Amerikas Aufstieg zum Energiegiganten:Der Größte unter den Riesen

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Ölförderung im Golf von Mexiko: Eine Plattform in Ingleside, Texas. (Foto: Bloomberg)

Seit diesem Sommer sind die Vereinigten Staaten der größte Energieproduzent der Welt. Das Land hat, wie neueste Zahlen zeigen, Russland und Saudi-Arabien überholt. Die Weltwirtschaft wird das durcheinander wirbeln.

Von Kathrin Werner, New York

Ein amerikanischer Traum wird wahr. Seit Richard Nixon und der Ölkrise 1973 haben ihn alle US-Präsidenten geträumt, auch Barack Obama: Die USA wollten energieunabhängig werden, weg vom Öl aus den Schurkenstaaten im Nahen Osten, weg vom Erdgas vom alten Feind Russland.

In diesem Sommer ist den Vereinigten Staaten ein großer Schritt in diese Richtung gelungen - allerdings nicht mit den erneuerbaren Energien, von denen Obama so gern spricht, sondern mit dem alten schmutzigen Öl und Gas: Die Vereinigten Staaten haben Russland und Saudi-Arabien überholt und sind zum ersten Mal der größte Energieproduzent der Welt geworden.

Dies zeigen Zahlen der Internationalen Energieagentur und der amerikanischen Energiebehörde Energy Information Administration, die das Wall Street Journal ausgewertet hat. Im Juli haben die USA demnach jeden Tag insgesamt 22 Millionen Fass Öl, Erdgas und verwandte Energieträger wie Butan gefördert. Ein Fass entspricht rund 159 Litern. Die Maßeinheiten für die anderen Energieträger sind entsprechend ihres Energiegehalts in Fass umgerechnet, Erdgas beispielsweise misst man in Kubikmeter oder Kubikfuß.

Die USA förderten in diesem Sommer eine Millionen Fass pro Tag mehr als im vergangenen Jahr und 30 Prozent mehr als vor zehn Jahren. Kein Land der Welt fördert mehr.

Grund für den Boom ist das umstrittene Fracking, das Umweltschützer heftig kritisieren, weil Wasser und Chemikalien in Gesteinsschichten gepresst werden, um Gas und das so genannte Tight Oil, also fest sitzendes Öl, hervorzudrücken. "Vor der Tight-Oil-Revolution haben die Leute gedacht, dass die Ölversorgung langfristig betrachtet zurückgehen würde, aber jetzt boomt sie", sagt Peter Jackson, der beim Recherchehaus IHS CERA die Abteilung für die Analyse von Öl- und Gasförderung leitet. Früher hätten alle einen rasanten Anstieg des Ölpreises befürchtet, wenn die Ressourcen knapper werden. Nun zeige sich, dass, immer wenn die Preise steigen, auch neue Technik entwickelt werde, um Öl und Gas aus Quellen zu fördern, die vorher als nicht mit vertretbaren wirtschaftlichen Mitteln zugänglich galten.

Amerikas neue Energie-Macht hat weltweite Konsequenzen. "Das wird die Märkte umgestalten. Es wird die Handelsströme erheblich verändern", sagt Jackson. "Das hat einen Einfluss auf die Richtung von Exporten in der Welt, es wird sie von West nach Ost verändern, zum Beispiel nach China."

Länder aus der bisher so mächtigen Organisation erdölexportierender Länder (Opec), etwa Saudi-Arabien oder Venezuela, die derzeit vor allem in die Vereinigten Staaten exportieren, müssen sich dann neue Abnehmer für ihr Öl und Gas suchen. Außenpolitiker fürchten oder hoffen - je nach Standpunkt - außerdem, dass sich die Vereinigten Staaten von ihrer Rolle als Weltpolizist mehr und mehr verabschieden, wenn sie weniger auf Energieimporte angewiesen sind.

Wie lange allerdings Amerikas Fracking-Boom anhält, ist unklar. Auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten wächst der Protest gegen die neue Fördertechnik, die obendrein teuer ist. Wenn die Öl- und Gaspreise fallen, etwa wegen schwächelnder Weltwirtschaft oder wegen eines Überangebots, lohnt sich das Fracking bald nicht mehr. Experten rechnen allerdings mit eher stabilen Preisen. Viele der Öl- und Gasförderer haben sich zudem an Verträge gebunden mit ihren Geldgebern von der Wall Street und mit der Regierung, die Lizenzen vergibt, die es ihnen verbieten, einfach weniger zu fördern.

In Amerika hat das neue Öl- und Gasreichtum die Wirtschaft kräftig angekurbelt und Tausende Arbeitsplätze geschaffen. Das Land importiert bereits 32 Prozent weniger Erdgas und 15 Prozent weniger Öl, was sich positiv auf das traditionell hohe Handelsdefizit auswirkt. Amerikanische Firmen beginnen sogar, Anlagen für den Export von Erdgas per Schiff zu bauen.

Der billige Strom und das billige Gas verschaffen amerikanischen Industriekonzernen einen wichtigen Wettbewerbsvorteil gegenüber Rivalen in Europa und Asien.

Auch europäische Firmen profitieren. Unter anderem Voestalpine und Bayer wollen neue Fabriken in dem Land bauen, weil die Energiepreise dort so niedrig sind. Laut der Unternehmensberatung PWC können produzierende Konzerne in den USA durch das billige Gas bis 2025 jährlich 11,6 Milliarden Dollar sparen. Experten sprechen bereits von einer Re-Industrialisierung des Landes, das lange stark auf den Dienstleistungssektor gesetzt hat. Und weil Gas in der Stromproduktion die schmutzigere Kohle ersetzt, sinkt sogar der CO2- Ausstoß der Vereinigten Staaten.

Ganz genau übrigens lässt sich der Tag nicht bestimmen, an dem die USA die Mitproduzenten Russland und Saudi- Arabien überholt haben, die Daten sind noch nicht komplett. Im Juli produzierte Russland zwar noch 900.000 Fass Öl pro Tag mehr als die USA, allerdings wächst die amerikanische Produktion schon seit Jahren deutlich schneller als die russische. Außerdem förderten die Amerikaner schon im vergangenen Jahr vier Prozent mehr Erdgas als die Russen - zum ersten Mal seit 1982. Und auch bei Gas wachsen die Amerikaner schneller, Russland stagniert. "Nach unserer Auffassung ist es sehr unwahrscheinlich, dass die russische Ölproduktion mittelfristig steigt", sagt Jackson von IHS CERA. "Genau genommen erwarten wir, dass sie anfängt zu sinken, weil es an Investitionen in die Fördertechnik und in neue Fördergebiete wie die Arktis oder in Tight Oil mangelt."

Saudi-Arabien ist zwar nach wie vor der größte Ölförderer vor Russland und den USA, produziert aber weniger Gas. Außerdem legt die Produktion in der Wüste nicht so schnell zu wie die in Amerika. Während der Ausstoß der Araber seit 2008 nur um acht Prozent stieg, waren es bei den USA 30 Prozent.

Eine Einschränkung allerdings gibt es noch bei der amerikanischen Jagd nach Autonomie von Ländern wie Russland, Venezuela oder Saudi-Arabien: Öl ist nicht gleich Öl. Das durch das Fracking gewonnene Schieferöl ist sehr leichtes Öl, ein Großteil des prognostizierten Förderbooms bringt sogar nur die sogenannten Natural Gas Liquids hervor. Sie sind Begleitprodukte der Gasförderung wie Propan oder Butan - und von ihnen haben die USA schon jetzt genug. US-Raffinerien sind aber auf schwereres Öl eingestellt, das Amerika weiter importieren muss. Dennoch: Der amerikanische Traum von der Energieunabhängigkeit, den seit Nixon alle Präsidenten träumten, ist so nah wie nie zuvor.

© SZ vom 05.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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