Amazon:Das nächste große Geschäft

Lesezeit: 3 min

Der Internetkonzern aus Seattle will nun den Gesundheitsmarkt in den Vereinigten Staaten aufmischen - und fühlt bei Krankenhaus­betreibern vor. Der Sektor hinkt bei der Digitalisierung stark hinterher.

Von Kathrin Werner, New York

Spritzen, Latex-Handschuhe, Kittel, Pflaster und sonstiger Arztbedarf klingen erst nicht so, als ließe sich damit ein Vermögen verdienen. Doch Amazon hat diese Produkte als das nächste große Geschäft ausgemacht, in das der Internethändler einsteigen will. Amazon-Vertreter kontaktieren eine Krankenhauskette nach der anderen, zum Beispiel Northwell Health aus New York mit 23 Spitälern und mehr als 650 ambulanten Einrichtungen, das pro Jahr 650 Millionen Dollar für medizinisches Material und OP-Ausstattung ausgibt. Dem Wall Street Journal zufolge testet ein Krankenhausbetreiber im Mittleren Westen Amazon in einem Pilotprojekt als Großlieferanten. "Unser Ziel ist es, etwas ganz Neues zu sein", sagte Amazons Gesundheits-Chef Chris Holt der Zeitung. Das Unternehmen entwickele "neue Fähigkeiten und Features", um Ärzten und Krankenhäusern den Einkauf zu erleichtern.

Amazon Business, die Abteilung für Geschäftskunden, verkauft bereits seit einiger Zeit Waren für Arztpraxen, neben Reißzwecken, Software, Traktorteilen und anderen Dingen, die Firmen brauchen könnten. Im Herbst hatte Amazon in mehreren US-Bundesstaaten Lizenzen erhalten, Medizintechnik und Medikamente als Großhändler verschicken zu dürfen. Die Aktienkurse der großen Krankenhaus-Zulieferer McKesson, Cardinal Health und Owens & Minor sind eingebrochen, als Amazons Pläne bekannt wurden.

Dass die Aufregung so groß ist, liegt daran, dass die 23-jährige Geschichte des Unternehmens aus Seattle gezeigt hat, dass sich Wettbewerber hüten müssen, wenn Amazon in ein neues Geschäftsfeld einsteigt. Zudem sind Amazons Pläne interessant für Aktionäre, Politiker und Patienten, weil sich das Gesundheitssystem der USA in den vergangenen Jahrzehnten kaum verändert hat und bei der Digitalisierung anderen Industrien hinterher hängt.

Kein Land gibt so viel für Gesundheit aus wie die USA. Pro Einwohner sind die Kosten beinahe drei Mal so hoch wie im Durchschnitt anderer Industrieländer. Gleichzeitig sinkt die Lebenserwartung der Amerikaner. Eine Forschungsinstitut der Bank JP Morgan hat berechnet, dass die Gesundheitskosten in den USA bis 2025 schneller steigen werden als das Bruttoinlandsprodukt. Zwischen den Jahren 2000 und 2015 seien sie bereits um 18 Prozent gewachsen. Amazons Einstieg könnte die Preise drücken, Materialien machen einen großen Teil der Ausgaben von Krankenhäusern aus. "Die Veränderungen, die auf die Gesundheitsbranche zukommen, lassen sich nicht aufhalten", sagt Helen Leis von der Managementberatung Oliver Wyman. "Die Industrie wird von außerhalb revolutioniert, wenn sie sich nicht selbst revolutioniert."

Amazon jedenfalls schickt alle Signale, dass der Wandel von außen kommen wird. Manager von Klinikketten gehen am Amazon-Konzernsitz ein und aus. Auf Konferenzen für Zahnärzte soll Amazon bereits mit Werbeständen vertreten gewesen sein. Seit fast einem Jahr gibt es Gerüchte, dass Amazon bald zur Online-Apotheke beziehungsweise zum Pharma-Großhändler und damit Apothekenzulieferer werden will. Amazon will aber erst einmal klein anfangen mit den Pflastern und Laborhandschuhen, glauben Marktbeobachter. So könne der Konzern die Kunden kennen lernen, die angesichts der strengen staatlichen Vorgaben besondere Bedürfnisse haben. Wenn Amazon ein Vertrauensverhältnis mit Ärzten und Krankenhäusern aufgebaut hat, wolle der Konzern in kompliziertere Bereiche einsteigen, etwa das lukrative Geschäft mit Medikamentenversand.

Da hilft es, dass nahezu jeder Amerikaner Amazon kennt und als Privatkunde nutzt. Die Geschäftskonten sehen ähnlich aus wie die Privatkonten, es gibt die gleichen Preisvergleiche und Kundenbewertungen der Produkte, die App funktioniert genauso, die Zustellung ist genauso schnell und für die meisten Waren kostenlos. Das erleichtert den Einstieg für Neukunden, die gegenüber Quereinsteigern in ihre hochregulierte Branche sonst vielleicht skeptischer wären. Wie groß Amazons Erfolgsaussichten sind, muss sich aber erst zeigen. Die Branche ist konservativ. Der Preis zählt weniger als die Qualität. Zudem sind die Krankenhäuser langfristige Verträge mit festen Liefermengen zu festen Preisen gewohnt. Das von Amazon angepeilte System würde bedeuten, dass sie je nach Bedarf zu dem gerade verfügbaren Preis kaufen. John Hammergren, Chef von McKesson, dem größten US-Medikamentenlieferanten mit 200 Milliarden Dollar Jahresumsatz, sagte zu Analysten, dass Amazon, anders als etwa gegenüber Buchhändlern, in dieser Branche keine großen Kostenvorteile habe. Schließlich habe auch McKesson keine Filialen mit massenweise Ladenpersonal.

Doch viele der Konkurrenten nehmen Amazon ernst. Schon deshalb, weil viele Zwischenhändler an dem Ärztebedarf mitverdienen, die Amazon ersetzen könnte. "Es ist ein ziemlich herausforderndes Umfeld", beschrieb Paul Cody Phipps, Chef des Krankenhauszulieferers Owens & Minor, das Geschäft in einer Telefonkonferenz. "Jeder jagt nach Marktanteilen, das setzt die Margen unter Druck." Dass Amazon mit Kliniken spricht, "ist wohlbekannt, darunter sind unsere Kunden".

Auch aus einem anderen Winkel greift Amazon die Branche an: Gemeinsam mit der Beteiligungsgesellschaft Berkshire Hathaway des Investors Warren Buffett und der größten US-Bank JP Morgan Chase will Amazon eine Krankenkasse gründen, zunächst nur für die eigenen Mitarbeiter. Sie soll Lösungen vorantreiben, um die Gesundheitskosten zu senken und das verflochtene System von Krankenhäusern, Ärzten, Apotheken, Versicherern und Pharmakonzernen transparenter zu machen - und billiger. Die Aktienkurse der Versicherer brachen prompt ein. "Das Gesundheitssystem ist komplex und wir gehen diese Herausforderung mit offenen Augen hinsichtlich ihrer Schwierigkeit an", sagte Amazon-Chef Jeff Bezos. Er habe sich vorgenommen, "die Bürde zu senken, die die Gesundheitswirtschaft für die Volkswirtschaft bedeutet."

© SZ vom 22.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: