Amazon als Lebensmittel-Versand:Essen auf Rädern für alle

Fleisch roh

In Los Angeles liefert Amazon bald frisches Fleisch an die Haustür

Amazon will eins der ungelösten Probleme des E-Commerce angehen: Wie verkauft man dem Kunden im Internet ein Steak? Der Konzern will seinen Versand von frischen Lebensmitteln schnell ausbauen. Deutsche Versandhändler zittern nicht - sie freuen sich sogar über die Pläne. Angeblich.

Von Jannis Brühl

Bisher ist es nur eine Art Nachbarschaftshilfe von Konzernchef Jeff Bezos, für die Stadt, die ihn reich gemacht hat: Lediglich in einigen Vierteln in und um das amerikanische Seattle, wo der Versandhändler Amazon sitzt, liefert das Unternehmen seit 2007 auch jene Ware, die so schwierig über das Netz an den Mann zu bringen sind: frisches Essen für den heimischen Kühlschrank - Eier, Erdbeeren und Fleisch.

Die Märkte für Bücher, Technik, Tablets hat Bezos schon verändert mit seinem E-Commerce-Giganten. Doch sein Ziel ist es, Kunden alles, wirklich alles zu liefern, was sie brauchen. Jetzt will Amazon sein "Fresh"-Programm massiv ausdehnen und groß in den Markt für frische Lebensmittel einsteigen, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf Insider. Nach der langen Testphase in Seattle seien ähnliche Angebote in Los Angeles - vielleicht sogar schon diese Woche - und im Laufe des Jahres auch in San Francisco geplant. Sollte sich das Geschäft gut entwickeln, könnte "Amazon Fresh" 2014 in 20 weiteren Ballungsgebieten angeboten werden, auch außerhalb der USA.

Amazon hält sich bedeckt. Eine Sprecherin sagte SZ.de: "Es gibt derzeit keine Ankündigungen von unserer Seite." Es könnte aber bald Neuigkeiten geben. In vielen Ländern - seit 2010 auch in Deutschland - liefert das Unternehmen schon Essen, aber nur nicht-verderbliches wie Nudeln, Chips und Gewürze.

Im amerikanischen Lebensmittelmarkt wurde 2012 ein Umsatz von 568 Milliarden Dollar erzielt. Im Gegensatz zu Büchern, Klamotten und Smartphones stellen Lagerung und Transport von Frischware Versandhändler vor Herausforderungen. Bei manchen Produkten müssen Lieferanten die Kühlkette bis zur Haustür gewährleisten.

Kunden online für Essen zu begeistern, ist schwierig: Wer "Steak" in die Suchfunktion von Fresh eingibt, wird mit kleinen Bildern von Fleischstücken konfrontiert, arrangiert wie Schuhe oder T-Shirts bei Online-Händlern. Die sinnliche Komponente, wie an der Fleischtheke, fehlt. "Die Deutschen sind da produktsensibel", sagt Christian Böttcher, Sprecher des Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels. Zudem sei das Filialnetz der Supermärkte in Deutschland so dicht, dass es Online-Händler schwer hätten. Amazons Pläne findet er "spannend", den Amerikanern traut er zu, die logistischen Probleme zu lösen.

In England sind Lebensmittel aus dem Netz normal

Die deutschen Lebensmittelversender hätten keine Angst vor Amazons Expansionsplänen, sagt Max Thinius von Allyouneed.com, einem der größten deutschen Lebensmittel-Versender, der auch Sprecher des 2012 gegründeten Bundesverband Lebensmitteonlinehandel (BVLO) ist. Im Gegenteil: "Wir haben uns gefreut über die Meldung. Der Markt ist noch auf einem niedrigen Niveau. Da hilft es allen, wenn ein neuer Player Schwung rein bringt." Amazons Angriff steigere die Aufmerksamkeit für die junge Branche. Bezos setzt oft darauf, neue Märkte mit Mini-Margen oder gar Verlusten zu erobern. Gegen aggressive Preisstrategien des Konzerns sieht Thinius zumindest Allyouneed.com gerüstet. Das Unternehmen wurde von DHL gegründet und hat deshalb Vorteile in der Versandlogistik.

Mächtige Gegner

Immer voller lassen die Kunden ihre Pakete packen: Der Umfang der einzelnen Bestellungen steige Monat für Monat um mehr als 100 Prozent, sagt Thinius. Marktanteile einzelner Versender will er nicht schätzen, dafür schwanke der Markt noch zu sehr: "Wer gerade eine Werbekampagne laufen hat, ist Marktführer."

Neben den "pure playern" des BLVO - die ausschließlich über das Netz verkaufen - und regionalen Webseiten haben auch Rewe und Edeka Online-Shops. Kunden können bestellte Ware abholen oder von einem Mindestbestellwert an liefern lassen. Die Ketten haben allerdings das Problem, dass sie nicht zentral versenden können und ihre stationären Geschäfte nicht kannibalisieren wollen. Kunden können bei ihnen online bestellen, dann abholen oder liefern lassen. In Großbritannien hat es die große Supermarktkette Tesco dagegen geschafft, Lebensmittellieferung in der Einkaufskultur zu verankern. Dort liegt der Anteil am Lebensmitteleinzelhandel bei etwa drei Prozent, in Deutschland waren es 2010 0,1 Prozent, ergab eine Untersuchung der Hochschule Reutlingen (PDF). Jeder Deutsche gab statistisch zwei Euro im ganzen Jahr für Lebensmittel im Netz aus. Thinius zufolge sind die wenigen, dafür großen Ballungsräume Englands Tescos Glück: Das Unternehmen konzentriere sich einfach auf London und Manchester. Die Deutschen wohnten dagegen eher verteilt.

In Deutschland würde der notorisch nach Dominanz strebende US-Konzern es übrigens mit einem starken Gegner zu tun bekommen: dem stationären Handel: Edeka, Rewe, Schwarz-Gruppe (Lidl und Kaufland) sowie Aldi dominieren den Markt mittlerweile so sehr, dass das Bundeskartellamt in einer Sektorprüfung untersucht, ob sie zu mächtig sind.

In einer älteren Version dieses Artikels hieß es, Amazon habe eine Stellungnahme abgelehnt. Inzwischen hat sich Amazon geäußert, der Artikel wurde entsprechend aktualisiert.

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