Aktivist Bono:"Wir schleichen nach Bethlehem"

Der U2-Sänger und Afrika-Aktivist Bono über Kanzlerin Merkel, sympathische Deutsche - und sein Image als Gutmensch.

Claus Hulverscheidt

Seit über einem Jahrzehnt engagiert sich Bono, 47, der Sänger der irischen Rockband U2, für Afrika. Gemeinsam mit seinem Musikerkollegen Bob Geldof ist er das Aushängeschild der Entwicklungsorganisation Data. Anders als ebenso prominente Afrika-Aktivisten wie etwa hierzulande Herbert Grönemeyer, die vor allem auf Protest setzen, sucht Bono gezielt das Gespräch mit Präsidenten, Regierungschefs und Wirtschaftsbossen.

Aktivist Bono: U2-Sänger Bono: "Der Kampf gegen die Armut geht immer noch nicht schnell genug".

U2-Sänger Bono: "Der Kampf gegen die Armut geht immer noch nicht schnell genug".

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Bono, die deutsche G-8-Präsidentschaft geht zu Ende. Ist die Welt in diesen vergangenen zwölf Monaten eine bessere geworden?

Bono: Die Antwort lautet: ja - aber der Kampf gegen die Armut geht immer noch nicht schnell genug. Wir schleichen sozusagen nach Bethlehem.

SZ: Vielleicht sind Sie zu ungeduldig. Internationale Politik ist ein schwieriges und langwieriges Geschäft.

Bono: Das mag ja sein, aber ich versuche den Politikern immer wieder beizubringen, dass sich ihre vielen Trippelschritte in den Geschichtsbüchern nicht wiederfinden werden. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Vor mehr als zehn Jahren haben wir zum ersten Mal mit der US-Regierung über eine Initiative zur Entschuldung der ärmsten Länder der Welt gesprochen, die später HIPC-Initiative genannt wurde. Die Idee war, diesen Ländern zur Jahrtausendwende einen Neuanfang zu ermöglichen, wenn sie im Gegenzug mehr für Bildung und Gesundheit tun und die Korruption bekämpfen...

SZ: ... wozu es dann ja auch kam.

Bono: Aber es dauerte Jahre, bis HIPC von den Parlamenten der G-8-Staaten endlich verabschiedet war, zudem wurde die Initiative zeitweise verwässert. Am Ende aber erließen nicht nur die Industriestaaten den armen Ländern die Schulden, sondern auch der Internationale Währungsfonds und die Weltbank. Seither können in Afrika 29Millionen Kinder mehr zur Schule gehen.

Jahre später traf ich den damaligen amerikanischen Präsidenten Bill Clinton, und er sagte zu mir: "Ich hätte mir von der Öffentlichkeit ein wenig mehr Applaus für unsere Initiative erwartet." Ich habe geantwortet: "Herr Präsident, die Menschen können eine Melodie nur im Ohr behalten, wenn sie nicht zu kompliziert ist. Hätten Sie sich am Silvesterabend 1999 hingestellt und erklärt, dass ab morgen mit Beginn des neuen Jahrtausends alle Schulden gestrichen sind, wären Sie in die Geschichtsbücher eingegangen."

SZ: Was sagt dieses Beispiel über die Arbeit von Angela Merkel als G-8-Präsidentin des Jahres 2007?

Bono: Kanzlerin Merkel hat Großes geleistet. Die Entwicklungshilfe- und die Investitionszusagen für Afrika wurden deutlich erhöht, und es ist besonders bemerkenswert, dass hier ein Land Führungsstärke gezeigt hat, das selbst mit der Überwindung seiner Teilung viel zu tun hat. Wenn jemand dazu fähig ist, Führung zu übernehmen und eine neue Partnerschaft zwischen Europa und Afrika zu begründen, dann ist es Frau Merkel. Ein ebenso großes Lob gebührt allerdings auch Heidemarie (Wieczorek-Zeul, d. Red.).

"Wir schleichen nach Bethlehem"

SZ: Das klingt ja beinahe hymnisch. Hat Merkel Ihre Erwartungen wirklich zu hundert Prozent erfüllt?

Bono: Nicht zu hundert Prozent. Aber sie hat dafür gesorgt, dass Deutschland auf den rechten Weg zurückfindet und seine Versprechungen gegenüber Afrika tatsächlich einhält.

SZ: Und was hat nicht geklappt?

Bono: Was Merkel trotz aller Mühen nicht gelungen ist, ist auch die Länder zum Umkehren zu bewegen, die in die falsche Richtung marschieren. Aber wahrscheinlich waren meine Ansprüche an sie an dieser Stelle auch einfach zu hoch.

SZ: Sie haben die Kanzlerin in diesem Jahr mehrfach getroffen. Aber hat der G-8-Vorsitz auch die normalen Bürger in Deutschland dazu gebracht, sich stärker mit dem Thema Afrika zu befassen?

Bono: Das ist das, was mich am meisten begeistert hat. Wir hatten ja vor dem G-8-Gipfel in Heiligendamm ein Data-Büro in Berlin eröffnet, von dem wir damals noch nicht wussten, ob es nach dem Treffen wieder geschlossen wird. Tatsache ist, dass es das Büro immer noch gibt und wir mehr Mitarbeiter eingestellt haben, weil das Interesse der Menschen so groß ist. Ich habe bei meinen Besuchen in diesem Jahr ein ganz neues Deutschland kennengelernt - ein Deutschland, das mir sehr sympathisch ist. Die Deutschen hätten Grund genug, sich unter Verweis auf ihre eigenen Probleme beim Thema Afrika zurückzuhalten. Aber sie tun es nicht: Und das ist wichtig, auch weil wir ein Gegengewicht zu China brauchen, das derzeit ganz Afrika okkupiert.

SZ: Die Kanzlerin und die Deutschen ziehen also an einem Strang?

Bono: Es bewegt sich etwas in Deutschland, das spürt man regelrecht. Und es wird politisch geführt. Als John F. Kennedy 1963 ankündigte, bis zum Ende des Jahrzehnts den ersten Menschen zum Mond zu schicken, hatte er vorher keine Meinungsumfragen in Auftrag gegeben. Er führte, und die Menschen folgten ihm. JFK also brachte die Menschheit auf den Mond - und Angela Merkel könnte diejenige sein, die sie wieder auf die Erde holt, um hier unsere Probleme zu lösen: Malaria, Aids, mangelnde Bildung vor allem von Mädchen, Klimawandel.

SZ: Beim Gipfel in Heiligendamm waren viele Entwicklungsorganisation aber mächtig verärgert über die Ergebnisse, die die Kanzlerin präsentierte. Der Tenor war: Hier wird Geld versprochen, das in der Vergangenheit auf die ein oder andere Weise schon fünf Mal versprochen worden war. Alter Wein in neuen Schläuchen sozusagen.

Bono: Das stimmt für die G8 insgesamt, aber nicht für Deutschland. Deutschland hat nicht betrogen, das lässt sich am Bundeshaushalt ablesen. Betrogen haben andere, Frankreich etwa oder Italien. Bei einem meiner Treffen mit den Regierungschefs in Heiligendamm ist einer von ihnen eingeschlafen, während ich sprach ...

SZ: Wer war das?

Bono: Ich nenne keinen Namen. Es kann ja auch daran liegen, das ich ein Langweiler bin, Frau Merkel aber ist nicht eingeschlafen. Sie hat Interesse gezeigt, und sie hat vor allem nicht viel versprochen und wenig geliefert.

"Wir schleichen nach Bethlehem"

SZ: Wenn wir uns recht erinnern, waren Sie doch selbst auch stinksauer über die Beschlüsse von Heiligendamm.

Bono: Ja sicher. Es ist ja schon schlimm genug, wenn Politiker gegenüber ihren Wählern Versprechen brechen. Wenn sie das aber gegenüber den Ärmsten der Welt tun, heißt das, dass Tausende Menschen sterben werden. Das ist doch unfassbar! Vor allem die Italiener haben jedes Versprechen, das sie gegeben haben, gebrochen.

SZ: Was muss in den afrikanischen Ländern selbst passieren?

Bono: Auch da ist natürlich viel zu tun, von guter Regierungsführung bis hin zur Korruptionsbekämpfung. Am wichtigsten ist es aber, eine aktive Zivilgesellschaft zu befördern. In Uganda wurde vor einiger Zeit die Eltern-Lehrer-Vereinigung gegründet, die mitverfolgen kann, wofür Bildungsgelder verwendet werden. Seither ist der Prozentsatz der Mittel, die tatsächlich dort ankommen, wo sie ankommen sollen, von 20 auf 90 Prozent gestiegen.

SZ: Es wird ja immer wieder argumentiert, dass Geld allein nicht reichen wird, um Afrika aus dem Sumpf zu ziehen. Sie aber werben vor allem um Finanzhilfen.

Bono: Natürlich: Geld ist nicht alles, aber ohne Geld geht es auch nicht. Vor einiger Zeit wurde bei einer internationalen Konferenz die Frage gestellt, ob jemand ein Land kennt, das dank finanzieller Hilfe den Aufstieg geschafft hat. Ich habe mich gemeldet und gesagt: Irland. Mein Land hat soviel Geld von der EU erhalten, dass es heute wohlhabend ist. Dann hieß es: O. K., aber fällt Ihnen auch noch eins ein? Und ich sagte: Deutschland - nach dem Zweiten Weltkrieg.

SZ: Was muss hinzukommen?

Bono: Das zweite Thema nach dem Geld ist der Handel: Es ist doch Wahnsinn, dass die Staaten Afrikas mehr Güter nach Amerika als nach Europa verkaufen, das immerhin ihr Nachbarkontinent ist. Und das Dritte ist: Umweltschutz. Diejenigen Menschen, die am meisten unter dem Klimawandel leiden werden, sind die, über die wir gerade geredet haben - die Ärmsten.

SZ: Menschen wie Ihnen, Geldof oder Sting wird immer wieder unterstellt, dass die Hauptantriebsfeder für Ihr öffentliches Engagement und Ihr Posieren mit Regierungschefs ein übersteigertes Ego oder PR in eigener Sache sei. Andere sprechen abfällig von "Gutmenschentum". Schmerzen Sie solche Vorwürfe?

Bono: Es mag wohl sein, dass das Ego eine gewisse Rolle spielt. Gäbe es solche Menschen aber nicht, wäre der Mount Everest nie bestiegen worden, und wir wären auch nicht auf dem Mond gelandet. Und der Vorwurf, ich wolle Werbung für U2 machen, ist geradezu lächerlich. Wenn Sie gegenüber Adam, Larry und The Edge (Bonos Bandkollegen, d. Red.) behaupten würden, dass meine Aktivitäten der Band helfen, würden die Jungs Sie packen, in eine Zwangsjacke stecken und in ein Irrenhaus bringen.

SZ: Warum also engagieren Sie sich?

Bono: Für mich ist es Dienst am Nächsten. Darüber kann man gerne lachen, aber ich sage: Ich möchte das, was ich habe, nutzen, um anderen zu helfen.

SZ: Kommen Sie bei all ihren Aktivitäten noch dazu, Musik zu machen?

Bono: Oh ja, ich werde im kommenden Jahr an meinen regulären Arbeitsplatz zurückkehren und eine neue Platte aufnehmen. Natürlich werde ich auch für Data wieder viel unterwegs sein. Meine U2-Kollegen haben aber mein Foto an alle Polizeistationen der Welt verteilt und darum gebeten, mich im Zweifel zu verhaften und nach Hause zu bringen.

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