Anne Will:Nur die Liebe zählt

Ein besonderer Tag im Leben der Talkmasterin Anne Will: Am Sonntag wurde ihr Privates öffentlich und in ihrem TV-Studio ein Tarifkonflikt - der der Deutschen Bahn - fast gelöst.

Hans-Jürgen Jakobs

Ja, es ist Liebe. Was für ein wunderschöner Satz. Ein Kernsatz des Bekennerjournalismus, der inzwischen zur Spezialität der deutschen Boulevardpresse geworden ist. Am Sonntag gaben TV-Talkmasterin Anne Will und die Medienprofessorin Miriam Meckel via Bild am Sonntag ihre private Kleingruppenbildung bekannt: "Ja, wir sind ein Paar."

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Konfliktlösung via Talkshow: GDL-Chef Manfred Schell mit Moderatorin Anne Will.

(Foto: Foto: ddp)

All you need is love, das gehört schon seit längerem zu den Grunderkenntnissen der modernen Gesellschaft, und die Talkgrößen des heimischen TV-Betriebs scheinen in besonderem Maße zu Amors Zielgruppe zu gehören.

Und doch wurde am Abend des gleichen Sonntags in der ARD-Vorzeigesendung der liebesberauschten Anne Will deutlich, wie weit manche Mitmenschen vom Glück tatsächlich entfernt sind. Da stritten sich die Kombattanten der Deutschen Bahn öffentlich über Tarife, Zulagen und Verträge, so dass Metall-Arbeitgeberpräsident Martin Kannegiesser schon pädagogisch wertvoll befand: "Tarifverhandlungen über das Fernsehen zu führen, das geht nicht."

Irrtum: Im Fernsehen geht fast alles.

"Die überraschendste Liebeserklärung des Jahres" (Bild am Sonntag) war angesichts des Schlagabtauschs im Studio jedenfalls zunächst einmal schnell aus dem Gedächtnis geraten.

Die Sprache wurde blutig. Chefankläger Kannegiesser befand wahlweise, der Bahnstreik ginge auf die Hauptschlagader der deutschen Wirtschaft, es werde Artillerie eingesetzt, wo Florett ausreiche - und überhaupt, der Tarifkampf sei, als ob man eine Granate in den Betrieb werfe.

"Wer zuerst zuckt, verliert"

Aber es ging ja auch, so der Sendetitel, um den "Machtkampf auf der Schiene" oder, wie die Moderatorin es ausführte, vielleicht auch um das Duell zweier Männer: "Wer zuerst zuckt, verliert."

Statt des robusten Bahn-Chefs Hartmut Mehdorn saß seine Personalvorstandsfrau Margret Suckale neben Manfred Schell, dem filouhaften, etwas umständlichen Chef der Lokführergewerkschaft. Die PR-strategisch gut aufgebrezelte Managerin redete so oft davon, dass ihr Unternehmen an alle Berufsgruppen der Bahn denken müsse, dass Kontrahent Schell schließlich sogar befand, sie verkaufe sich gut.

Als Suckale dann auch noch dem Vorschlag eines anwesenden Verhandlungsexperten zustimmte, der gesamte Bahn-Vorstand solle an diesem Montag alle Termine streichen und in die Wahllokale gehen, da war es um den guten Kritiker Schell endgültig geschehen: "Ihre öffentliche Spontanität verwirrt mich", sagte er verwundert zur Bahn-Managerin.

Nur die Liebe zählt

So ist das Fernsehen, Junge, möchte man dem alten Tarifkämpfer gerne sagen: Es stiftet Frieden dem, der mit diesem Medium umgehen kann. Es belohnt Konziliantes und bestraft Aggression. Es siegt, wer gefasst und freundlich wirkt, wer anderen Komplimente macht ("eine tolle Berufsgruppe") und der vor allem die Hände aus dem Gesicht lässt.

Anne Will: Versöhnliches vor der Kamera: Bahn-Personalvorstand Suckale, GDL-Boss Schell und Moderatorin Will (v.l.n.r.).

Versöhnliches vor der Kamera: Bahn-Personalvorstand Suckale, GDL-Boss Schell und Moderatorin Will (v.l.n.r.).

(Foto: Foto: ddp)

Gewerkschafter Schell aber fummelte bei "Anne Will" andauernd mit den Händen am Kinn, er verdrehte die Augen und fiel anderen ins Wort. Er beschuldigte die Bahn, "Millionen durch den Kamin zu jagen" und prangerte einen alten "Staatssozialismus" in der Tariffindung an. Als alle ihm sagten, klar, die Lokführer müssen mehr Geld haben, schloss Schell verwundert: "Ich habe ja nur Freunde hier."

Versöhnung vor der Kamera

Ja, es ist doch Liebe unter den Menschen, vor allem, wenn die Kameras eingeschaltet sind. Eine Talkshow braucht den Krach, sie braucht aber auch die Versöhnung am Schluss. Nur das Verhältnis des Lokführer-Leaders Schell zu seinem Gewerkschaftskollegen Norbert Hansen von der Transnet entzieht sich ausdauernd dem Verlangen nach Harmonie.

Die beiden buhlten im Fernsehen offen darum, wer wohl mehr Gerechtigkeit für die Arbeitnehmer heraushole. "Ich rede doch nicht mit Ihnen, ich rede mit mir selbst", bürstete der nach einem Klinikaufenthalt gut erholte Gewerkschafter Schell den Rivalen ab.

Anne Will lächelte an diesem besonderen Abend eines besonderen Tages fortwährend. Eine unfassbar große TV-Star-Freundlichkeit schwebte über der Szenerie. Auch unverschämte Fragen begleitete eine gewisse Mokanz im Gesicht der Moderatorin, in dessen Grübchen-Landschaft sich die Kamera geradezu leidenschaftlich eingräbt.

Fast entrückt selbstsicher erschien Anne Will in der Veranstaltung "Anne Will", die in sich eine Art Anmaßung war: nämlich eine Art öffentlicher Schlichtung hinzubekommen und Druck aus der Konflikt-Angelegenheit zu nehmen - die das Bahnfahren von Millionen Deutschen bedroht, da selbst unbefristete Streiks nicht auszuschließen sind.

"Anne Will" will etwas bewirken. Sie will kämpfen wie weiland Bild fürs Volk. Bild aber enthüllt inzwischen Liebesgeschichten. Nach diesem Sonntag ist der Befund noch erstaunlicher, dass deutsche Talkmasterinnen eine Prominenz und Aura erreicht haben, die der einer Bundeskanzlerin fast nicht nachstehen.

Spezialthema für den Boulevard

Das war schon bei Sabine Christiansen so, der Vorgängerin von Anne Will, deren Trennung vom untreuen Mann und die späte Hinwendung zu einem Jeans-Unternehmer ebenfalls ein Spezialthema für die Kammerjäger des Boulevards waren, zumal die Dame einmal sprachverwirrt in ihrem Sonntags-TV erschienen war.

Nun also wurde die private Liebe der Anne Will nach Jahren des Tuschelns zum großen Aufmacher, die "ungewöhnliche Liebesgeschichte des TV-Stars", wie Bild am Sonntag formulierte. Und das einige Wochen, nachdem die große Rivalin vom ZDF ebenfalls im Boulevard-Genre gestanden hat: Ja, es ist Liebe, wir sind ein Paar. Aber statt Bild am Sonntag hatte Maybrit Illner die Bild am Montag gewählt, um dort zusammen mit Telekom-Chef René Obermann in wenigen Sätzen das gemeinsame Erleben zu skizzieren.

Selbstredend war das Flämmchen entflammt, als der Manager zu Gast in ihrem TV-Studio war. Fast überflüssig zu erwähnen, dass auch Talkmaster Frank Plasberg ("Hart aber fair") mit seinen amourösen Vorkommnissen Aufmacher-Thema bei Bild war, hier aber offenbar nicht freiwillig.

Ja, es ist Liebe. Ja, es ist das Fernsehen. Hier wird Privates politisch, und nebenbei werden Tarifkonflikte gelöst. Im Übrigen gilt: Nur die Liebe zählt. Und so werden sie weiter im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit bleiben, die Meister des deutschen Polittalks. Sie werden ihre Fragen nach den Befindlichkeiten der Republik stellen, sie werden den Streit lieben, und noch mehr die anschließende Versöhnung. Hauptsache: Es passiert öffentlich in ihrer Sendung.

Spätere Hochzeiten nicht ausgeschlossen.

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