Ärmelkanal-Tunnel:Teures Jahrhundert-Projekt

File photo of a Eurotunnel train exiting the Channel tunnel in Coquelles, near Calais

Der Eurotunnel hat seinen Umsatz gesteigert: Französischer Eingang zum Ärmelkanal-Tunnel in der Nähe von Calais.

(Foto: Reuters/Pascal Rossignol)

Trotz des Flüchtlingschaos im Sommer laufen die Geschäfte mit dem Eurotunnel gut. Dabei stand der Betreiber 2007 vor der Pleite.

Von Björn Finke, London

Auf der Straße beim Eingang zum Tunnel zünden streikende Arbeiter Reifenstapel an. Dicke Rauchschwaden ziehen durch die Luft, die Zufahrt ist blockiert. Jede Nacht versuchen Flüchtlinge, die Zäune rings um die Tunnelpforte zu überwinden. Oder sie verstecken sich auf Lastwagen, die durch die Röhre nach Großbritannien fahren wollen: Im vergangenen Sommer berichteten Fernsehteams aus aller Welt vom französischen Eingang zum Tunnel unter dem Ärmelkanal. Und sie zeigten chaotische Szenen.

Für den Betreiber der Röhre war 2015 überraschenderweise trotzdem ein gutes Jahr. Groupe Eurotunnel steigerte den Umsatz im Vergleich zu 2014 um fünf Prozent auf 1,2 Milliarden Euro, wie das Pariser Unternehmen jetzt bekannt gab. Wie viel Gewinn der börsennotierte Konzern mit seinen fast 4000 Beschäftigten erzielte, teilt er erst in drei Wochen mit.

Lange Jahre machte der 50 Kilometer lange Eisenbahntunnel gar keinen Gewinn. Eröffnet wurde das privat finanzierte Jahrhundertprojekt 1994, mit einem Jahr Verspätung. Die Baukosten waren mit 15 Milliarden Euro doppelt so hoch wie vorhergesehen, weswegen das Unternehmen einen Schuldenberg mit sich herumschleppte. Zugleich nutzten viel weniger Passagiere als gedacht die Schnellzüge unter dem Ärmelkanal: Die Planer hatten die Konkurrenz durch Billigflieger und Fähren unterschätzt. Zwischenzeitlich hat der Konzern daher sogar Probleme, bloß die Zinsen zu begleichen.

Die Folge: Im Jahr 2007 steht der Tunnelbetreiber vor der Pleite. Nur in allerletzter Minute einigt sich Jacques Gounon, seit 2005 Vorstandschef, mit den Gläubigern. Die Schulden werden halbiert, als Gegenleistung erhalten die Kreditgeber Aktien. Der Anteil der Alteigentümer an dem Unternehmen - viele französische Klein-Aktionäre - sinkt entsprechend. Aber die Alternative wäre das Aus für die Firma gewesen, der Totalverlust. Befreit vom Schuldenberg gehen die Geschäfte besser. Eurotunnel erzielt 2007 nach der Umschuldung erstmals einen Gewinn, zwei Jahre später zahlt der Konzern die erste Dividende. Die Verbindlichkeiten lagen Ende 2014 nur noch bei 4,1 Milliarden Euro. Die Konzession für den Tunnel, also die Erlaubnis, ihn wirtschaftlich zu nutzen, läuft bis 2086.

Fast die Hälfte des Umsatzes stammt von den Shuttle-Zügen, mit denen das Unternehmen Autos und Lastwagen unter dem Ärmelkanal transportiert. Daneben kassiert die Firma Gebühren von Eurostar, dem Betreiber der Schnellzüge, die von London aufs Festland fahren, nach Brüssel, Paris, Marseille oder in die Alpen. Im vergangenen Jahr rasten 10,4 Millionen Passagiere durch die Röhre, genauso viele wie 2014 - trotz der Anschläge in Paris. Ursprünglich plante auch die Deutsche Bahn, demnächst Züge unter den Ärmelkanal hindurch zu schicken, allerdings ist die Begeisterung für das Projekt in der Bahn-Zentrale in Berlin abgekühlt: Die Nutzungsentgelte für Gleise in Frankreich sind sehr hoch.

Erfreulich für Eurotunnel: Das Chaos am Eingang zur Röhre in Frankreich ist Vergangenheit. Beim Terminal für Laster und Autos hätten Flüchtlinge seit Ende des Sommers keine Probleme mehr verursacht, verkündet die Firma. 56 Hektar Land seien von Gestrüpp befreit worden, um Eindringlinge besser aufspüren zu können. Ein vier Meter hoher und mehr als 37 Kilometer langer Zaun zeige ebenfalls Wirkung. Klingt mehr nach Festung als nach Bahnhof.

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