Alterssicherung:Zehn Wahrheiten über die Rente

Alterssicherung: Illustration: Sead Mujic

Illustration: Sead Mujic

Wie lange müssen die Deutschen künftig arbeiten? Und: Reicht die Alterssicherung überhaupt? Die wichtigsten Fakten.

Von Thomas Öchsner

Beim Thema Rente sind viele Menschen skeptisch: Die Hälfte der Deutschen befürchtet einer repräsentativen Forsa-Umfrage zufolge finanzielle Probleme im Alter. 61 Prozent erwarten, dass es der nachwachsenden Generation in Deutschland schlechter gehen wird. 57 Prozent rechnen damit, nach dem 65. Geburtstag noch zu arbeiten. Fast alle glauben, dass das Rentensystem verändert werden muss. Aber wie steht es um die gesetzliche Alterssicherung wirklich?

Die Rente sinkt nicht

Der frühere Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) verkündete einst: "Die Rente ist sicher." Im Prinzip hat Blüm damit nach wie vor recht. Das gesetzliche Altersgeld kommt zuverlässig, immer pünktlich, und Rentenkürzungen sind per Gesetz untersagt. Schlimmstenfalls sind Nullrunden möglich wie von 2004 bis 2006. Aber sinken wird die Rente nie. Tatsächlich steigt das gesetzliche Altersgeld in diesem Jahr sogar besonders stark. Die Bundesregierung rechnet damit, dass die Bezüge für die 20,8 Millionen Rentner bis 2030 um durchschnittlich gut zwei Prozent pro Jahr zulegen werden. Demnach würde sich das Altersgeld für den Standardrentner mit 45 Beitragsjahren, der Jahr für Jahr den Durchschnittsverdienst aller Versicherten (im Westen derzeit 3022 Euro im Monat) erhalten hat, von derzeit 1370 Euro auf 1844 Euro brutto erhöhen.

Das Rentenniveau sinkt

Das Wort "sinken" und "Rentenniveau" bereitet derzeit vielen Bürgern Sorge: Wenn das Rentenniveau sinkt, denken sie, sinkt auch die Rente. Das ist falsch. Das Rentenniveau ist kein Wert in Euro und Cent. Es ist ein Hilfskonstrukt, das in Prozent angibt, wie hoch die Rente für den Standardrentner ist, und zwar im Verhältnis zum Durchschnittsverdienst aller Arbeitnehmer in dem jeweiligen Jahr. Sinkt das Rentenniveau also, zeigt dies lediglich, dass die Löhne stärker steigen als die Altersbezüge. Derzeit liegt das Rentenniveau bei 48 Prozent. Wird nicht politisch gegengesteuert, dürfte es gemäß den Prognosen des Arbeitsministeriums bis 2030 auf unter 45 und bis 2045 auf unter 42 Prozent fallen. Jeder Prozentpunkt, um den das Rentenniveau durch politische Eingriffe erhöht wird, kostet sechs Milliarden Euro.

Altersarmut nimmt zu

Das liegt nicht nur am langfristig sinkenden Rentenniveau, sondern vor allem am Wandel der Arbeitswelt: Deutschland hat Millionen Geringverdiener, Arbeitnehmer mit brüchigen Erwerbsbiografien vor allem in Ostdeutschland, Mini-Jobber, Hartz-IV-Empfänger, Selbständige mit eher mageren Einkommen, die geringe oder gar keine Rentenansprüche erwerben. Selbst einer, der 11,60 Euro pro Stunde verdient und damit deutlich über dem Mindestlohn von 8,50 Euro liegt, wird als Rentner zum Sozialamt gehen müssen. Derzeit müssen drei Prozent der über 65-Jährigen von der staatlichen Grundsicherung im Alter leben. Dieser Anteil dürfte in Zukunft deutlich zunehmen. Auch das Armutsrisiko wird für Rentner steigen.

Der Osten ist nicht benachteiligt

Ein Durchschnittsverdiener sammelt in 45 Jahren genau 45 Rentenpunkte. Diese Punkte haben im Osten mit 28,66 Euro und im Westen mit 30,45 Euro einen unterschiedlichen Wert. Dieser Nachteil wird aber durch ein Sonderrecht in Ostdeutschland mehr als ausgeglichen.

Bringt mehr Rente mehr Kinder?

Dort werden die Löhne aufgewertet, die für die Höhe der Rentenanpassung maßgebend sind. Ein Arbeitnehmer im Osten erwirbt so mit dem gleichen Verdienst eine um acht Prozent höhere Rente. Nun aber kommt die Renteneinheit. Der Rentenwert im Osten wird in sieben Schritten bis 2024 an den im Westen angeglichen. Umstritten ist noch die Frage, wie das zu finanzieren ist.

Mehr Rente bringt nicht mehr Kinder

Einst behauptete Konrad Adenauer das Gegenteil: "Kinder kriegen die Leute immer". Der damalige Bundeskanzler irrte sich, wie der Geburtenrückgang zeigt. 1992 beschloss die Bundesregierung deshalb, das Kinderkriegen durch eine höhere Rente für Frauen attraktiver zu machen: Statt eines Beitragsjahres und Rentenpunkts wurden nun pro Kind drei gutgeschrieben - selbstverständlich nicht rückwirkend. Die Kinder sollten ja dadurch erst geboren werden. Trotzdem setzte die Union in der großen Koalition das zweite Beitragsjahr auch für Mütter mit vor 1992 geborenen Kindern durch, und nun fordert sie das dritte Beitragsjahr für ältere Mütter, schließlich seien doch alle gleich zu behandeln. Mit dem ursprünglichen Ziel des Gesetzes hat das nichts mehr zu tun, und selbst das wurde nicht erreicht.

Die Riester-Rente kann sich lohnen

Volkswirtschaftlich ist die Riester-Rente gescheitert. In den allermeisten Fällen gelingt es nicht, mit der geförderten Zusatzvorsorge die Einbußen beim Rentenniveau auszugleichen. Denn viele Arbeitnehmer haben gar keinen Vertrag, oder sie zahlen zu wenig oder gar nichts mehr ein, oder die Erträge sind zu gering. Für den Einzelnen kann die Riester-Rente aber attraktiv sein, sofern sie oder er alles richtig macht: Der Sparer muss kontinuierlich bis zur Rente in einen kostengünstigen Vertrag einzahlen, und das immer so, dass die maximale staatliche Förderung herausspringt. Das lohnt sich vor allem für Kinderreiche und Geringverdiener.

Zuwanderung löst nicht alle Probleme

Junge Einwanderer, die einen Job bekommen, können das Sozialsystem entlasten. Dies kann helfen, Geld in die Rentenkasse zu bringen, gerade im kommenden Jahrzehnt und um das Jahr 2030, wenn die Babyboomer, die jetzt zwischen 50 und 60 sind, in Rente gehen und die Alterssicherung die größten Schwierigkeiten hat.

Wäre es besser, wenn auch die Beamten in die Rentenversicherung einzahlten?

Der positive Effekt ist jedoch nicht von Dauer. Die neuen Versicherten erhalten auch irgendwann ihre Rente. Integrieren sie sich in die Gesellschaft in Deutschland, werden sie wohl auch weniger Kinder bekommen. Außerdem sind nicht alle Neuankömmlinge junge Menschen. Wer mit 40 oder gar noch später anfängt, in die Rentenversicherung einzuzahlen, hat ein hohes Risiko, im Alter arm und auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein.

Mit Beamten wird nicht alles besser

Über Beamte heißt es im neuen Alterssicherungsbericht der Bundesregierung: "Männer erhalten im Durchschnitt eine monatliche Pension von 2964 Euro und Frauen von 2553 Euro." Natürlich ist bei vielen Beamten die Pension deutlich niedriger, weil die Besserverdiener unter ihnen den Durchschnitt nach oben ziehen. Die gesetzliche Altersrente liegt für Männer im Westen mit durchschnittlich 1040 Euro und 580 Euro für Frauen aber deutlich darunter. Auch hier ist der Durchschnitt verzerrt, weil viele Rentner gar nicht das ganze Leben lang in die Rentenkasse eingezahlt haben. Wären nun auch die Beamten so wie in der Schweiz in der Rentenversicherung Mitglied, wäre dies sicherlich gerechter. Der positive Effekt wäre aber auch nur vorübergehend: Erst kommt Geld in die Rentenkasse, später ist entsprechend mehr auszuzahlen - und das länger als bei normalen Rentnern, weil Beamte eine längere Lebenserwartung haben. Außerdem gibt es bei diesem Modell ein Geldproblem: Bund, Länder und Kommunen müssten für ihre neuen Beamten Rentenbeiträge zahlen - und zugleich jahrelang die noch lebenden Pensionäre finanzieren.

Die Deutschen müssen länger arbeiten

Die Menschen in Deutschland arbeiten immer länger, nicht nur wegen der Rente mit 67, die bis 2031 schrittweise eingeführt wird. Unternehmen schicken Ältere auch nicht mehr so wie früher in den Vorruhestand. Viele fühlen sich fitter, gesünder und wollen länger arbeiten. Es spricht viel dafür, dass dieser Trend andauern wird. Politiker werden sich deshalb wohl dazu durchringen - so wie dies in anderen Ländern bereits der Fall ist - die Regelaltersgrenze für das Renteneintrittsalter von derzeit 65 Jahren und fünf Monaten an die steigende Lebenserwartung anzukoppeln. Dies hätte finanziell einen äußerst positiven Effekt: Das Rentenniveau würde nicht unter 42 Prozent sinken. So könnte man - ohne zusätzliche Steuermilliarden - das Rentenniveau auf 46 Prozent halten. Für viele Menschen in bestimmten Berufsgruppen, die es nicht schaffen, so lange zu arbeiten, wäre dies aber eine verkappte Rentenkürzung. Denn der vorzeitige Ruhestand ist in der Regel mit Abschlägen verbunden. Es wird deshalb darauf ankommen, eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters mit Reformen zu verbinden: Beruflich umzusteigen, müsste leichter möglich sein. Die Renten für Menschen mit einer Erwerbsminderung müssten weiter aufgestockt werden. Die Regeln, wann in Rente zu gehen ist, müssten flexibler werden.

Die Jüngeren sind schlechter dran

Die Jüngeren werden es, gemessen an heutigen Rentnern, weniger gut haben. Sie werden wohl von 2022 an mehr für die Rentenversicherung zahlen müssen. Derzeit liegt der Beitrag bei 18,7 Prozent des sozialversicherungspflichtigen Bruttolohns. Er wird bis 2030 auf fast 22 Prozent steigen. Wenn das Rentenniveau sinkt, trifft dies vor allem die Jüngeren. Von der Ost-West-Renten-Einheit profitieren vor allem Rentner im Osten und rentennahe Jahrgänge. Einbußen haben die Jüngeren, weil ihre Löhne nicht mehr höher gewertet werden. Von der jüngsten Verbesserung der Mütterrente oder der Einführung der abschlagsfreien Rente mit 63 haben 20- oder 30-Jährige nichts. Sie zahlen nur dafür. Doch einen Vorteil haben sie: Sie leben länger und werden länger Rentner sein.

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