Ärzte ohne Grenzen:"Kostenlos ist nicht besser als billig"

Ärzte ohne Grenzen: Behandlung eines kleinen Kindes in einem Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen im Süden Sudans.

Behandlung eines kleinen Kindes in einem Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen im Süden Sudans.

(Foto: AFP)

Der Pharmakonzern Pfizer will dem Verein Ärzte ohne Grenzen eine Million Impfdosen gegen Lungenentzündung spenden. Die Hilfsorganisation lehnt das ab.

Von Kathrin Werner, New York

Es ist ihm nicht leicht gefallen, den Pharmakonzern Pfizer zu düpieren, sagt Jason Cone. "Neulich hatte ich die schwierige Aufgabe, dem Pfizer-Chef Ian Read mitzuteilen, dass wir das Angebot ablehnen, eine große Zahl von Impfungen gegen Lungenentzündung zu spenden", sagt der Amerikachef von Ärzte ohne Grenzen. Pfizer, einer der weltweit größten Medikamentenhersteller, wollte der Hilfsorganisation eine Million der lebensrettenden Dosen schenken. Doch anstatt öffentlichkeitswirksamer Wohltätigkeit verlangen die Ärzte, dass Pfizer den Preis für den Impfstoff senkt, den sich viele ärmere Länder nicht leisten können. "Kostenlos ist in diesem Fall nicht besser als billig", sagt Cone. "Weder unsere medizinische Arbeit, noch die anderer Hilfsorganisationen oder Regierungen sollte von der ,Barmherzigkeit' von Pharmakonzernen abhängen."

Der New Yorker Konzern ist empört, dass die Offerte verschmäht wurde. "Pfizer ist in keiner Weise einverstanden und der Ansicht, dass Spenden eine wichtige Rolle spielen, wenn es um die Lösung humanitärer Krisen geht", sagt eine Konzernsprecherin. Doch laut Ärzte ohne Grenzen geht es ums Prinzip: Die Organisation opfere den kurzfristigen Nutzen für eine begrenzte Zahl Kinder, für die Hoffnung auf eine langfristige Verbesserung für alle.

Jedes Jahr sterben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge 1,4 Millionen Kinder unter fünf Jahren an Lungenentzündung, vor allem im südlichen Afrika und in Südasien, mehr als an jeder anderen Krankheit. Ärzte ohne Grenzen kann Kinder nur selten gegen Pneumokokken impfen, den Erreger von Lungenentzündungen. Vor ein paar Monaten hat die Organisation Impfungen für Flüchtlingskinder in griechischen Apotheken gekauft und pro Kind 180 Euro ausgegeben, aber meist fehlen die Mittel. Ärzte ohne Grenzen verhandelt seit Jahren mit Pfizer und dem britischen Pharmakonzern Glaxo Smith Kline (GSK), dem einzigen anderen Hersteller des Impfstoffs. Die Konzerne sollen den Preis auf fünf Dollar pro Kind senken.

Der Streit wirft ein Schlaglicht auf eine jahrzehntealte Diskussion

"Wir arbeiten mit Regierungen rund um die Welt zusammen, damit die Länder Zugang zu unseren Impfungen haben in einer Weise, die die Entwicklung neuer, potenziell lebensrettender Impfungen erlaubt", sagt die Pfizer-Sprecherin. Der Streit wirft ein Schlaglicht auf die jahrzehntealte Diskussion, ob Pharmakonzerne wie alle anderen in der Marktwirtschaft behandelt werden sollen und mehr oder minder frei ihre Preise festsetzen dürfen - geleitet von Angebot und Nachfrage. Oder ob sie verpflichtet sind, potenziell lebensrettende Mittel in Entwicklungsländern so günstig anzubieten, dass sie sich praktisch jeder leisten kann. Sind Medikamente eine Ware wie jede andere? Pfizer ist ein börsennotiertes Unternehmen mit Tausenden Kleinaktionären und Großinvestoren, zum Beispiel Pensionsfonds, denen US-Bürger ihre Altersvorsorge anvertrauen. Sie wollen Dividenden und steigende Aktienkurse sehen. Doch dafür sind Gewinne nötig, die vor allem von Verkaufsschlagern wie dem Lungenentzündungs-Impfstoff kommen.

2015 hat Pfizer mit dem Mittel einen Umsatz von 6,24 Milliarden Dollar gemacht, fast ein Siebtel der Konzernerlöse und etwa so viel wie der Beiersdorf-Umsatz. Bei Pfizer hat die Forschung und Entwicklung einen großen Anteil am Umsatz, im vorigen Jahr waren es 15,7 Prozent, 7,7 Milliarden Dollar. Dies soll andere Krankheiten heilen und natürlich auch wieder Umsätze und Gewinne bringen.

Ärzte ohne Grenzen fürchtet, dass die Impfstoff-Spende das Lungenentzündungs-Oligopol aus Pfizer und GSK noch zementieren würde. Schließlich gäbe es dann noch weniger Kunden, die bereit sind, für das Präparat zu zahlen. "Wir brauchen mehr Wettbewerb, um die Preise zu senken", sagt Cone. Die Konzerne haben den Impfstoff und dessen Produktionsprozess mit diversen Patenten geschützt. Die südkoreanische Firma SK Chemicals wollte ein ähnliches Mittel entwickeln, Pfizer hatte allerdings dagegen geklagt und im vergangenen Jahr vor einem südkoreanischen Patentrechts-Tribunal gewonnen. So sind die zwei großen Konzerne allein in einem riesigen Markt.

Pfizer hat die Länder der Welt in Gruppen aufgeteilt und verlangt dort je nach Zahlkraft unterschiedliche Preise. Die Verhandlungsposition der Länder und Hilfsorganisationen ist schon deshalb schlecht, weil sie nicht wissen, wie viel andere für die Präparate ausgeben. Pfizer hält die Preise geheim. Einzig der niedrigste Preis ist bekannt, den die ärmsten Länder bezahlen: 3,30 Dollar pro Dosis. Aber manche Entwicklungs- und Schwellenländer zahlen deutlich mehr, in Marokko koste eine Dosis laut Ärzte ohne Grenzen zum Beispiel 96 Dollar. Für die vollständige Immunisierung sind vier Dosen nötig. Die Preise, die Ärzte ohne Grenzen ermittelt hat, lassen sich aber schlecht vergleichen, weil manche aus dem Einzelhandel stammen, andere Spezialangebote für Hilfsgruppen waren. Offizielle Zahlen fehlen.

Die WHO hat gerade eine Impfpreis-Datenbank eingeführt, in der Käufer den Preis eintragen können. Bislang gibt es kaum Daten. "Wenn die Pharmakonzerne jetzt die Impfungen kostenlos weggeben, haben sie ein Argument, weshalb die Preise für andere höher bleiben müssen", sagt Cone. Etliche von der WHO empfohlene Impfstoffe werden nur von einem oder wenigen Unternehmen hergestellt, die ohne Konkurrenz und Transparenz weitgehend frei entscheiden können, was sie dafür verlangen. 2001 kostete eine Rundum-Impfung pro Kind in den ärmsten Ländern laut Ärzte ohne Grenzen 0,67 Dollar, 2014 waren es 45,59 Dollar. Von den zwölf Stoffen in dem Paket kostete die Lungenentzündungs-Impfung fast die Hälfte des Geldes.

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