Alarmierende Prognosen:Einige Ost-Städte bald nur noch halb so groß

Eine neue Studie rüttelt Stadtplaner auf: Bis 2020 werde es zu einer erheblichen Abwanderung junger Leute aus den neuen Ländern kommen, prognostizieren Forscher der Bertelsmann Stiftung. Die Ballungsräume im Westen seien ihr Ziel.

Michael Bauchmüller

Sorgen hatte das sachsen-anhaltinische Wolfen schon genug: Mit den schwierigen Hinterlassenschaften der riesigen DDR-Chemiewerke etwa. Oder mit über 21 Prozent Arbeitslosigkeit, einem hohen Wert sogar innerhalb Sachsen-Anhalts.

Alarmierende Prognosen: Wegen Überbestand abgerissen: Plattenbauten in Dresden.

Wegen Überbestand abgerissen: Plattenbauten in Dresden.

(Foto: Foto: AP)

Doch die neueste Nachricht trifft die 25.000-Einwohner-Stadt noch viel existenzieller. Bis 2020 könnte die Bevölkerung Wolfens gegenüber 2003 um 47 Prozent geschrumpft sein, heißt es in einer Studie der Bertelsmann-Stiftung, die seit dem Wochenende öffentlich ist.

In ihrem "Wegweiser Demographischer Wandel" ließ die Stiftung untersuchen, wie sich die Bevölkerung in deutschen Gemeinden mit mehr als 5000 Einwohnern entwickeln werde.

Infrastruktur in Frage gestellt

Jede zweite Kommune, so fanden die Forscher heraus, wird bis zum Jahr 2020 schrumpfen. Insbesondere ostdeutsche Städte und Gemeinden stehen vor einem Aderlass, der ihre gesamte Infrastruktur in Frage stellt.

Ähnlich wie Wolfen wird es auch den sächsischen Städten Hoyerswerda und Weißwasser gehen; auch sie verlieren möglicherweise noch einmal rund 40 Prozent ihrer Einwohner.

Grund, so heißt es in der Studie, sei die besonders starke Abwanderung der 18- bis 24-Jährigen. "Die Ergebnisse sind zum Teil dramatisch", sagt Kerstin Schmidt, die das Projekt leitete.

Ballungsräume profitieren

Ballungsräume und deren Vororte dagegen können bis 2020 von den Wanderungen profitieren. Orten wie Wentorf bei Hamburg oder Ahrensfelde bei Berlin prognostiziert die Studie bis 2020 Zuwächse von 40 Prozent. Auch München (plus 7,8 Prozent) zählt zu den Wanderungsgewinnern.

Einige Ost-Städte bald nur noch halb so groß

Einen anderen Trend aber werden auch diese Regionen nicht stoppen: Alle Kommunen Deutschlands werden älter, wenn auch auf unterschiedlichem Niveau.

Das niedersächsische Cloppenburg etwa, eine der jüngsten Städte Deutschlands, wird der Prognose zufolge bis 2020 durchschnittlich nicht mehr 38, sondern 42,5 Jahre alt sein. Die Bewohner der nachwuchsgeschwächten Stadt Wolfen könnten bis 2020 im Schnitt 56 Jahre alt sein; wiederum ein Spitzenwert.

Drei von vier ostdeutschen Kommunen, so ergab die Untersuchung, leiden unter Schrumpfung und Überalterung, fast jeder Ort verliert per saldo Einwohner.

Urbane Kerne stärken

"Die Kommunen müssen sich umbauen", fordert Projektleiterin Schmidt. "Sie müssen ihre urbanen Kerne stärken, mehr für alte Leute tun, überflüssige Infrastruktur zurückbauen." Wo einzelne Gemeinden mit Verwaltungsaufgaben überfordert sind, sollen sie nach Kooperationsmöglichkeiten mit anderen suchen.

Häufig müssten die schon geschwächten Kommunen dabei noch Führungsaufgaben übernehmen - denn umliegende Orte mit weniger als 5000 Einwohnern, von der Studie nicht erfasst, seien oft noch schlechter dran.

Doch die Erkenntnisse sollen nicht desillusionieren, sie sollen aufrütteln. Ziel sei es, ein Frühwarnsystem aufzubauen, das Städte rechtzeitig auf die Entwicklung hinweist. "Für die Kommunen ist es der erste Schritt," sagt Schmidt, "die Realität zu erkennen."

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