Affäre um beeinflusste Betriebsräte:Im Dienst der Führung

Die Wahrheit über die Finanzierung der Alternativ-Gewerkschaft AUB wurde durch den langjährigen AUB-Chef und Ex-Siemens-Betriebsrat Wilhelm Schelsky selbst dokumentiert.

Von Klaus Ott und Uwe Ritzer

Nur noch zwei Wochen bis Weihnachten, aber von heimeliger Stimmung keine Spur bei der Sitzung des Aufsichtsrates der Siemens AG am 10. Dezember 1997. Ärger droht, als sich unter Punkt 6 der Tagesordnung ein Funktionär der IG Metall zu Wort meldet.

Er zweifle daran, dass die Wahl der Arbeitnehmer-Vertreter in den Aufsichtsrat ordnungsgemäß abgelaufen sei, sagt er, und erhebt einen schier ungeheuerlichen Vorwurf: Die Konkurrenzorganisation zur IG Metall, die Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger (AUB), werde von Siemens finanziell unterstützt.

Ein Weltkonzern, der sich quasi seine eigene, dem Management willfährige Arbeitnehmervertretung leistet? Der damalige Aufsichtsratsvorsitzende Hermann Franz würgt die Diskussion rigoros ab. Er sehe "zu dieser Angelegenheit keinen weiteren Diskussionsbedarf", sagt er laut Protokoll.

Einer sitzt daneben und sagt kein Wort; zumindest ist kein Beitrag von ihm im Protokoll vermerkt: Der damalige Vorstandschef und heutige Aufsichtsratsvorsitzende der Siemens AG, Heinrich von Pierer. Dabei war die Ahnung des Mannes von der IG Metall durchaus richtig. Dementsprechend gerät Pierer jetzt, zehn Jahre später, in Erklärungsnot.

Seit Wochen sagt der ehedem sogar als möglicher Bundespräsident gehandelte von Pierer, er habe von lukrativen Beraterverträgen seines Konzerns mit dem langjährigen AUB-Chef und ehemaligen Siemens-Betriebsrat Wilhelm Schelsky nichts gewusst. Der heute 59-jährige Schelsky sitzt seit zwei Monaten in Untersuchungshaft. Den AUB-Vorsitz hat er inzwischen aufgegeben.

Über eben diese Beraterverträge sind nach Erkenntnissen aus einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth zwischen 1991 bis 2006 rund 50 Millionen Euro an Schelsky geflossen, die dieser weitgehend für die AUB einsetzte.

Und davon will Pierer als Vorstands- wie als Aufsichtsratschef nichts mitbekommen haben? Spätestens seit Dezember 1997 muss er von dem Verdacht der AUB-Finanzierung durch Siemens gewusst haben; er hätte dem nachgehen und das dubiose Beziehungsgeflecht auffliegen lassen können.

Geheimnisvolles Papier offenbart Finanzierung der AUB

Entstanden war dieses Geflecht Ende der achtziger Jahre. Auskunft darüber gibt ein vierseitiges Memorandum, das der damalige AUB-Chef Schelsky 1995 verfasste, aber eigentlich gar nicht aufbewahren wollte. "Dieses Papier ist aus Sicherheitsgründen zu vernichten", steht am Ende des Textes.

Schelsky hat das vergessen, warum auch immer. Bei einer von mehreren Razzien in den vergangenen Wochen fiel das Dokument schließlich Ermittlern der Sonderkommission "Amigo" in die Hände - zusammen mit vielen weiteren, aufschlussreichen Unterlagen, mit Briefwechsel, Verträgen, Rechnungen.

Nun lässt sich genau nachvollziehen, wie die kleine, 1986 von Schelsky und anderen Siemens-Leuten am Standort Erlangen gegründete AUB groß und mächtig werden konnte, wie sie zahlreiche Büros in Deutschland finanzieren, viel Geld für teure Werbekampagnen ausgeben und viele Betriebsratsmandate bei Siemens und anderswo holen konnte. Schelsky war von Anfang an Vorsitzender der AUB, die als Verein beim Amtsgericht Nürnberg eingetragen ist.

Allein schon das Kapitel "Vorgeschichte" in seinem Papier ist spannend. Nachdem die IG Metall bei der Aufsichtsratswahl 1988 bis auf eine Ausnahme alle Sitze im Kontrollgremium errungen habe, schreibt er, hätten zwei Vorstände und der damalige Aufsichtsratschef von Siemens zusammen mit ihm, Schelsky, darüber nachgedacht, wie man die Dominanz der IG Metall auf Arbeitnehmerseite brechen könnte.

Siemens habe sich von ihm erhofft, dass er die "Mitbestimmungsverhältnisse auf den Ebenen Betriebsrat und Aufsichtsrat nachhaltig" verändern könne.

Ziel sei es gewesen, bei künftigen Wahlen zu diesen Gremien zahlreiche AUB-Kandidaten durchzubringen. Das gelang dann auch. Die AUB stellt laut Konzernkreisen 150 Betriebsräte bei Siemens und ist im Aufsichtsrat vertreten.

Die Initiative, die AUB als zahme Alternative zur streitlustigen IG Metall aufzubauen, ging demnach von der Konzernspitze bei Siemens aus. Die machte klare Vorgaben: Bis zur Aufsichtsratswahl 1997/98 sollten 40 Prozent der Delegierten von der AUB gestellt werden, die an mindestens 100 von 170 Siemens-Standorten kandidieren sollten.

So steht es in Schelskys Memorandum. Dazu habe es starke, übergreifende AUB-Strukturen gebraucht - sowie jemanden, der die Sache im Sinne des Konzerns in die Hand nahm. Da kam der Betriebsratsvorsitzende aus Erlangen, der bullige und wenig zimperliche Schelsky, gerade recht.

Aus dem Management heraus habe man ihn 1990 aufgefordert, "die Firma zu verlassen und sich als Unternehmensberater selbständig zu machen", notierte er in seinem Papier.

Im Dienst der Führung

Lebenslange Absicherung für Schelsky

Im Gegenzug sollte er genug Geld erhalten, um gut zu leben und quasi nebenbei die AUB auszubauen. Sein Abschied zum 31. Dezember 1990 wurde ihm dementsprechend großzügig honoriert. In einer am 30. August 1990 geschlossenen Vereinbarung gestand Siemens Schelsky ein zunächst auf fünf Jahre befristetes und später bis 2000 verlängertes Rückkehrrecht im Range des Abteilungsdirektors zu - und damit eine Hierarchiestufe höher als sein vorheriger Posten.

Man garantierte ihm obendrein eine Pension von 3700 Euro monatlich ab dem 60. Lebensjahr, und, natürlich, viele Aufträge. Per Zusatzvereinbarung sicherte der Konzern Schelsky ebenfalls im August 1990 zu, dass er von einer Fremdfirma, die nicht zu Siemens gehöre, einen Beratungs- und Schulungsauftrag erhalten werde. Hinzu komme ein Pauschalhonorar von 380000 Mark zuzüglich Sachkosten und Büromiete.

"Genau so war es", bestätigt Eberhard Koffka, damals Betriebsleiter des Siemens-Standortes Erlangen. 80 Jahre ist er alt, ein alter Herr mit glänzendem Gedächtnis, der druckreif und geschliffen formuliert und "tief traurig und empört" ist über das, was bei seinem alten Arbeitgeber seit Monaten vorgehe: Korruptionsskandale, die BenQ-Mobile-Pleite und nun auch noch der Fall AUB.

Beide Verträge mit Schelsky von 1990 tragen Koffkas Unterschrift sowie die von einem weiteren Siemens-Manager. "Ich habe mich damals schon über die Großzügigkeit gegenüber Herrn Schelsky gewundert", sagt Koffka. "Aber ich dachte, das hat alles seine Ordnung und habe deshalb zuständigkeitshalber unterschrieben."

Die Konstruktion zwischen Schelsky und Siemens war raffiniert. Ein paar Monate nach der Abmachung kam die Sicon Holding für Grundbesitz GmbH ins Spiel, besagte Fremdfirma, die nicht zu Siemens gehört.

Über diese wurden die delikaten Geschäfte zwischen Siemens und Schelsky in den ersten Jahren abgewickelt. Die Ermittler hegen den Verdacht, dass Siemens diesen Weg wählte, um nicht so leicht als zuverlässige und kräftig sprudelnde Geldquelle einer Arbeitnehmerorganisation enttarnt zu werden.

Gemäß einem Vertrag vom 19. Dezember 1990 zahlte die Sicon-Holding an eine Schelsky-Firma zunächst 52000 Mark im Monat, im September 1992 wurde das salär auf 57000 Mark erhöht. 1995 stieg Sicon aus. Fortan war die Siemens-Tochter GVD Leasing, die später in Siemens Finance&Leasing umbenannt wurde, Vertragspartner. Schelskys Honorar stieg auf jährlich 2,6 Millionen Mark.

Ausgaben dienten für Werbeauftritt der AUB

Wozu das viele Geld diente, hat der Siemens-Partner in seinem Memorandum aus dem Jahr 1995 genauestens notiert: vor allem für die AUB, etwa für "betriebliche Zeitungen", Werbematerial und Seminare. "Die Prüfung dieser Kosten erfolgt in regelmäßigem Turnus durch zwei leitende Herren des Hauses Siemens." Probleme gab es offenbar nicht.

Schließlich lägen die Mitbestimmungskosten des Konzerns "vergleichsweise niedrig", wenn man sich die Ausgaben anderer Unternehmen wie Daimler Benz für diese Zwecke anschaue, schreibt Schelsky stolz.

Im Vergleich zu den "möglichen Kosten durch eine radikalisierte Monopol-Gewerkschaft IG Metall haben sich die bisher aufgewendeten Gelder sicherlich gelohnt", befand Schelsky und hielt fest, dass er noch mehr Mittel für die AUB benötige. In den beiden nächsten Jahren stünden schließlich Aufsichts- und Betriebsratswahlen an.

2001 folgte der nächste und letzte Vertrag, bei Siemens unterzeichnet von Johannes Feldmayer, damals Spartenvorstand in Erlangen und später Zentralvorstand des Konzerns. Bis Ende 2006 floss Geld, dann war Schluss.

Weltweite Schmiergeldzahlungen für lukrative Aufträge, getarnt als Beraterhonorare, flogen auf. Siemens prüfte viele Beraterverträge, auch den von Schelsky - und kündigte ihn.

Zu diesem Zeitpunkt waren die Ermittler bereits hellhörig geworden; sie schlugen im Februar erstmals zu. Ende März kam Feldmayer für eine Woche in Untersuchungshaft.

Der frühere Aufsichtsratschef Karl-Hermann Baumann zählt ebenfalls zu den Beschuldigten. In den Skandal verwickelt ist nach Erkenntnissen der Ermittler auch der frühere Vorstand Günter Wilhelm. Bei ihnen sind die möglichen Delikte, Untreue und Steuerhinterziehung, allerdings verjährt. Deshalb werden sie nicht als Beschuldigte geführt.

Einem seiner Ansprechpartner im Konzern hat Schelsky am 8. August 1995 geschrieben, er habe mit Wilhelm über die AUB gesprochen.

"Seine Bemerkungen dazu waren: 1. So sollte es weiterlaufen. 2. Dies darf man eigentlich nicht zu Papier bringen." Doch Schelsky schrieb weiter, etwa am 23. November 2005 an den Leiter Rechnungswesen bei Siemens. Er müsse noch eine Zusatzrechnung stellen, "da wir durch die bundesweiten Betriebsrats-Wahlen leider einen erheblichen Mehraufwand haben".

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