Aldi im Ausland:Von Essen-Schonnebeck in die Bronx

German Discount Grocery Chain Aldi Makes Major Inroads In U.S.

Etwa 1300 Filialen hat Aldi in den USA. Der Umsatz geht in die Milliarden.

(Foto: Alex Wong/AFP)

Als Edel-Discounter in der Schweiz, mit nachgeahmten US-Marken oder als günstige Einkaufsalternative der britischen Mittelschicht: drei Beispiele für Aldis Sprung ins Ausland.

Von Kathrin Werner, New York, Björn Finke, London, und Charlotte Theile

Hinter Dutzenden Barber-Shops, Billig-Telefonie-Läden und Autowerkstätten ganz im Osten von Harlem taucht plötzlich ein vertrautes Schild auf: ein blau-rot-oranges Rechteck, vier große Buchstaben: ALDI. Es riecht sogar vertraut, dieser eigentümliche Geruch aus Pappkartons, Tiefkühlfächern und Plastiktüten, nicht mehr ganz frischem Gemüse und nicht ganz frisch gewaschenen Körpern. Der Aldi-Geruch eben. Die deutsche Kette hat in New York inzwischen drei Supermärkte: in Brooklyn, in der Bronx und in Harlem.

Mütter mit vielen Kindern kaufen hier ein, alte Frauen, die ihre Einkaufswagen kaum noch schieben können, und Männer mit fleckigen T-Shirts. Man sieht, dass es New Yorker sind, die ihr Geld zusammenhalten müssen. "Ich glaube, die Qualität ist gut. Und es ist sehr billig im Vergleich zu den normalen Preisen, darum komme ich her", sagt beispielsweise William Conception aus der Bronx. Er hat heute nur eine Zahnbürste und Schokolade gekauft, er war gerade in der Gegend. "Die Preise sind doch eine Strategie von denen, die wollen, dass man ganz viel kauft, weil es so billig ist."

Bisher geht die Strategie von Aldi in den USA auf. Die Kette hat inzwischen rund 1300 Filialen in 32 Bundesstaaten, vor allem im Osten des Landes zwischen Kansas und der Küste. Pro Monat kaufen 25 000 Kunden ein. Im Dezember hat das Unternehmen verkündet, in den kommenden fünf Jahren noch 650 weitere Läden zu eröffnen. Das ist noch immer winzig im Vergleich zu amerikanischen Handelsriesen wie Walmart oder Costco, aber die Zahl der Aldi-Fans steigt. Gerade ist Aldi in einer Umfrage des Branchendiensts Market Force zur Nummer drei der beliebtesten Supermarktketten gewählt worden. Nummer eins war mit Abstand Trader Joe's - also im Prinzip auch Aldi.

Was viele Menschen nicht wissen, besonders nicht hier, ist, dass sowohl Aldi als auch der etwas teurere und schickere Rivale Trader Joe's zur Familie Albrecht gehören. Trader Joe's verkauft wie Aldi vor allem Eigenmarken, setzt aber auch auf Delikatessen und Bio-Produkte. Die Waren sind außergewöhnlich verpackt, etwa die beliebten Minz-Pastillen mit Geschmacksrichtung "Grüner Tee" in einer bunten, altmodischen Blechdose. Die Verkäufer tragen Hawaii-Hemden. Inzwischen sind die Eigenmarken selbst zu Marken geworden - insbesondere bei Großstädtern. Es gibt mehr als 400 Trader-Joe's-Filialen in den USA.

Anders als bei Trader Joe's versuchen die Eigenmarken bei Aldi, wie bekannte amerikanische Marken auszusehen. Im üppig gefüllten Cornflakes-Regal gibt es beispielsweise die üblichen Sorten wie Crispy Oats und Raisin Bran. Man muss wirklich schon genau hinsehen, um zu merken, dass die Produkte nicht von General Mills, sondern der Eigenmarke Millville sind. Es gibt kaum deutsche Marken, aber eine gibt es dann doch: die Schokolade von Moser-Roth, die Storck für Aldi produziert - die schmeckt vertraut.

Großbritannien: Die Krise hilft mit

Der Aktienkurs stürzte auf den niedrigsten Stand seit zehn Jahren ab: Die Ratingagentur Standard & Poor's gab dem britischen Einzelhandelskonzern Tesco vor Kurzem eine schlechtere Bonitätsnote, sie hält ihn nun also für weniger kreditwürdig. Daraufhin rauschte der Kurs der Anteilsscheine in den Keller. Als Grund für die Abwertung nennt die Agentur unter anderem den "steigenden Preisdruck" im wichtigen Heimatmarkt Großbritannien. Und für diesen Preisdruck sind vor allem zwei Unternehmen aus Deutschland verantwortlich: Aldi Süd und Lidl.

Die beiden Discounter wachsen rasant im Königreich und nehmen dem Branchenprimus Tesco und anderen etablierten Supermärkten Kunden ab. Die Untertanen Ihrer Majestät haben offenbar den herben Charme deutscher Billigketten für sich entdeckt - karge Läden, wenig Auswahl, dafür günstigere Preise.

Die Marktforscher von der Firma Kantar Worldpanel erheben regelmäßig die Umsätze in dem Land; die jüngste Statistik deckt die zwölf Wochen von Mitte April bis Mitte Juli ab. Aldi setzte in dieser Zeit sagenhafte 32 Prozent mehr um als im Vorjahreszeitraum, Lidl erzielte ein Plus von 20 Prozent. Tesco hingegen verlor vier Prozent Umsatz.

Zusammen kommen die zwei Billigheimer aus der Bundesrepublik jetzt auf 8,4 Prozent Marktanteil. Sie liegen zwar immer noch weit hinter Tesco mit 29 Prozent, trotzdem schrecken ihre beständigen und hohen Zuwächse die Chefs der etablierten Anbieter auf. Diese reagieren auf die Bedrohung mit milliardenteuren Preissenkungen bei Lebensmitteln wie Milch und Obst.

Aldi Preiskampf

In Groß Britannien konnte Aldi sein Image als Arme-Leute-Laden ablegen. Heute geht dort auch die Mittelschcht einkaufen.

(Foto: Marius Becker/dpa)

Sainsbury's, drittgrößter Supermarkt nach Tesco und Asda, verbündet sich zudem mit einem anderen Discounter gegen die Deutschen. Die Firma geht eine Partnerschaft mit dem dänischen Einzelhändler Dansk Supermarked ein, bis Ende 2015 will das Duo in Nordengland gemeinsam 15 Filialen von Netto eröffnen, der Billigkette der Dänen. Philip Clarke, seit drei Jahren Chef von Tesco, trauen die Anleger allerdings nicht mehr zu, ein Rezept gegen Aldi und Lidl zu finden. Er muss gehen, im Oktober löst ihn Dave Lewis ab, der vom Konsumgüterkonzern Unilever kommt.

Für ihren Siegeszug brauchten die Deutschen das richtige Umfeld - die Finanzkrise 2008 und die darauffolgende schwere Rezession in Großbritannien schufen es. Aldi wagte schon 1990 den Schritt über den Ärmelkanal, Lidl vier Jahre später, doch in die schäbigen Läden verirrten sich anfangs nur arme Briten. Weil die tiefe Wirtschaftskrise dann aber die Einkommen generell schrumpfen ließ, trauten sich in ihrer Not auf einmal auch Familien aus der Mittelschicht in die seltsamen Geschäfte. Was sie fanden, gefiel ihnen, weswegen die Umsätze weiter steigen, obwohl die Krise vorbei ist. Der Erfolg der Billigheimer bereicherte sogar den englischen Wortschatz: Diskutieren Journalisten und Politiker darüber, dass Mittelschichtsfamilien sparen müssen, ist jetzt oft von der "Lidl Class" oder den "Aldi Mums" die Rede.

Schweiz: Ein bisschen edel

Im Hintergrund sind die Berge, ein See, und grüne Bäume zu sehen, eine gemütliche schweizerische Kulisse. In der Mitte der Homepage laufen die Angebote der Woche herunter: Französische Stangensalami, 8,99 Franken (etwa 7, 50 Euro) pro Stück, ein Merlot von 2009 für 17,90 Franken, Steinofenbaguettes für 1,49 Franken die Packung. Was wie der Ausverkauf eines Delikatessenhändlers anmutet, ist in Wirklichkeit: Aldi Suisse.

Die Schweizer Version des Lagerhallen-und-Pappkarton-Discounters ist seit 2005 dabei, den eingespielten Markt des kleinen Landes durcheinanderzuwirbeln. Aber nicht mit einem harten Preiskampf, wie zuvor viele gemutmaßt hatten, sondern mit französischen Wochen, fertig zubereiteten Bio-Snacks, naturbelassenen Holzregalen und günstigen Urlaubsreisen. Und: natürlich mit Preisen, die dann doch noch einige Prozentpunkte unter jenen der günstigsten etablierten Händler liegen.

Die beiden großen, schicken Schweizer Supermarktketten Migros und Coop haben seit dem Markteintritt von Aldi und Lidl - Letztere haben seit 2009 jedes Jahr Dutzende Filialen eröffnet - Marktanteile verloren. Der Schweizer Discounter Denner, eine Tochter der Migros und nach wie vor drittgrößter Lebensmitteldetaillist des Landes, investiert im großen Stil in neue Filialen. Die Hochpreisinsel Schweiz, in der Agrarzölle und eine überdurchschnittlich große Kaufkraft jahrelang extrem teure Warenkörbe ermöglichten, steht unter Druck. "Schweizer Händler im Bann der Discounter" schrieben die Zeitungen, oder: "Deutsche Discounter graben Schweizer Läden Kunden ab."

Die Konkurrenz reagierte zwischenzeitlich gereizt. Es gehe nicht, dass Aldi und Lidl Artikel unter Einstandspreis verkauften, befand Migros-Chef Herbert Bolliger 2009 und drohte, er könne sich auch vorstellen, in Süddeutschland zu expandieren. Es kam anders: 2013 musste Migros verkünden, dass die vier deutschen Filialen von Rewe übernommen würden.

German Discount Grocery Chain Aldi Makes Major Inroads In U.S.

In der Schweiz punktet Aldi vor allem mit Spezialitäten und Aktionswochen.

(Foto: ag.afp)

In der Zwischenzeit ist wieder etwas Ruhe eingekehrt, scheinen sich die Schweizer Lebensmittelhändler an die Billigkonkurrenz gewöhnt zu haben. Marktführer Migros, der auch mit einer eigenen Bank, Klubschulen und Fitnesscentern Geschäfte macht, konnte im vergangenen Jahr sieben Prozent zulegen, auch der noch etwas teurere Coop verbesserte seinen Umsatz leicht.

Die Presse für die Eindringlinge verbesserte sich ebenfalls. Im Dezember 2013 stellte der Tagesanzeiger fest, dass "die Discounter bei den Arbeitsbedingungen aufholen". Gut acht Jahre nach dem Markteintritt zahlt Aldi Ungelernten für eine Vollzeitstelle mindestens 4200 Franken, in Zürich und Genf sogar 4694 Franken; mehr als die etablierte Konkurrenz. Und genau wie diese setzen die deutschen Discounter auf Schweizer Produkte und lokales Flair. Die größte Schwierigkeit für alle Lebensmittelläden sind schließlich die Supermärkte jenseits der Grenze zu Deutschland - wo man Rotwein, Salami und Steinofenbaguette für insgesamt weniger als fünf Euro erwerben kann.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: