Ärger um Lehman-Zertifikate:Zwischen Wut und Hoffnung

Die Bankberater sprachen von sicheren Anlagen. Viele Bankkunden glaubten das - und verloren alles. Nun herrscht bei ihnen Ärger und Unverständnis. Verbraucherschützer versuchen zu helfen.

Der Saal im Untergeschoss der Verbraucherzentrale Hamburg ist voll besetzt - und die Atmosphäre erstaunlich gelassen. Zur Info-Veranstaltung für Lehman-Geschädigte sind am Donnerstagabend 40 Menschen gekommen, die Geld mit Investitionen in Papiere der insolventen US-Investmentbank Lehman Brothers verloren haben. Die Berater wollen ihnen nun helfen, aus der Misere herauszukommen. Auch die folgenden Veranstaltungen der Verbraucherschützer sind bereits ausgebucht.

Ärger um Lehman-Zertifikate: Werbeplakat der Hamburger Sparkasse: Anleger bangen um ihr Erspartes.

Werbeplakat der Hamburger Sparkasse: Anleger bangen um ihr Erspartes.

(Foto: Foto: dpa)

Manfred Blume berichtet, dass er über das Telefon 25 Lehman-Zertifikate kaufte, jedes im Wert von 1000 Euro. Sein Berater bei der Dresdner Bank habe ihn zwei Tage nach seinem 70. Geburtstag angerufen und etwas "ganz Lukratives" angeboten. "Ich wollte geradlinige und sichere Sachen, ein Zubrot zur meiner Rente", sagt der ehemalige Kfz-Elektriker. Die verlorene Summe, 25.000 Euro, kommt erstaunlich leicht über seine Lippen, im Umgang mit Journalisten hat er schon Übung. Blume war beim Norddeutschen Rundfunk (NDR), jetzt wartet noch ein Spiegel-Reporter auf ihn. Das Interesse der Journalisten an den Verlierern der Finanzkrise ist groß, fast jeder im Saal wird interviewt.

Schlechtes Gewissen

Dass er sein Geld einem amerikanischen Unternehmen geliehen hatte, sah Blume nach seinem Bekunden erst auf der Kaufabrechnung. "Ich hab mir nicht so viele Gedanken gemacht, der Berater machte es schmackhaft und die erste Ausschüttung kam nach 15 Monaten", erzählt der Rentner mit dem elegant nach hinten gekämmten weißen Haar. Als die zweite Dividende kommen sollte, war Lehman Brothers bereits pleite. Jetzt fordert er sein Geld samt Zinsen zurück.

Heike Warnke-Bostelmann wurde bereits von der Hamburger Sparkasse (Haspa) angeschrieben. Die 61-Jährige hat 5000 Euro verloren. "Jetzt soll ich hier unterschreiben, dass eine holländische Firma mein Geld bei Lehman eintreibt. Ich verstehe das nicht", sagt die ehemalige Buchhalterin und wedelt mit dem Schreiben in der Luft. "Viele Haspa-Kunden haben uns von diesem Brief berichtet", sagt Verbraucherschützerin Gabriele Schmitz. Die Haspa fordere die Betroffenen darin auf, ihre Rechte im Insolvenzverfahren geltend zu machen. "Wir können die Konsequenzen dieses Insolvenzverfahrens jetzt noch nicht überblicken", sagt Schmitz.

Auch ihre Kollegin Edda Castelló rät den Betroffenen, sich von der Bank ein Angebot geben zu lassen. "Wir wissen, dass die Haspa bereits Angebote in unterschiedlicher Höhe gemacht hat", sagt die Verbraucherschützerin. Dies zeigt ihrer Meinung nach auch, dass die Banken ein schlechtes Gewissen haben. "Man sieht ja, dass alte Menschen am häufigsten betroffen sind", sagt Castelló.

Rückschlag für Anleger

Die 87-jährige Margarete Jensen aus Hamburg-Wandsbek steigt mit ihrem Gehstock behutsam die Treppe runter. Die Haspa habe ihr vor zwei Jahren Lehman-Zertifikate im Wert von 5000 Euro verkauft, das Geld sie jetzt weg. "Wenn man 20 Jahre bei der Sparkasse war, geht man nicht irgendwo anders hin", sagt die enttäuschte Rentnerin. Sie hat sich selbst mit einem Spezialisten für Finanzrecht in Kontakt gesetzt. Man brauche jetzt eben "ein wenig Geduld und Spucke".

Das hat sich offensichtlich auch der Schiffsmaschinist in Rente gedacht, der nach eigenem Bekunden erst vor zwei Tagen Lehman-Aktien im Wert von 5700 Euro bei der Volksbank kaufte. Er sieht sich als Gewinner der Finanzkrise. "Wer nichts riskieren will, hat an der Börse nichts verloren", richtet der 63-jährige den Lehman-Geschädigten aus. Nur, dass die gar nichts riskieren wollten und trotzdem viel verloren haben.

Am Freitag erlebten die Anleger einen weiteren Rückschlag. Im ersten Anlegerprozess um Lehman-Zertifikate hat die Frankfurter Sparkasse einen Vergleich mit Anlegern abgelehnt. Im ersten Verfahren dieser Art müsse die Sparkasse auf einem Urteil bestehen, sagte ihr Anwalt am Freitag bei der Zivilverhandlung vor dem Frankfurter Landgericht.

Ausreichende Hinweise

Geklagt hat dort ein Ehepaar, das mit einem Lehman-Zertifikat auf europäische und deutsche Indizes 12 000 Euro Verlust erlitten hat. Die Eheleute fühlen sich falsch beraten und nicht ausreichend informiert über die von Lehman an die Sparkasse geflossenen Provisionen.

Der Richter der 19. Zivilkammer ließ erkennen, dass er nur geringe Anforderungen an den Hinweis auf einen möglichen Totalverlust des Investments stellen werde. Zum Verkaufszeitpunkt, der Jahreswende 2006/07, habe niemand absehen können, dass Lehman pleitegehen würde, wie im September dieses Jahres geschehen. Dass unstrittig die konkrete Provision für die Sparkasse verschwiegen worden sei, könnte hingegen eine Rolle spielen.

Sparkassenanwalt Ernst Hruby räumte ein, dass der Berater in dem Verkaufsgespräch im Dezember 2006 mündlich nicht auf die Möglichkeit des Totalverlusts hingewiesen hat. Die Hinweise im Prospekt seien aber ausreichend. Auch gibt es in dem Sparkassenflyer nur einen allgemeinen Hinweis auf Provisionsvergütungen ohne konkrete Angaben. In Hamburg hatte sich die Dresdner Bank vor einem Prozess verpflichtet, einer Anlegerin 21.000 Euro zurückzuerstatten.

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