Amazon:Gruß von der Fleischtheke

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Mit Whole Foods ist der Amazon-Konzern nun Teil der heilen Bio-Welt. (Foto: Rogelio V. Solis/dpa)

Amazon übernimmt die Führung der US-amerikanischen Edel-Biokette Whole Foods und verspricht: "Da kommt noch mehr."

Von Claus Hulverscheidt, New York

Am Tag, als Amazon die Regie übernahm bei Whole Foods, passierte etwas, was viele Kunden der Edel-Biomarktkette wohl noch nie erlebt hatten: Es gab plötzlich Preisschilder mit Cent-Beträgen. Drei kleine Bananen kosteten nur noch 69 Cent, ebenso ein Pfund Kartoffeln - und das in einem Geschäft, das für einen Blumenkohl oder drei Tomaten sonst vier und für 200 Gramm Schnittkäse 8,50 Dollar nimmt. Entsprechend voll war am Montagabend die hypermoderne Whole-Foods-Filiale im New Yorker Gowanus-Viertel, in der sich Kunden die bevorzugten Stücke aus ganzen Schweinehälften herausschneiden lassen können und die oben auf dem Flachdach, auf einer Fläche so groß wie eine Turnhalle, eigene Bio-Kräuter zieht.

Wenn etwas deutlich wurde in diesen ersten Stunden, dann dass Amazon mit dem Einstieg ins Supermarktgeschäft weit mehr anstrebt als nur den Aufbau eines zusätzlichen Standbeins. Online- und Offline-Handel sollen vielmehr voneinander profitieren, sich gegenseitig befruchten, ja, miteinander verschmelzen. Gleich am Markteingang, direkt vor den Erdbeeren, können Whole-Foods-Kunden jetzt den "Echo" in den Einkaufswagen legen, jenen stimmgesteuerten Elektro-Assistenten für daheim, der Fragen beantwortet, Nachrichten vorliest, Musik spielt und - geht es nach Amazon - zum Mittelpunkt des Alltags werden soll. Anstatt 179 Dollar kostet das Wundergerät im Supermarkt nur noch 99 Dollar.

Und das ist nur der Anfang. Schon bald sollen Whole-Foods-Kunden Einkäufe aller Art über Amazon ordern und dann mit ihren sonstigen Bestellungen im nächsten Biomarkt abholen können. Umgekehrt will Amazon die Kühlkammern der Märkte als dezentrale Lagerstätten nutzen, um Kunden Verderbliches rasch und kostengünstig nach Hause liefern zu können. Mitglieder des Amazon-Prime-Programms erhalten im Bio-Laden Vergünstigungen, wer die Amazon-Go-App auf dem Smartphone hat, wird den Supermarkt bald verlassen können, ohne zu bezahlen: Das Handy erkennt von alleine, was gekauft wurde, und bucht entsprechend vom Konto ab.

"Da kommt noch mehr", ist auf den großen, orangenen Schildern zu lesen, mit denen Whole Foods + Amazon die Preissenkungen in ihren mehr als 400 Märkten bewerben. Die Konkurrenz, darunter Costco, Walmart, Target und Kroger, darf die Ankündigung durchaus als Drohung verstehen - und auch deutsche Branchengrößen sollten genau hinsehen, schließlich könnte Amazon auf die Idee kommen, das Experiment auf andere Länder auszuweiten.

Dass Firmenchef Jeff Bezos für den Einstieg in die alte Welt ausgerechnet Whole Foods wählte, ist in mehrerlei Hinsicht gewieft. Zum einen erreicht er damit Besserverdiener-Kunden, die den Online-Service zwar nutzen, aber gern betonen, wie kritisch sie einen Beinahe-Monopolisten mit schlechtem Benehmen gegenüber der eigenen Belegschaft eigentlich sehen. Dass Amazon jetzt Teil ihrer heilen Bio-Welt ist, könnte das Image des Konzerns durchaus aufpolieren. Umgekehrt erschließt Bezos mit Preissenkungen von bis zu 40 Prozent Käuferschichten, für die Whole-Foods-Märkte mit ihrem Zier-Grünkohl und dem stillen Wasser mit Spargel-Aroma bisher wie Raumschiffe von einem anderen Stern gewirkt haben müssen. "Wir wollen, dass sich jeder gesunde Bio-Lebensmittel leisten kann", betonte Jeffrey Wilke, einer der Amazon-Top-Manager in der vergangenen Woche. "Alle sollten die Chance haben, Whole-Foods-Qualität zu essen."

Das ist ein wenig euphemistisch, denn auch unter Leitung von Amazon kostet die Tüte glutenfreie Bio-Haferflocken immer noch 10,99 und das 500-Gramm-Glas neuseeländischer Manuka-Honig 59,99 Dollar. Und doch haben die Preissenkungen offenbar ihre Wirkung: "All diese Schilder im Geschäft sagen: 'Schau, was Amazon für dich tut'", erklärte Stephen Beck, New Yorker Unternehmensberater, in der Washington Post. "Hier geht es gar nicht mehr um Lebensmittel. Es geht darum, Menschen in das Amazon-Ökosystem zu ziehen."

Wer jetzt den Hut auf hat bei Whole Foods, erfuhren die Kunden eines Marktes in Los Angeles am Montag spätestens an der üppig gefüllten Fleischtheke: In der Auslage prangte unübersehbar und wohl geformt das Amazon-"a" mitsamt dem bekannten Pfeil - geformt aus magerem Bio-Hackfleisch.

© SZ vom 31.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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