Anleger:Sie hören die Kanonen donnern

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Die Dividenden fließen – noch. Das könnte sich wegen Handelsstreit, Brexit und einer rückgängigen Konjunktur bald ändern. (Foto: Thomas Lohnes/Getty)

Die einen haben noch schnell verkauft, die anderen hoffen aufs neue Geschäft: Wie Anleger jetzt reagieren.

Von Felicitas Wilke

Eine von vielen Börsenweisheiten, die Anlegern auf der Suche nach dem perfekten Zeitpunkt zum Handeln helfen sollen, lautet: "Kaufen, wenn die Kanonen donnern." Als am Freitagmorgen bekannt wurde, dass Großbritannien aus der EU austreten wird, donnerten die Kanonen gewaltig. Die Kurse an den Börsen stürzten ab, die Anleger wurden aktiv. Auf den Webseiten der Online-Broker Consorsbank und DAB Bank ging zeitweise nichts mehr, weil so viele Menschen auf ihr Depot zugreifen wollten. Die meisten folgten der Weisheit und kauften Wertpapiere. So verzeichnete die Direktbank ING Diba am Freitag 150 000 Transaktionen - ein Rekordwert, der fast viermal über dem Durchschnitt liegt. In etwa 70 Prozent der Fälle kauften die Menschen Wertpapiere hinzu.

Ähnlich sah es bei der Consorbank aus. Der Brexit lässt nicht nur viele Politiker ratlos zurück, sondern hat auch Banker und Privatanleger überrascht. Man sei zwar auf beide Fälle vorbereitet gewesen, was die eigenen Anlagestrategien angeht, "aber wir haben nicht damit gerechnet, dass es wirklich passiert", sagt Oliver Postler, Chefanlagestratege im Private Banking der Hypo Vereinsbank. Auch die wenigsten Anleger hätten auf einen Brexit spekuliert und vor der Abstimmung ihre Aktien verkauft, sagt Postler. Die Nervosität bei den Menschen sei da, sagt er, das merkten er und seine Kollegen an vielen Anfragen, die seit Freitag von Anlegern eingingen. "Von Panik kann aber nicht die Rede sein", sagt er. Viele Kunden seien nach der Finanzmarktkrise der vergangenen Jahre schon hartgesotten, vermutet er.

"Schwankungen am Aktienmarkt sind eine Gelegenheit" - auch für Neu-Anleger

"Das Schlimmste wäre jetzt, in Panik zu verfallen", sagt Postler. Nicht nur für Anleger, sondern auch für Menschen, die bislang keine Wertpapiere besitzen, könne es sich lohnen, gerade jetzt langfristig ins Geschäft einzusteigen. "Schwankungen am Aktienmarkt sind immer auch eine Gelegenheit", sagt Postler. Einsteiger erhalten die Werte jetzt zu einem vergleichsweise niedrigen Preis, doch wenn die Unternehmen solide wirtschafteten, "dann geht es mit den Kursen auch wieder bergauf", sagt Postler. Und darin bestehe die Chance. Gerade für Werte, die stark mit dem Konsum zusammenhängen, sei die aktuelle Niedrigzinsphase eine gute Zeit mit tendenziell steigenden Kursen. Anleger sollten wissen, findet der Banker, dass mit dem Brexit "die Welt und auch die deutsche Wirtschaft nicht untergehen werden".

Wer bereits ein Portfolio besitze, sollte Postler zufolge aber prüfen, ob sich darunter britische Werte befinden oder Wertpapiere von Unternehmen, die besonders stark mit Großbritannien verflochten sind. In diesem Fall könne man auch über einen Verkauf nachdenken.

Wirft man einen Blick auf den Dax, wird klar, dass besonders die Bankenwerte unter dem Brexit leiden. Der Kurs der Deutschen Bank fiel am Montag auf den niedrigsten Stand, seit es den Aktienindex gibt. Auch bei den Anlegern, die ihr Depot bei der ING-Diba haben, zählten die Deutsche Bank und die Commerzbank in den vergangenen Tagen zu den drei am häufigsten verkauften Aktien. Daneben trennten sich vergleichsweise viele Menschen von ihren Daimler-Aktien. Wohl, weil sie verunsichert sind, wie sich der EU-Austritt auf die Exporte auswirkt. Zu den Aktien, die momentan am häufigsten gekauft werden, gehören neben der Allianz - genau, Daimler und die Deutsche Bank. Wo manche Anleger noch besorgt verkaufen, glauben andere schon an künftige, große Geschäfte. Die Zeit wird zeigen, wer richtig liegt. Denn was den perfekten Zeitpunkt an der Börse betrifft, ist auch auf die klügste Weisheit nicht immer Verlass.

© SZ vom 28.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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