Airbus:Gemeinsam - und doch getrennt

Die Deutschen wollen helfen und die Franzosen fühlen sich überrollt - woher der Zank bei Airbus in Toulouse rührt.

Michael Kläsgen

Die Kantine für die etwas gehobeneren Airbus-Mitarbeiter in Toulouse (das geben sie einem jedenfalls zu verstehen) ist ein angerosteter Klotz. Er liegt neben der Zubringerautobahn A 624 in dem Industriegebiet mit dem schönen Namen Saint-Martin du Touch. Zum Mittagessen müssen die Airbus-Mitarbeiter das Firmengelände verlassen.

Der Ausgang befindet sich in einer Sackgasse, in der Taxis offenbar suspekt sind. Jedenfalls wird der Fahrer von einem Mann im Kleinwagen angehalten und nicht sehr freundlich gefragt, was er denn hier suche. Die Mitarbeiter müssen eine Treppe hinabsteigen und unter der Autobahnunterführung hindurchlaufen, um zu dem brauen Flachbau zu kommen.

Spricht man sie auf die deutsch-französischen Spannungen im Unternehmen an, stellt sich bald heraus: Ja, die gebe es, aber hier in Saint-Martin, wo die Büroarbeit erledigt wird, sei es noch erträglich. Nach allem was man so höre, gehe es drüben in Blagnac schlimmer zu, wo der A380 montiert wird. Die Bösewichte, so ist das im Leben, sind immer die anderen und Gerüchte leicht mit der Wirklichkeit zu verwechseln.

Zwei französische Gewerkschafter jedenfalls berichten, dass vor dem Bürogebäude eine mit dem Handy telefonierende Deutsche rassistisch von vorbeifahrenden Franzosen beschimpft worden sei. Auch die Beschimpfung "sales boches" (in etwa: deutsche Drecksäue) aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs höre man wieder häufiger. "Das ist wieder geläufig", sagt Christian Meloni von der Gewerkschaft CGT.

Er warnt zwar vor Übertreibungen. Ob es Hakenkreuze in den Umkleidekabinen der Werkshallen des A380 gegeben habe, so wie es in der Zeitung Ouest-France stand, kann er nicht bestätigten, die Gewerkschaftskollegen von der FO sagen ja, die IG Metall nein.Dorthin hat man als Externer natürlich keinen Zugang, aber man kann mit den Arbeitern des Werkes Jean-Luc Lagardère in Blagnac reden, die den Riesenvogel montieren.

Auffällig ist, dass die Franzosen unter ihnen, wesentlich gesprächiger sind als ihre deutschen Kollegen, wobei es vermutlich nur die auf Ausgleich Gesinnten sind, die sich öffnen. Einer von ihnen nimmt sich in seiner Mittagspause auf dem Weg zwischen Kantine und Werksdrehtür sogar viel Zeit. Er trägt einen Blaumann, auf dem der Airbus-Schriftzug zu sehen ist. Auf der Arbeitskleidung vieler seiner deutschen Kollegen steht auf Brusthöhe der Familienname. Vielleicht ist das der Grund, warum fast alle mit einem "Kein Kommentar" oder "Dazu dürfen wir nichts sagen" davonhuschen.

"Wir meiden uns gegenseitig"

Der junge französische Familienvater redet hingegen ruhig und besonnen, als habe er endlich jemanden zum sprechen gefunden: "Wir bauen zwar gemeinsam Flugzeuge", sagt er, "aber wir leben aneinander vorbei. Ja, im Prinzip gehen wir uns aus dem Weg und meiden uns gegenseitig."

In der glasumrandeten Kantine sitzen die französischen und deutschen Mitarbeiter tatsächlich getrennt. Und auf der überdachten Kantinenterrasse nebenan stehen sie zwar in ihren blauen und schwarzen T-Shirt und Polo-Hemden dicht gedrängt und sehen wie eine Einheit aus, ihren Kaffee trinken sie aber getrennt. Das liegt schon allein an der Sprache. An einem dritten Ort, auf der Terrasse der Cafeteria am Haupteingang des Werks genießen drei Deutsche die Mittagssonne; es dauert eine Weile, bis sie Unverfängliches von sich geben.

"Wenn man hier nur für kurze Zeit hinkommt, braucht man die Sprache eigentlich nicht, außer bonjour oder bonsoir. Wenn man bei der Arbeit über technische Dinge reden muss, ist das Vokabular sowieso zu schwierig, auch in Englisch", sagt einer. Die Sprachhürde scheint allerdings auch nicht das größte Problem für die Franzosen zu sein. "Das Problem ist eher die fehlende interne Kommunikation", sagt der junge Familienvater und ergänzt.

"Wir wissen nicht, wie viele Deutsche noch kommen, warum sie überhaupt kommen und wie lange sie bleiben." Was er wiederum nicht weiß, ist, dass auch die Deutschen dies nicht wissen, versichern jedenfalls die drei auf der Terrasse.

"Ich weiß nicht mal drei Tage im Voraus, wann ich meine Kinder wiedersehe", sagt einer. Ein anderer hat immerhin die Gewissheit, für 18 Monate nach Toulouse entsandt zu werden. Er will dann seine Familie mitnehmen und die Kinder in die internationale Schule schicken, aber was danach kommt - "keine Ahnung".

Im Hintergrund auf dem Werksgelände steht ein ungewöhnlich klein wirkender A380 wie bestellt und nicht abgeholt sozusagen nackt ohne Anstrich da. Um dieses Flugzeug geht bei den Querelen. Die Deutschen sind gekommen, um die stockende Produktion hochzufahren. Aber ihre schiere Zahl weckt Ängste bei den Franzosen.

"Im Moment sind es knapp 2500 und wir sind nicht einmal tausend. Und alle Schlüsselpositionen haben Deutsche besetzt", sagt der Mann in Blau. Da kommen offenbar unschöne Erinnerungen an Belagerungszeiten auf, wie sie die Schmierereien dokumentieren. Bestärkt werden sie von unterschiedlichen Arbeitskulturen, die deutsch, also rigide erscheinen. "Wenn es ein Problem gibt, machen die Deutschen sofort ein Foto und erstellen einen Bericht, den sie an ihren Vorgesetzten schicken", sagt der Franzose. Aber was ihn und die anderen am meisten wurmt, ist die unterschiedliche Bezahlung.

"Die verdienen 40 Prozent mehr als wir, obwohl wir die gleiche Arbeit machen", sagt er. Warum, wisse er nicht. Es liegt an der Zulage für die Entsendung, erklärt später der CGT-Gewerkschafter Alain Milhau, der seit 1972 in der Flugzeugindustrie in Toulouse arbeitet. Er erinnert sich, dass diese Zulagen schon Unmut erzeugten, als vor Jahren Airbus-Mitarbeiter von Toulouse nach Marignane bei Marseille entsandt wurden.

"Das hat großen Streit zwischen den Franzosen verursacht. Der Ärger heute hat deswegen nur bedingt war mit Nationalitäten zu tun. Er hat seinen Ursprung darin, dass viele glauben, ungleich und daher ungerecht behandelt zu werden", sagt Milhau. Die CGT, sonst gern kampfbereit, spielt in diesem Konflikt den Schlichter. Milhau kreidet der sonst eher gemäßigten Konkurrenz-Gewerkschaft FO an (die bei Airbus in der Mehrheit ist), die Ressentiments gegen die Deutschen zu schüren.

Aber die eigentliche Schuld am gegenwärtigen Zank geben die französischen Gewerkschafter und indirekt auch die Mitarbeiter dem Management. "Eine effiziente Arbeitsorganisation gibt es nicht", sagt Milhau. "Das Verkabelungsproblem beim A380 ist seit zwei Jahren ungelöst und eine Standardisierung der Produktion nicht möglich, weil bei dem Flugzeug jede Airline seine Sonderwünsche anmelden kann." Die Sonne strahlt ihm ins Gesicht.

Die Mittagspause ist vorbei. Drinnen in der Werkshalle gehen Franzosen und Deutsche wieder ihrer Arbeit nach, gemeinsam und doch getrennt.

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