Anleihemarkt:Riskanter Rückzug

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Die meisten Banken handeln kaum noch mit Anleihen - auch die Deutsche Bank zieht sich nun weiter zurück. Das könnte zur Gefahr für den Finanzmarkt werden.

Von Jan Willmroth, München

Jamie Dimon gehört zu den wenigen Menschen, die weltweit Aufsehen unter Investoren auslösen können. Dafür reichte in diesem Jahr sein Brief an die Aktionäre, den der Chef der US-Bank J.P. Morgan immer zu Jahresbeginn verschickt. Er wies darin auf ein neues Problem hin, das die Finanzwelt in ihre nächste Krise stürzen oder eine solche zumindest verschärfen könnte: Dabei handelt es sich ausgerechnet um die strengeren Vorschriften für Banken, die Exzesse wie vor den Krisenjahren um 2008 eigentlich verhindern sollten.

Die Märkte seien heute weit weniger liquide als noch vor Jahren, schrieb Dimon, und das werde absehbar vor allem in turbulenten Zeiten riskant. Mit Liquidität ist gemeint, wie leicht Investoren ein Wertpapier zum aktuellen Marktpreis kaufen oder verkaufen können. "Das ist besonders in stressigen Zeiten wichtig, weil Investoren dann schnell verkaufen müssen", schreibt Dimon. Ohne Liquidität drifteten Kaufs- und Verkaufspreise auseinander, die Angst wachse, und selbst die flüssigsten Märkte könnten schnell austrocknen. Die Lehman-Pleite 2008 und der Flash-Crash im Jahr 2010 haben gezeigt, wie schnell Liquidität verschwinden kann.

Was Dimon meint, ist derzeit besonders deutlich an den Märkten für Unternehmensanleihen zu sehen. Mit einer Anleihe verschulden sich Unternehmen dort bei Investoren. In den vergangenen Jahren war das angesichts niedriger Marktzinsen relativ leicht: Selbst hoch verschuldete Firmen fanden schnell Käufer für neue Anleihen, die hohe Zinsen versprachen. Seit 2007 stieg die Zahl der Anleihen am Markt um mehr als die Hälfte - die Handelsbestände sind seither allerdings um 75 Prozent gesunken. Das wöchentliche Handelsvolumen bei Schwellenländer- und Hochzinsanleihen hat sich in den vergangenen Jahren nahezu halbiert. Das heißt: Es werden viel weniger Anleihen ge- und verkauft, und wer heute eine große Anzahl loswerden möchte, findet dafür womöglich keinen Käufer.

Das hat viel mit der traditionellen Rolle der Banken in diesem Markt zu tun. Große Geldhäuser haben immer ein Geschäft daraus gemacht, Anleihen selbst zu halten: Investoren konnten mit den Instituten als Zwischenhändler problemlos Anleihen handeln. Market Maker heißt diese Rolle, es ist die englische Bezeichnung für jemanden, der Märkte erzeugt. "Für die meisten Banken ist dieses Geschäft nicht mehr interessant", sagt Andreas Görler vom Vermögensverwalter Wellinvest. Solche Geschäfte werden nun mit hohen Eigenkapitalanforderungen belegt - eine Bank kann also nicht mehr ohne Weiteres eine Anleihe kaufen und wieder verkaufen, ohne dafür eigenes Geld in ihren Büchern zu horten. Das macht das Geschäft teuer und unattraktiv. Da viele Banken auf die neuen Regularien mit kleineren Bilanzen reagiert haben, bleibt darin für Unternehmensanleihen zudem weniger Platz. "Schränkt man die Liquidität einer Anlageklasse ein, muss man stets mit höheren Kursschwankungen rechnen", sagt Görler.

So lässt sich ziemlich plastisch beobachten, wie strengere Regeln, mit denen Banken sicherer werden sollen, auch negative Folgen haben können und Risiken an anderer Stelle erzeugen. Uwe Rathausky, der mit dem Value Event Fonds seiner Fondsgesellschaft Gané inzwischen mehr als eine Milliarde Euro in Aktien und Anleihen investiert, fühlte sich von Jamie Dimon bestätigt: "Wir haben teils schon Schwierigkeiten, Anleihen zu kaufen. Wenn wir Positionen veräußern wollen, ist es noch schwieriger: Mitunter finden wir keinen Abnehmer", sagt er. Sobald am Markt Panik entstehe, sei keiner mehr da, der große Anleihepakete aufkauft und die Schwankungen abfedert. Er hat bereits reagiert, die Anleihequote in seinem Fonds verringert und achtet sehr genau auf die Liquidität von Papieren, die er kauft. Privatanleger investieren eher selten direkt in Anleihen - für sie steckt das Risiko vor allem in den während der vergangenen Jahre beliebten Rentenfonds, die in eine Vielzahl von Anleihen gleichzeitig investieren, so der Investor Rathausky.

Zwar stelle die geringere Liquidität in ruhigen Börsenzeiten kein Problem dar, der Rentenmarkt werde aber künftig deutlich mehr schwanken, erwartet Tobias Spies, Anleihespezialist bei der Vermögensverwaltung Huber, Reuss & Kollegen. "Insbesondere die Rücksetzer werden schmerzvoller", sagt er. Steigt der Stress an den Märkten, sei an einen normalen Handel nicht mehr zu denken. Einen adäquaten Ersatz für die großen Banken als Market Maker gebe es nicht - eine Meinung, die er mit vielen Marktbeobachtern teilt.

Zum Beispiel mit Bill Gross, jenem legendären Renten-Investor, der die Allianz-Tochter Pimco einst zum größten Spieler im Anleihemarkt machte, bis er das Unternehmen kürzlich im Streit verlies. Die neuen Bankenregeln in den USA, schrieb er im Sommer, hätten die Banken mitnichten weniger riskant gemacht - sie hätten die Risiken vielmehr in den Schattenbanken-Sektor verlagert. Dazu zählt er Investment- und Hedgefonds sowie ETFs, für die viel weniger strenge Eigenkapitalregeln gelten als für die Geldinstitute.

"Weil der Markt nun effektiv aus ihnen besteht", schreibt Gross über die Schattenbanken, "würde der ,Markt' bei einem Wettlauf um Liquidität versuchen, an sich selbst zu verkaufen." Die amerikanische Notenbank - und das dürfte gleichermaßen für die EZB gelten - sei dann aber extrem eingeschränkt in ihren Möglichkeiten, Hilfe zu leisten. Für die Gemengelage hat Gross den Begriff "Liquiditätsillusion" gefunden: Das offensichtliche Risiko sei, dass nicht alle Marktteilnehmer durch den gleichen, schmalen Ausgang passen, wenn Panik ausbricht.

© SZ vom 03.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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