Abhörskandal bei der Deutschen Telekom:Die Macht des Geldes

Jegliche Empörung über "Telekomgate" ist berechtigt. Aber eigentlich war das Bekanntwerden der Affäre kein schlechter Tag für den Journalismus, und das hat zwei Gründe.

Hans Leyendecker

Erstens: Wenn Manager eines Unternehmens wegen der Berichterstattung in Medien so intensiv nach dem Leck suchen lassen, zeigt das nur, dass die Berichterstattung missliebig und kritisch war. Sie war also nicht gekauft und nicht angenehm - also ärgerlich und wichtig. Ansonsten würde kein Aufwand betrieben, solche Beschreibungen künftig zu verhindern. Zweitens: Wann und wo auch immer über die Gefährdung der Pressefreiheit durch wirtschaftliche Macht diskutiert wurde, fiel in der Vergangenheit der Name Telekom.

Abhörskandal bei der Deutschen Telekom: Die Deutsche Telekom - wer aus der Konzernspitze oder aus dem Kontrollgremium hat wann was von der Bespitzelung gewusst?

Die Deutsche Telekom - wer aus der Konzernspitze oder aus dem Kontrollgremium hat wann was von der Bespitzelung gewusst?

(Foto: Foto: dpa)

Kräftig Druck ausgeübt

Kaum ein anderes Unternehmen in der Republik hat so virtuos und beinhart Druck ausgeübt, um Pressebengels auf Kurs zu bringen, und es ist ein seltsames und charakteristisches Phänomen, dass Enthüllungen über wirtschaftliche Zusammenhänge und Interessenüberschneidungen im Pressewesen ein weißer Fleck waren und sind.

Eine Berühmtheit in der Branche war auch der langjährige frühere Leiter der Konzernkommunikation, Jürgen Kindervater (1990-2002), dessen Andeutungen für manche Journalisten Befehle waren. Zwar hat Kindervater mit den Spähangriffen - nach bisherigen Erkenntnissen jedenfalls - rein gar nichts zu tun, aber vielleicht ist es der Geist des Hauses, der so etwas möglich machte. Das Klima.

Pressefreiheit, das wird oft und gern von Journalisten beklagt, wird von außen bedroht. Vor allem vom Staat, der manchmal Redaktionen, Zeitungshäuser und auch Privatwohnungen von Journalisten heimsuchen lässt, um zu erfahren, was einige Staatsdiener brennend interessiert: Woher wissen die das, woher haben die das, wer hat ihnen geholfen? Wo ist der Verräter? Das führt mitunter zu kuriosen Manövern wie der Razzia beim Monatsmagazin Cicero, die dann vom Bundesverfassungsgericht heftig gerügt wurde. Auch ist die Furcht vor Indiskretionen in Wirtschaftskreisen epidemisch. Vor Aufsichtsratssitzungen bei Volkswagen müssen die Räte ihre Handys abgeben, damit niemand das Gesagte mitschneiden kann.

Übertriebener Renditedruck

Bedroht ist die Pressefreiheit aber vor allem durch übertriebenen Renditedruck, durch die Vermischung von Journalismus und PR, die Verquickung von Journalismus und Lobbykratie und durch den Druck, den Unternehmen über Anzeigen auf die Medien ausüben können. "Wir kennen die alte Debatte über die Trennung von Nachricht und Kommentar. Wir brauchen eine neue Debatte über die Trennung von Nachricht und Werbung", hat Bundespräsident Horst Köhler im November 2006 während des Festaktes zum 50. Jahrestag der Gründung des Deutschen Presserates gesagt. Er hat sich dabei auf Karl Marx berufen, der schrieb: "Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein."

Über diese Gefährdung wird ansonsten bei feierlichen Anlässen weniger gesprochen. Das Unternehmen, dessen größter Aktionär die Bundesrepublik Deutschland ist, deren Verfassungsväter die Pressefreiheit in das Grundgesetz aufgenommen haben, galt da stets als einer der großen Gefährder. Es gibt viele Geschichten, die über die heimliche Werbemacht Telekom in Redaktionen erzählt, und wenige, die zu dem Thema gedruckt wurden.

Die Telekom hat jedes Jahr einen Werbeetat von etlichen Hundert Millionen Euro, und es gibt den Verdacht, dass sie in der Vergangenheit ihre Macht eingesetzt hat, um unbotmäßige Berichterstattung abzustrafen.

Zwar gibt es kein Grundrecht von Medien auf Anzeigen, aber egal ob bei der Berliner Zeitung, bei Focus, Spiegel, Wirtschaftswoche oder Financial Times Deutschland - immer wieder fiel auf, dass kritischer Berichterstattung plötzlicher Anzeigenschwund folgte.

Die Macht des Geldes

Vor ein paar Jahren hat die Journalistin Eva-Maria Thoms für das Fachblatt Message Beispiele dazu zusammengetragen: "Fast immer gibt es, wenn ein Medium in Sachen Telekom-Anzeigen zu kurz kommt, einen zeitlichen Zusammenhang mit kritischer Berichterstattung über das Unternehmen", resümierte die Journalistin ihre Recherchen.

"Die Versuchung für große Unternehmen, über ihren Werbeetat Druck auf die Medien auszuüben, ist immer da", erklärte einmal der frühere RTL-Geschäftsführer Helmut Thoma, "aber es gibt kein Unternehmen, das das so offen exerziert wie die Telekom." Er sagte das kurz vor seinem Ausscheiden beim Sender.

Das Bonner Unternehmen begründet die Aufs und Abs im Werbeetat mit Fachbegriffen wie "Intermediale Frequenzverschiebungen" oder den Ergebnissen aus "Response- und Analysetools", aber die intermedialen Verschiebungen gab es immer dann, wenn das Unternehmen gerade kritisiert wurde.

"Schmuddeljournalismus"

Der Spiegel warf dem Radsport-Team Telekom 1999 vor, "genauso systematisch und umfassend zu dopen wie die Konkurrenz". "Schmuddeljournalismus" schimpfte Kindervater - die Anzeigenabteilung des Hamburger Blattes spürte einen Rückgang bei den Telekom-Anzeigen. Focus berichtete über sogenannten Gebührenbetrug, und dann meldete Chefredakteur Helmut Markwort in seinem Tagebuch: "Überraschend haben wir zwei Seiten mehr Platz für die Redaktion, als ursprünglich in der Heftstruktur vorgesehen war. Die Telekom hat ihre Anzeigen zurückgezogen - aus diesem Heft und auch aus dem nächsten. Das Storno wurde nicht begründet, aber wir können uns an den fünf Fingern abzählen, was die Ursache war."

Das ARD-Magazin "Panorama" sendete im Herbst 1997 einen Kurzbeitrag über die Erhöhung der Kabelgebühren. Die Redaktion zitierte einen Berliner Anwalt, der die vorgesehene Preisanhebung als unzulässig bezeichnete, da die Telekom ihre De-facto-Monopolstellung missbrauche. Tags darauf stoppte das Unternehmen die Schaltung von Werbespots bei der ARD-Tochter Sales & Services (das Gesamtvolumen betrug rund 15 Millionen Euro). Keine generelle Stornierung. Es gehe nur darum, so Kindervater damals, dass Panorama unerlaubterweise einen Werbespot mit Jan Ullrich benutzt habe. Dann wurden die Anzeigen wieder geschaltet.

Es gab - auf beiden Seiten - Freund-Feind-Denken. In einem Gespräch mit einem Journalisten der Berliner Zeitung wurde Kindervater mit dem Satz zitiert, es sei "legitim", Anzeigenaufträge für einzelne Medien "auf ein notwendiges Maß herunterzufahren". Aber es gebe kein Medium, versicherte er, "wo wir wirklich einen Anzeigenboykott haben". Kein Grund für Paranoia.

Manche Journalisten glaubten, sie würden abgehört. Das war, wie sich herausstellte, übertrieben. Die Telekom interessiert nur, wer mit wem wie lange gesprochen hat.

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