Angela Merkel:Die Kanzlerin - aktensicher und aufgeräumt

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Die Wirtschafts- und Gewerkschaftsbosse treffen sich mit Angela Merkel. Ganz privat. Und es ist anders als mit Schröder.

Marc Beise

Die Herren wollten nichts dem Zufall überlassen. Erstmals waren sie am Dienstagabend gemeinsam zum Tête-à-tête mit CDU-Regierungschefin Angela Merkel und SPD-Vizekanzler Franz Müntefering ins Kanzleramt eingeladen - auch für vier mächtige Verbandspräsidenten mit beinahe täglichen Politikkontakten ist das kein Routinetermin.

Angela Merkel (Foto: Foto: AP)

Nichts sollte jetzt schief gehen, die Interessen der Unternehmen wollten gewinnend formuliert sein.

Also lud Industrie-Präsident Jürgen Thumann seine drei Kollegen am Dienstag für 17 Uhr zum Vorgespräch, und gegen 19 Uhr liefen sie vereinbarungsgemäß vor dem Kanzleramt auf: außer Thumann Arbeitgeberchef Dieter Hundt, Handwerkspräsident Otto Kentzler und der Vorsteher des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Ludwig Georg Braun, allesamt Vertreter des deutschen Mittelstands.

Ohne Tagesordnung

Mit dem Fahrstuhl ging es ganz nach oben. Achte Etage, Kanzler-Wohnung. Das war Angela Merkels erstes Signal: Nicht in einem der Sitzungssäle oder in ihrem 142,5 Quadratmeter großen Büro wollte sie die Herren der Wirtschaft empfangen, sondern vergleichsweise privat in der Wohnung direkt darüber.

Wobei die Privatheit bei Merkel ihre Grenzen hat. Wohnt sie doch anders als ihr Vorgänger Gerhard Schröder auch unter der Woche nicht dort, sondern schläft in ihrer Wohnung nahe der Museumsinsel.

Schon zur Vorspeise - angerichteter Salm - präsentierte sich die Regierungschefin souverän gelassen, angeregt plaudernd, aktensicher und bestens im Film.

Merkel und Müntefering hatten zwei Mitarbeiter mitgebracht, und für die Gäste überraschend stieß auch Hildegard Müller dazu, Diplom-Bankkauffrau, Merkel-Vertraute und jetzt Staatsministerin im Kanzleramt.

Eine Tagesordnung hatten die Büchsenspanner beider Seiten nicht geplant, es sollte ein offenes Gespräch zu allen anliegenden Themen werden: von Ausbildung bis Kombilohn, von Steuerreform bis Staatsverschuldung, von Kündigungsschutz bis Gesundheitsreform, und als Hauptspeise geschmorte Ochsenbacke, dazu Rotwein aus Italien.

Das Koalitionsduo erwies sich als eingespielt. Merkel führte das Wort, aber auch Müntefering fand seine Stichworte. Eine rege Diskussion hob an, die keine Schärfen kannte. Argumente wurden unaufgeregt vorgebracht und zur Kenntnis genommen.

Anders, irgendwie ernsthafter

Klar, dass Müntefering für einen Mindestlohn warb, und Hundt dagegen war. Zum Nachtisch warmer Schokoladenkuchen auf Orange-Vanille-Ragout mit Joghurteis, später Kaffee und Zigarren. Fast wie bei Schröder, und doch ganz anders, irgendwie ernsthafter.

Am Ende, das gilt es festzuhalten, waren die Wirtschaftsführer von ihrer Kanzlerin überaus angetan. Obwohl sie sich präsentiert hatte wie bei der Grundsatzrede vor der eigenen Partei zwei Tage zuvor: die Probleme des Landes aufzeigend, programmatisch nachfragend, aber wenig konkret - eine Frau zwischen neoliberaler Gesinnung und koalitionspolitischer Rücksichtnahme.

Keine Beschlüsse, keine Zielvereinbarungen, keine Arbeitsgruppen - aber es blieb der Eindruck bei den Verbandspräsidenten, dass Angela Merkel auf ihrer Seite ist, irgendwie.

Fragt sich, ob die Gewerkschaftschefs den gleichen Eindruck gewonnen haben, die für Mittwoch Abend ins Kanzleramt geladen waren.

© SZ vom 23.02.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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