der ultimative Schlag gegen die Tabakindustrie sein: In Australien bestehen Zigarettenschachteln künftig fast nur noch aus Warnungen und abschreckenden Fotos. Was mit dem legitimen Wunsch nach besserer Aufklärung für Konsumenten begann, hat sich längst zur Bevormundung entwickelt. Aber zum Menschsein gehört das Recht auf dumme Entscheidungen.

Angelika Slavik

Zigaretten, das steht außer Zweifel, sind eine ziemlich blöde Erfindung. Sie verfärben Zähne und Finger, sie stinken fürchterlich und, ja, sie machen krank. Herzinfarkt, Lungenkrebs, Raucherbein, das volle Programm. In Australien ist nun dieser Tage ein Urteil gefallen, das der ultimative Schlag gegen die Tabakindustrie sein soll: Künftig werden dort Zigaretten aller Marken nur noch in Einheitsverpackungen verkauft. Die Schachteln bestehen dann ausschließlich aus Warnhinweisen und abschreckenden Fotos, die die Folgen des Rauchens verdeutlichen sollen.

Der Name der Marke ist lediglich an einer vorgegebenen Stelle klein aufgedruckt - keine Logos mehr, kein Package Design, nichts. Es ist nur noch Platz für eine einzige Botschaft, und die lautet: Finger weg!

Man könnte das jetzt gut finden: ein Beitrag zur Gesunderhaltung des Volkes, der Kampf gegen eine zweifelhafte Industrie. Aber wenn man genauer hinsieht, wird klar, dass es hier nicht mehr um einen Dienst an den Konsumenten gehen kann, nicht mehr darum, sie umfassend zu informieren - denn die Nachricht, dass Zigaretten wirklich sehr, sehr ungesund sind, ist ja längst überdeutlich angekommen. Wenn es also nicht mehr um Aufklärung geht, worum dann? Die erschreckende Antwort lautet: Es geht um Erziehung.

Damit ist Australien freilich nicht allein, im Gegenteil. In den USA soll die Bechergröße für stark zuckerhaltige Softdrinks begrenzt werden, damit die Amerikaner nicht so viel davon trinken. In deutschen Großstädten darf in der U-Bahn kein Alkohol mehr konsumiert werden. Im Herbst berät man in Brüssel ebenfalls über eine europaweite Verschärfung der Regeln für Zigarettenverpackungen - und man darf davon ausgehen, dass das australische Modell zumindest in die engere Auswahl kommt.

Nanny State nennen die Engländer das, wenn sie sich bevormundet fühlen: Kindermädchen-Staat. Aber der Begriff reicht nicht mehr aus. Als Konsument von heute lebt man längst in einer Nanny World. Immer neue Regeln geben vor, Bürger schützen zu wollen - tatsächlich aber dienen sie bloß dem Versuch, das vermeintlich irrlichternde Volk auf den Pfad der Tugend zu schubsen.

Zwischen Schutz und Bevormundung

Befürworter solch einer Politik argumentieren gerne mit dem Nutzen und dem Schaden für die Allgemeinheit: Raucher, Säufer und Übergewichtige sind teuer. Sie fallen dem Gesundheitssystem zur Last, das müssen alle bezahlen. Sie sind bei der Arbeit weniger produktiv, das müssen die anderen ausgleichen. Sie passen nicht in diese heile Ikea-Idylle der geistig und körperlich fitten, immer ausgeschlafenen und wohlgelaunten Ideal-Bürger, die stets das Optimum rausholen aus sich und für die Volkswirtschaft.

Was mit dem legitimen Wunsch nach besserer Aufklärung für Konsumenten begann, hat sich längst zur Bevormundung entwickelt - und zu einem Klima der Lustfeindlichkeit. Natürlich ist es legitim, sein Leben möglichst gesundheitsfördernd auszurichten, ausreichend zu schlafen, auf seine Abwehrkräfte zu achten und eine Körperfettwaage zu besitzen.

Aber es muss auch legitim sein, seine Prioritäten nicht unter Vernunftaspekten abzuwägen. Ein Raucherbein zu riskieren, bloß weil man die Zigarette im Mundwinkel sexy findet. Bis vier Uhr nachts zu trinken, weil es sich gerade so ergibt. Einen Liter Cola zu bestellen. Fett und hässlich zu werden, seine Leber zu ruinieren. Zum Menschsein gehört das Recht auf dumme Entscheidungen. Die in diesem Zusammenhang so oft zitierte Gemeinschaft muss das hinnehmen.

Zudem stellen all diese Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit auch die Frage in den Raum, wo denn die Grenze gezogen werden soll bei diesem politischen Trimm-dich-Pfad. Welche Art von Vergnügung ist der Gemeinschaft zuträglich - und welche kriegt einen Warnhinweis? Was ist mit Extremsportarten? Körperliche Betätigung steigert die Leistungsfähigkeit, das ist volkswirtschaftlich betrachtet also wunderbar. Schwerere Verletzungen sind aber natürlich gar nicht gut für die Leistungsbilanz, was für ein Dilemma.

Es ist ein schmaler Grat zwischen Schutz und Bevormundung, und damit man das eine nicht mit dem anderen verwechselt, hilft es vielleicht, sich zu verdeutlichen, dass eine Gesellschaft nicht nur aus Optimierten bestehen kann. Es gehören auch die Abseitigen dazu, die Seltsamen, die Dicken, die Trinker und die Müßiggänger. Kurzum: die Ineffizienten. Zu denen muss man nicht gehören wollen, aber man muss es dürfen.

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