Anleihen:Je flüssiger, desto besser

Anleihen: Derzeit sorgen sich Experten um illiquide Märkte - sie denken an die Krise 2008. Damals beherrschten schlechte Börsennachrichten den Times Square.

Derzeit sorgen sich Experten um illiquide Märkte - sie denken an die Krise 2008. Damals beherrschten schlechte Börsennachrichten den Times Square.

(Foto: Mary Altaffer/AP)

Experten sehen Liquiditätsrisiken an Anleihemärkten und fürchten: Im Ernstfall gibt es nicht genug Käufer. Sie ziehen bereits Parallelen zur Finanzkrise von 2008.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Das schier Unglaubliche trug sich am 15. Oktober 2014 zu. Die Renditen für zehnjährige amerikanische Staatsanleihen fielen binnen weniger Minuten um rund 15 Prozent. Die Börsenprofis waren geschockt, denn ein solches Ereignis auf dem zwölf Billionen Dollar großen Anleihemarkt galt unter Risikoexperten als extrem unwahrscheinlich. "So etwas dürfte eigentlich nur alle drei Milliarden Jahre passieren", sagte Jamie Dimon, Chef der Bank JP Morgan. Die Händler beschrieben die gespenstische Situation so: "Alle Verkäufer schienen für einige Minuten den Markt verlassen zu haben. Niemand war da." An den sonst so lebendigen Börsenplätzen herrschte Grabesstille.

Der eigentümliche Vorfall an der Wall Street hat die Finanzaufseher in aller Welt alarmiert. Was war da los? Gerade der amerikanische Staatsanleihemarkt gilt als sehr effizient. Wie kommt es, dass Investoren, die sonst die kleinste Preisbewegung zur Spekulation nutzen, plötzlich in den Handelsstreik treten? Die Kernaufgabe der Märkte, Käufer und Verkäufer in Sekundenbruchteilen zu einem fairen Preis zusammenzubringen, war außer Funktion. Fachleute formulieren es so: Es fehlte plötzlich die Liquidität. So bezeichnen die Geldprofis den Grad der Leichtigkeit, mit dem Anleger ein Wertpapier zu einem stabilen Preis bei Bedarf abstoßen können. Je liquider die Märkte, desto besser. Je illiquider - desto gefährlicher.

Der IWF warnt bereits: Im Ernstfall könnten die Märkte nicht liquide genug sein

Der Internationale Währungsfonds (IWF) warnte in seinem jüngsten Finanzstabilitätsbericht, dass die Märkte im Ernstfall nicht liquide genug sein könnten, um alle Verkaufswünsche zu befriedigen. Die Experten sprechen von einer "Liquiditätsillusion". Auch der Finanzstabilitätsrat der G20-Staaten ist besorgt: "Es bleibt das Risiko großer Turbulenzen, weil die Liquiditätsrisiken unterschätzt werden", sagte der Vorsitzende Mark Carney.

Was illiquide Märkte für schlimme Konsequenzen haben können, erlebte die Welt, als die amerikanische Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 Pleite ging. Die Märkte waren plötzlich trocken. Von einem Moment auf den anderen. Niemand war mehr bereit ein Wertpapier zu kaufen, und wenn, nur zu absoluten Tiefstpreisen. Die globale Finanzkrise ist vorbei, doch noch immer trocknen Märkte plötzlich aus. Besonders die Anleihemärkte sind betroffen, wo es mitunter zu unerwartet großen Preisschwankungen kommt. Ein Phänomen, das man bis dato nicht kannte.

Einige Experten machen den automatisierten Wertpapierhandel mitverantwortlich für diese Preisverzerrungen. Häufig setzen Börsianer Computerprogramme für den Ankauf ein. Viele dieser Systeme funktionieren ähnlich - somit wird das Herdenverhalten gestärkt. Mitunter sorgen Softwarefehler dafür, dass die Handelssysteme verrückt spielen und irrationale Preise bieten. Doch der Hauptgrund für den Liquiditätsengpass an den Börsen ist wohl die strengere Regulierung der globalen Banken, die früher an den Anleihemärkten als Market Maker auftraten. Das bedeutet: Die Institute standen bereit, um Anleihen zu kaufen, ein paar Stunden zu halten, um sie dann weiter zu veräußern. Banken hielten den Markt liquide. Das ist heute nicht mehr der Fall: Die Regulierer haben solche Geschäfte mit hohen Eigenkapitalanforderungen belegt. Daher lohnen sich diese Market Maker-Geschäfte für die meisten Banken nicht mehr.

Im Ernstfall, wenn viele Anleger ihre Wertpapiere verkaufen wollen, fehlen also die Abnehmer. Die Preise könnten dann viel tiefer fallen als nötig. Eine gefährliche Börsenpanik wäre die Folge.

Könnte, wäre. Wie bei jedem Szenario sind viele Konjunktive im Spiel. Fest steht: Das reibungslose Börsengeschäft mit Wertpapieren ist darauf angewiesen, dass einer verkaufen und ein anderer kaufen möchte, und zwar zum selben Zeitpunkt. Der Vorfall vom Oktober 2014 hat gezeigt, dass das Liquiditätsrisiko ziemlich real ist. Man sieht es aber womöglich erst, wenn es zu spät ist. "Im schlimmsten Fall wiederholt sich das, was nach der Lehman-Pleite geschah: Anleger können Anleihen nicht mehr verkaufen, weil es nicht genügend oder keine Käufer gibt", sagt Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ Bank. "All das ist ein Nebeneffekt der strengeren Bankenregulierung. Man kann dieses potenzielle Problem nicht lösen."

Die Diskussion dieser Risikoszenarien wirkt in diesen Monaten wie von einem anderen Stern, da die Börsen nur eine Richtung kennen: nach oben. Doch der IWF ist ernsthaft besorgt. Was passiert, wenn die Preise an den Börsen wieder fallen? Viele Aktien und Anleihen sind auf Pump gekauft, und die Kredite dazu haben Geldgeber - ohne größere Sicherheitsanforderungen - allzu leichtfertig vergeben. "Wir erleben dieselbe Art von Finanzkonstrukten, die es auch schon vor den letzten beiden Finanzkrisen zu beobachten gab", warnen die Experten des IWF.

Eine Kettenreaktion an den Börsen ist möglich. Besonders die beliebten Indexfonds (ETF) könnten dabei eine gefährliche Rolle spielen. Indexfonds sind Wertpapiere, die beispielsweise exakt die Rendite des Dax bieten. Anlegern bleibt es bei diesem Produkt erspart, die einzelnen Aktien des Index selbst zu kaufen. Doch der Indexfonds ist mit diesen Wertpapieren unterlegt. "Wenn viele Anleger ihre Anleihe-ETF verkaufen möchten, dann muss die Indexgesellschaft die einzelnen Wertpapiere, die im Index sind, auch verkaufen", sagt Bielmeier. "Wenn dann der gewünschte Preis nicht erzielt werden kann, könnte es am Anleihemarkt zu starker Unruhe mit deutlich fallenden Preisen kommen."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: