Allianz:Anti-Betrugs-Experte unter Betrügerei-Verdacht

Allianz

Ein Anti-Betrugs-Spezialist der Allianz soll sich in den Betrugsabwehr-Systemen der Versicherung ein bisschen zu gut ausgekannt haben.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)
  • Ein Experte für Versicherungsbetrug der Allianz sitzt in Untersuchungshaft - wegen des Verdachts auf Betrügereien.
  • Er soll jahrelang im Verborgenen agiert haben können, weil er die Systeme der Allianz gekannt haben soll wie kein Zweiter.
  • Zwei bis drei Millionen Euro soll der Experte sich insgesamt ergaunert haben.

Von Herbert Fromme, Köln

Der Anti-Betrugs-Spezialist von der Allianz kennt sich aus. Er ist beliebt und hoch angesehen bei seinen Kollegen in der Region, in der er für den größten deutschen Versicherer die Betrugsabwehr verantwortet, und bei den Spezialisten anderer Gesellschaften. Er spricht auf Konferenzen und im kleineren Kreis. Dabei geht es nur um ein Thema: den Versicherungsbetrug und seine Aufklärung.

Jetzt sitzt der einst angesehene Experte nach Informationen von WDR und Süddeutscher Zeitung in Untersuchungshaft. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Er soll einen Millionenbetrag durch Betrügereien bei seinem Arbeitgeber ergaunert haben. Die genaue Summe steht noch nicht fest, aber zwei bis drei Millionen Euro dürften es sein. Die Allianz bestätigt nur, dass es einen Fall gibt, der vom Unternehmen selbst entdeckt wurde, sie sieht das Ganze als Einzelfall.

Offenbar machte sich der Experte zu Nutzen, dass die Betrugsabwehr der Allianz in zwei verschiedenen IT-Systemen arbeitet: Dem neuen Allianz Betriebssystem ABS, das die Allianz Versicherung vor einigen Jahren eingeführt hat, und dem Altsystem. Aus den alten Tagen sind noch eine ganze Reihe von Fällen offen, vor allem wenn sie juristisch durch die Instanzen ausgefochten werden. Bei diesen Fällen sind Versicherungsverträge, Schadenmeldungen, eventuelle Zahlungen und vieles mehr im alten System gespeichert, deshalb müssen die Betrugsexperten der Allianz auch weiter in diesem System arbeiten.

Der Spezialist kannte sich sehr gut in beiden Systemen aus, dem neuen und dem alten. Das hatte er vielen jüngeren Kollegen voraus, die das alte System kaum kennen. Dies erleichterte es ihm offenbar, mindestens sieben Jahre mit seiner Betrugsmasche durchzukommen, die der Versicherer und die Staatsanwaltschaft ihm jetzt vorhalten.

Dem Spezialisten kam sein Ruf als exzellenter Fachmann zugute

Nach deren Erkenntnis erfand der Spezialist zahlreiche juristische Anfragen bei Anwälten im Zusammenhang mit Altfällen. Und er soll die Anwaltskanzleien gleich miterfunden haben, bei denen er honorarpflichtige Anfragen gestellt haben soll. Die Zahlungen für die Anfragen ließ er laut Ermittlern auf mehrere Konten leiten, auf die er Zugriff hatte. Dabei ging es nie um große Summen. Mal waren es 500 Euro, mal 1200 Euro, höchstens 2000 Euro. Nie kam es in die Nähe der 5000 Euro, ab denen ein zweiter Kollege den Auftrag unterzeichnen muss.

Ganz konnte der Täter dem Vier-Augen-Prinzip aber nicht entgehen. Denn das System sucht nach einem Zufallsverfahren eine bestimmte Zahl von Auftragsvergaben heraus, bei denen eine zweite Unterschrift benötigt wird. Hier kam dem Spezialisten offenbar sein Ruf als Fachmann zugute. Die Kollegen winkten die Vorgänge durch, statt sie zu prüfen. Dabei hätte es wohl schon gereicht, den Namen eines der angeblichen Anwälte mit Google zu suchen.

Peinlich, dass der Betrugsbekämpfer jahrelang nicht aufgefallen ist

Im Zuge einer anderen Prüfung, die nichts mit der Auftragsvergabe an Anwälte zu tun hatte, bearbeitete ein Mitarbeiter einen der Altfälle. Dabei fiel ihm auf, dass hier etwas nicht stimmte. Er schaltete die interne Revision ein, die dann schnell die Größe des Schadens erahnte. Der Spezialist wurde fristlos entlassen, die Allianz stellte Strafanzeige. Wegen Flucht- und Verdunklungsgefahr sitzt er nun in Untersuchungshaft.

Die Allianz Versicherung kommt jährlich auf 2,5 Millionen Schadenfälle, dafür wendet das Unternehmen 5,5 Milliarden Euro auf. Betrug ist ein Riesenthema - umso peinlicher, dass der kriminelle Betrugsbekämpfer jahrelang nicht aufgefallen ist. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) schätzt, dass neun Prozent aller Schäden in der Auto-, Haftpflicht- und Sachversicherung Ungereimtheiten aufweisen. Die Branche gibt jährlich in diesen Sparten 51 Milliarden Euro für Schäden aus und beziffert die Betrugssumme auf vier bis fünf Milliarden Euro, genau weiß das niemand.

Mehr als 150 mal reichen Kunden das Foto von Jürgen Klopps kaputter Brille als angeblichen Beweis ein

Einerseits gibt es unverfrorene Gelegenheitsbetrüger: 2011 schlägt Borussia Dortmund-Spieler Nuri Şahin im Siegesjubel nach einem 3:1 über Bayern München seinem Trainer Jürgen Klopp Brille vom Gesicht. Das Foto der zerstörten Brille geht durch die Medien und die sozialen Netze. Mehr als 150 mal reichen Versicherungskunden das Foto als angeblichen Beweis für den Schaden an der Brille eines Freundes oder Nachbarn ein, den die Haftpflichtversicherung bitte erstatten möge.

Andererseits betreiben Kriminelle den Betrug ganz professionell, auch die Mafia. "Versicherungsbetrug gehört mittlerweile zum Instrumentenkasten des organisierten Verbrechens", sagt Kurt Werling, Fachanwalt für Versicherungsrecht aus Ludwigshafen, der für Versicherer arbeitet. Erst brennt die Pizzeria, kurz danach wird auch noch eingebrochen. Eine echte Pechsträhne für den Besitzer, dem vor genau vier Jahren dasselbe schon einmal passiert ist. Brand und Einbruch sind nach Werlings Angaben fingiert. Den Pizzeria-Besitzer kennt der Anwalt gut: Seit 1992 war der Mann bereits an mindestens 14 gestellten Verkehrsunfällen beteiligt, sagt Werling, 2000 wurde er deshalb zu 18 Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt.

Aber auch grundehrliche Kunden geraten leicht in das Raster der Betrugsbekämpfer. Wer nach einem Einbruch nicht mehr jeden Kaufbeleg für den gestohlenen Schmuck hat und den Preis falsch schätzt, wird gerne in die Kategorie "Dubiosschaden" einsortiert. Die Folge: Bei vielen Versicherern stehen Kunden, die einen Schaden melden, zunächst unter Generalverdacht, sehr zum Ärger der Betroffenen. Die Digitalisierung ändert das gerade, weil die Spezialisten mit Hilfe von Bildanalyseprogrammen und anderen technischen Hilfsmitteln die echten Betrüger eher stellen können und so ehrliche Kunden entlasten.

Umso wichtiger sind gute Betrugsabwehrleute. Sie sind gefragter denn je. Der Allianz-Spezialist, der in Untersuchungshaft sitzt, war bekannt für seine ausgezeichneten Fachkenntnisse und Ergebnisse. Der ehemalige Mitarbeiter habe die Betrugskontrollen mit "hoher krimineller Energie und seinem Expertenwissen" umgangen, sagte ein Sprecher. Die Kontrollen seien auch im Urteil externer Prüfer sicher, würden aber jetzt "noch effektiver".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: