Adidas: Herbert Hainer:"Offener mit Homosexualität umgehen"

Adidas-Chef Hainer über den Druck im Sport, den Ein-Euro-Schuh, soziale Verantwortung - und warum er trotz Krise locker bleibt.

S. Boehringer, U. Ritzer u. U. Schäfer

Herbert Hainer ist Optimist. Im SZ-Interview spricht der Vorstandschef des Sportartikelherstellers Adidas über seine Erwartungen für das WM-Jahr 2010, den geplanten Ein-Euro-Schuh und die Konsequenzen aus dem Freitod von Robert Enke.

Herbert Hainer, Adidas, Foto: Schellnegger

Adidas-Chef Herbert Hainer: "Wettbewerb ist etwas ganz Normales."

(Foto: Foto: Schellnegger)

SZ: Herr Hainer, der Freitod von Fußball-Nationaltorhüter Robert Enke hat die Menschen geschockt. Wird er den Fußball und den Leistungssport verändern?

Herbert Hainer: Verändern nicht, aber ich hoffe, dass er bestimmte Tabuthemen im Sport aufbrechen wird. Depressionen oder andere psychische Probleme haben mehr Athleten. Auch Homosexualität ist ein Thema, mit dem man im Fußball künftig offener umgehen sollte.

SZ: Spielen Krankheiten oder Neigungen eine Rolle, wenn Adidas Sportler unter Vertrag nimmt?

Hainer: Überhaupt nicht. Wir schauen uns die Leistungen an, aber auch das Umfeld und den Charakter - allerdings nur unter dem Gesichtspunkt, ob der Athlet zur Marke passt.

SZ: Vermittelt der Leistungssport mit seinem "schneller, höher, weiter" falsche Ideale?

Hainer: Mit Sicherheit nicht. Wettbewerb gibt es überall, im wirtschaftlichen Leben, in der Gesellschaft, im Sport. Das ist per se nichts Schlechtes, sondern etwas ganz Normales. Und Krankheiten, Alkoholismus oder Drogen sind auch keine sportspezifischen Probleme.

SZ: Sollte man vielleicht trotzdem mal den Zehnten sponsern anstatt nur die Sieger?

Hainer: Das kommt darauf an, welche Ziele man hat. Wer so unbekannt wie möglich bleiben will, sponsert die Nummer 200 - bei allem Respekt vor der Leistung des Einzelnen. Wer wie wir seine Marke oder Produkte aber bekannter machen will, braucht jemanden, der im Rampenlicht steht.

SZ: Welche Bedeutung haben Erfolge und Titel für Sie persönlich?

Hainer: Jeder Sportler will für sich und seinen Körper etwas tun, aber auch Wettbewerbe bestehen und sie möglichst gewinnen. Das ist völlig normal, ich bin da nicht anders. Als Sportler wie als Manager will ich immer die Ziele erreichen, die ich mir gesteckt habe.

SZ: 2009 gab es erst mal ein Sparziel. Adidas hat die Kosten gesenkt. Wie viele Stellen fallen in diesem Jahr weg?

Hainer: Mein Ziel ist es, Adidas auf langfristiges Wachstum auszurichten. Da darf man nicht der kurzfristigen Entwicklung wegen die Äste abschneiden, auf denen man sitzt. Wir haben deshalb dort 1500 Stellen gekürzt, wo es den Erfolg nicht gefährdet. Etwa genauso viele Arbeitsplätze haben wir in Ländern geschaffen, in denen wir trotz Krise weiter wachsen, und in eigenen Läden, die wir neu eröffnen. Auch in Deutschland ist unsere Mitarbeiterzahl stabil geblieben.

SZ: Adidas ist der letzte Sportartikelhersteller, der noch in Europa ein eigenes Werk hat, nämlich in Scheinfeld zwischen Nürnberg und Würzburg. Wie lange können Sie sich das noch leisten?

Hainer: Solange das Scheinfelder Werk profitabel arbeitet, bleibt es bestehen. Diese Fabrik gehört schließlich zum Erbgut von Adidas. Es gibt sie seit 50 Jahren. In Scheinfeld haben wir ein enormes Know-how an Fachkräften, die helfen, in anderen Ländern Fabriken aufzubauen und das Personal anzulernen. Auch werden in Scheinfeld maßgefertigte Wettkampfschuhe für unsere Spitzensportler produziert.

SZ: Adidas produziert aber vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern. Wie steht es dort um die soziale Verantwortung von Adidas? Menschenrechtsorganisationen sagen, damit sei es nicht weit her.

Hainer: Diese Kritik ist in den vergangenen Jahren deutlich leiser geworden.. Wir sind führend, was die Arbeitsbedingungen in unseren Zulieferfabriken in Entwicklungsländern angeht. Gerade wurden wir zum zehnten Mal hintereinander in den Nachhaltigkeits-Index Dow Jones Sustainability aufgenommen. Außerdem arbeiten wir an einem gemeinsamen Projekt mit Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus ...

SZ: ... dem Ein-Euro-Schuh.

Hainer: Der ist das Ziel, aber das wird nicht einfach. Wir haben uns vorgenommen, die Bevölkerung in Bangladesch mit Schuhen zu versorgen, die sie sich leisten können und damit einen wesentlichen Beitrag zur Gesundheitsvorsorge zu leisten. Denn eine der am weitesten verbreiteten Krankheiten dort ist eine Wurminfektion, die sich die Menschen durch das Barfußlaufen einfangen. Ziel der sozialen Business-Idee von Professor Yunus ist es, dass der Hersteller auf seine Kosten kommt und durch den Verkauf der Schuhe auch die Menschen in Bangladesch profitieren.

Einfach gut durch die Krise

SZ: Warum soll jemand künftig 100 Euro oder mehr für einen Adidas-Schuh bezahlen, wenn es in Bangladesch welche für einen Euro gibt?

Adidas: Herbert Hainer: Etwa jeder zweite Adidas-Schuh wird in China gefertigt - würde der Yuan aufgewertet, würden die Löhne deutlich teurer.

Etwa jeder zweite Adidas-Schuh wird in China gefertigt - würde der Yuan aufgewertet, würden die Löhne deutlich teurer.

(Foto: Foto: ddp)

Hainer: Das wird kein funktionaler Sportschuh werden, denn den können sie für einen Euro nie und nimmer produzieren. Insofern wird das keine Konkurrenz zu unseren normalen Produkten. Vielleicht wird es nur eine gute Sandale mit Schnürriemen.

SZ: Wie sehr verändert die jetzige Krise die Sportartikelbranche?

Hainer: Ich glaube nicht, dass unsere Industrie dadurch nachhaltig verändert wird. Die Branche ist bislang verhältnismäßig gut durch die Krise gekommen, auch weil wir in den Jahren zuvor Rekordgewinne hatten. Ohnehin glaube ich, dass Sport an sich große Zukunftschancen hat.

SZ: Was macht Sie so sicher?

Hainer: Die Menschen wollen mehr für sich tun, sie wollen jünger erscheinen und fitter sein, einen körperlich stabilen Eindruck machen - das hilft der Sportartikelindustrie. Schauen Sie sich die Leute an, die heute im Fitness-Studio oder auch im Englischen Garten sind. Sie laufen, walken, joggen, das hat es vor 20 Jahren in diesem Ausmaß noch nicht gegeben. Beim letzten Berlin-Marathon waren 1600 Menschen über 60 Jahren am Start, so viele Senioren wie nie zuvor.

SZ: 2009 wuchs bei Adidas die Modesparte stärker als die Funktionsbekleidung für Sportler. Was ist für das Unternehmen in Zukunft wichtiger, die Laufbahn oder der Laufsteg?

Hainer: Die Laufbahn natürlich. Wir sind eine Sportartikelmarke und werden das auch bleiben. Aber es ist uns zuletzt gut gelungen, den Spagat zwischen Laufbahn und Laufsteg hinzubekommen und die Marke eben auch im Modebereich attraktiv zu machen, ohne an Akzeptanz bei den Sportlern zu verlieren.

SZ: In Nordamerika tun Sie sich derzeit aber schwer. Die Preise sind dort in einer Spirale nach unten. Es gibt viel mehr Arbeitslose als in Deutschland. Ist der US-Markt unter diesen Umständen überhaupt noch der wichtigste für Sie?

Hainer: Der amerikanische Markt ist nach wie vor der größte in der Branche. Er repräsentiert 45 Prozent des gesamten Weltmarktes. Insofern ist er natürlich enorm wichtig für uns. Hinzu kommt, dass der US-Markt sehr innovativ ist. Die meisten Sportideen der vergangenen zehn, fünfzehn Jahre kommen aus Amerika. Aber der Markt ist eben auch sehr preisaggressiv und die Verbraucher verhalten sich auch ganz anders als bei uns.

SZ: Inwiefern?

Hainer: Ein Amerikaner kauft sich sechs Paar Schuhe pro Jahr, in westlichen Industrienationen kaufen die Leute im Schnitt 1,7 Paar Schuhe pro Saison. Deshalb ist es in Amerika schwieriger, Schuhe für mehr als 100 Dollar zu verkaufen als in Europa.

SZ: Dafür haben Sie ja vor drei Jahren den US-Konkurrenten Reebok übernommen, der zuletzt ja vergleichsweise günstige Kleidung und Schuhe vertreibt. Jetzt wollen Sie auch mit Reebok in ein hochwertigeres Segment. Kann das in diesen Zeiten gutgehen?

Hainer: Wir haben nicht eine billige Marke gekauft und wollen sie nun teurer vermarkten. Wir geben vielmehr Reebok zurück, was eine Sportartikelmarke haben sollte: Ein innovatives, funktionelles Erscheinungsbild. Vor 15 Jahren noch war Reebok größer als Adidas oder Nike. Reebok hatte Aerobic erfunden und die meisten Produkte kosteten mehr als unsere. Doch dann ging dem Unternehmen die Innovationskraft verloren. Reebok konnte den Umsatz nur noch über Sonderangebote steigern. Eine Preisspirale nach unten setzte ein ...

SZ: ... und dann kam Adidas. Wann geht es denn mit Reebok richtig aufwärts?

Hainer: Die Reebok-Produkte für 2010 sind richtig gut. Wenn jetzt nicht mehr etwas total Unerwartetes passiert, gehe ich davon aus, dass wir 2010 bei Reebok Verbesserungen sehen werden, beim Umsatz wie beim Gewinn.

SZ: Gerade im US-Geschäft spüren Sie ja auch, dass der Dollar kräftig an Wert verloren hat. Andere Währungen schwanken noch heftiger. Wie sehr macht Ihnen das zu schaffen?

Hainer: Schon sehr, in Russland zum Beispiel. Vor 18 Monaten kostete ein Dollar 16 Rubel, dann ist er auf eins zu 35 hochgegangen, zuletzt stand er wieder bei eins zu 29. Wir wollten 2010 eine Milliarde Dollar Umsatz in Russland machen. Das ist bei den derzeitigen Wechselkurs-Verschlechterungen nicht zu halten, obwohl unsere Umsätze auf Rubelbasis sogar leicht steigen. Auch das britische Pfund hat deutlich an Wert verloren. Bei Brasilien und Argentinien schlagen die Wechselkursschwankungen ebenfalls kurzfristig negativ zu Buche, weil wir in der Gewinn- und Verlustrechnung alle Umsätze auf Euro zurückführen müssen. Langfristig ziehen wir aber auch einen positiven Effekt aus den Kursverlusten anderer Währungen, weil wir die Produkte, die vorwiegend in Dollar bezahlt werden, dann günstiger einkaufen können.

Trauer um Quelle

SZ: Sie produzieren sehr viel in China. Wenn der Yuan aufgewertet würde, was würde das für Adidas bedeuten?

Hainer: Etwa die Hälfte unserer Schuhe wird in China gefertigt. Würde der Yuan aufgewertet, würden die Löhne dort teurer für uns. Wir sind aber mittlerweile auch in anderen Ländern wie Vietnam, Laos, Kambodscha präsent oder unsere Zulieferer bauen dort Fabriken auf. Unsere Produktion steht also auf mehreren Standbeinen.

SZ: Wie hat denn die Krise Ihren Vertrieb beeinflusst? Machen Sie in wichtigen Märken wie China und Russland nun weniger Läden auf?

Hainer: Es werden immer noch Adidas-Shops in Russland eröffnet, aber nicht mehr in der vorgesehenen Geschwindigkeit. Auch in China erreichen wir in einigen Städten bereits einen Sättigungsgrad. Wir haben inzwischen mehr als 5000 Geschäfte in China eröffnet.

SZ: Warum machen Sie dort alles selber? Warum verkaufen Sie Ihre Schuhe nicht über Sportgeschäfte und Kaufhäuser?

Hainer: Weil es die nur in sehr geringer Zahl gibt. Etwas Vergleichbares wie Intersport gibt es in China nicht. Dafür ist das Land noch nicht weit genug ...

SZ: ... anders als Deutschland. Hierzulande haben Sie mit Quelle gerade einen wichtigen Absatzkanal verloren, auch die Zahl der Kaufhäuser sinkt.

Hainer: Es ist natürlich schade, wenn man so einen langjährigen Partner wie Quelle verliert. Aber insgesamt sind unsere Marken im deutschen Sportfachhandel sehr gut repräsentiert. Dort wo es in den Innenstädten keine großen Sportartikelhäuser mehr gibt, haben wir in den großen Städten acht eigene Adidas-Läden eröffnet. Damit ist der Bedarf in den meisten Einkaufslagen aber auch gedeckt. In München würden wir allerdings gerne noch einen eigenen Shop eröffnen, da haben wir nur noch kein geeignetes Areal gefunden.

SZ: Im Juni beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika. Wie wird die Wirtschaftskrise dieses Großereignis und die Geschäfte von Adidas beeinflussen?

Hainer: Fußball ist das Herz und die Seele unseres Unternehmens. Wir sind die klare Nummer eins auf der Welt und wir erwarten 2010 mehr als 1,3 Milliarden Euro Umsatz mit Fußball. Das wäre ein neuer Rekord. Die Fußball-WM ist das wichtigste Schaufenster für uns, um unsere Produkte zu zeigen. Ich glaube zudem, dass der schlimmste Teil der Krise hinter uns liegt.

SZ: Sie haben 2006 bei der WM in Deutschland 1,5 Millionen Trikots der deutschen Nationalmannschaft verkauft. Wie viele haben Sie sich jetzt vorgenommen?

Hainer: So viele wie damals bei der supersonnigen Heim-WM sind in Südafrika nicht zu schaffen. Dennoch haben wir auch jetzt wieder gute Chancen, 2010 einen neuen Umsatzrekord im Fußball zu erreichen. Wir haben dieses Mal zwölf teilnehmende Mannschaften unter Vertrag und sind Sponsor der Veranstaltung. 2006 liefen nur sechs Teams in Adidas auf.

SZ: Kritiker monieren, dass die Sportartikelbranche sich in den vergangenen Jahren immer von Turnier zu Turnier hangelt und ansonsten wenig Akzente setzt.

Hainer: Das sehe ich nicht so. Ziel unseres Unternehmens sind ja nicht die Mega-Veranstaltungen an sich, sie sind Mittel zum Zweck. Bei einer Fußball-WM erreichen wir so viele Konsumenten wie nirgends sonst. Wir haben aber ja in den Jahren 2003, 2005, 2007 bewiesen, dass wir die Umsätze auch in Jahren ohne Großereignis steigern können, mit selbstgesetzten Trends und Ideen. 2007 war zum Beispiel das Jahr des Laufens, 2009 haben wir viel in der Kategorie Outdoor getan.

SZ: Wie werden die Deutschen in Südafrika abschneiden?

Hainer: Die Fußball-Nationalmannschaft ist schon oft unterschätzt worden, weil sie in der Vorbereitung nicht immer Hurra-Fußball spielt und alle vom Platz fegt. Sie hat aber sehr viel Substanz und die typisch deutschen Tugenden. Ich traue ihnen daher viel zu.

SZ: Was genau?

Hainer: Das Halbfinale ist für Deutschland immer drin - für den Titel braucht man dann auch noch ein Quäntchen Glück.

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