Affäre um Rücktritt des EU-Kommissars Dalli:Lügen und Lutschtabak

Eine bizarre Affäre aus Brüssel: Der maltesische EU-Kommissar Dalli trat wegen vermeintlicher Bestechlichkeit zurück - doch alles könnte ganz anders gewesen sein. Es geht um schwedische Spezialitäten und eine Tabaklobbyistin mit Phantasie. Und ausgerechnet die EU-Antikorruptionsbehörde soll Zeugen zu Falschaussagen angestiftet haben.

Javier Cáceres, Brüssel

Lange Zeit schien sie bloß müde dahinzudümpeln. Doch nun nimmt die Affäre rund um den Rücktritt des früheren Gesundheits- und Verbraucherschutzkommissars John Dalli wieder an Fahrt auf. Der französische Europaabgeordnete José Bové (Grüne) legte am Donnerstag in Brüssel vor Journalisten die Aufzeichnung eines Gesprächs vor, die nahelegt, dass die europäische Antibetrugsbehörde Olaf, deren Ermittlungen zu Dallis Rücktritt geführt hatten, wichtige Zeugen aufgefordert hat, vor dem Europaparlament mindestens irreführende, möglicherweise sogar unwahre Aussagen zu tätigen. In letzter Konsequenz stünde damit mehr denn je infrage, wie weit sich Korruptionsvorwürfe gegen Dalli persönlich halten lassen können.

Dalli selbst, der nach Auskunft von Bové wegen einer Depressionskrankheit behandelt wird, hatte stets seine Unschuld beteuert - und erst vor wenigen Wochen vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Europäische Kommission geklagt. Er versicherte, Kommissionschef José Manuel Barroso habe ihn auf sehr unsanfte Weise zum Rücktritt gezwungen.

Hintergrund der Dalli-Affäre ist die Novellierung der Tabakgesetzgebung, die in Dallis Händen lag - und zur Jahreswende von dessen maltesischem Landsmann und Nachfolger Tonio Borg auf den Weg gebracht worden ist. Mitte Oktober war Dalli öffentlich beschuldigt worden, von angeblichen Geldforderungen eines befreundeten maltesischen Geschäftsmannes namens Silvio Zammit an den skandinavischen Tabakkonzern Swedish Match gewusst zu haben.

Swedish Match stellt unter anderem ein rauchfreies Lutschtabakprodukt namens Snus her, das nur in Schweden vertrieben werden darf. Die Schweden hatten die Hoffnung, dass dieses Exportverbot aufgehoben werden könnte - und kontaktierten Dalli über eine maltesische Anwältin und Lobbyistin namens Gayle Kimberley, die für eine Pauschale für Swedish Match tätig war.

Ein explosives Detail

Dass Dalli und Kimberley sich im Januar 2012 auf Malta trafen, ist unbestritten. Die neuen Ungereimtheiten kreisen nun aber um ein angebliches zweites Treffen. Kimberley hatte Swedish Match telefonisch mitgeteilt, dass sie sich auch am 10. Februar 2012 mit Dalli getroffen hatte und danach von Zammit mit einer Forderung konfrontiert worden war: Für 60 Millionen Euro sei Dalli bereit, sich selbst politisch zu verbrennen und das Snus-Exportverbot aufzuheben. Ein hauptamtlicher Swedish-Match-Mitarbeiter namens Johann Gabrielsson setzte sich daraufhin ins Flugzeug nach Malta und traf dort Zammit, der die Forderung bestätigt haben soll. Von seinem Chef erhielt Gabrielsson umgehend die Order, Malta wieder zu verlassen, ohne auch nur einen Cent zu zahlen, versteht sich. Nun aber stellt sich heraus, dass es das zweite Treffen zwischen Kimberley und Dalli nie gegeben hat. Kimberley selbst hat dies Medienberichten zufolge bei einer Vernehmung durch die maltesische Justiz eingestanden. Ein Detail, wohl wahr. Aber eins, das möglicherweise explosive Wirkung hat.

Denn die Gerüchte, dass Kimberley das zweite Treffen nur erfunden hatte, kursierten schon länger. Dalli selbst hat stets behauptet, dass er Kimberley nur ein einziges Mal getroffen hat. Pikant wird es nun, weil der Europaabgeordnete Bové in dieser Woche Gabrielsson traf - und in diesem Gespräch erfuhr, dass die Antibetrugsbehörde Olaf wohl ebenfalls länger wusste oder vermutete, dass es nur ein Treffen gegeben hatte. Gabrielsson jedenfalls erklärte Bové gegenüber, von Olaf aufgefordert worden zu sein, bei einer Anhörung vor dem Parlament die Version von den "zwei Treffen" aufrechtzuerhalten, "um die Ermittlungen nicht zu gefährden".

Von Olaf war vorerst keine Stellungnahme zu erhalten - wohl aber von der CDU-Europaabgeordneten Ingeborg Gräßle. Sie hegt schon länger den Verdacht, dass gegen Dalli mit Methoden ermittelt wurde, die unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zumindest zweifelhaft sind. Nun sei "das Parlament offenbar belogen" worden. Gräßle fordert den Rücktritt von Olaf-Chef Giovanni Kessler. Olaf widersprach am Donnerstag der Darstellung, irgendjemanden zu falschen oder irreführenden Angaben angestiftet zu haben.

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