Abgasskandal:So kam es zur Razzia bei Audi

Abgasskandal: Schon im Herbst fiel im Zusammenhang mit der Abgasaffäre der Name Audi. Doch erst jetzt gehen die Ermittler gegen die Volkswagen-Tochter vor.

Schon im Herbst fiel im Zusammenhang mit der Abgasaffäre der Name Audi. Doch erst jetzt gehen die Ermittler gegen die Volkswagen-Tochter vor.

(Foto: AFP)
  • Lange fehlte es den deutschen Ermittlern an einem ausreichenden Anfangsverdacht gegen Audi.
  • Nun hat die amerikanische Justiz den Ermittlern auf die Sprünge geholfen: mit einer Tatsachendarstellung, in der VW selbst die eigene Tochter belastet.

Von Hans Leyendecker, Georg Mascolo, Klaus Ott und Nicolas Richter

Sie bereiten sich gründlich vor auf diesen Termin, wochenlang planen die Strafverfolger der Staatsanwaltschaft München II die Durchsuchung bei Audi, einem der erfolgreichsten bayerischen Unternehmen. Zum Beispiel achten sie darauf, dass in den Durchsuchungsbeschlüssen genau steht, was die Polizei aus den Büros mitnehmen darf und was nicht. Es gibt auch eine Einsatzbesprechung, weil der Fall logistisch kompliziert ist. Schließlich sollen Staatsanwälte und Beamte der Landeskriminalämter Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen gleichzeitig im Einsatz sein, insgesamt achtzig Ermittler aus drei Bundesländern. Einen Einsatzplan gibt es auch: Am 15. März um acht Uhr soll es losgehen. Alles soll so professionell ablaufen wie möglich.

Damit bis zuletzt nichts schiefgeht, trifft der Leiter der Staatsanwaltschaft München II, Hajo Tacke, sogar eine besondere Vorkehrung. Er bittet einen Kollegen zu beobachten, was über Audi im Internet veröffentlicht wird. Am Montag dieser Woche schlägt der Beamte Alarm: Im Netz hat er gelesen, dass Audi ausgerechnet am Tag der Durchsuchung die wichtigste Pressekonferenz des Jahres abhält, für Journalisten aus aller Welt. Den Ermittlern ist schnell klar, dass das nicht gut ankommen wird, sie stellen sich die Schlagzeile vor: "Jahrespressekonferenz überschattet von Razzia". Es ist nicht sehr fein, ein bayerisches Unternehmen an einem solchen Tag heimzusuchen. Sollen sie also alles verschieben? Das wäre, befinden sie, sehr schwierig bei geplanten Durchsuchungen an neun Orten in drei Bundesländern. Außerdem würde vielleicht jemand behaupten, die Ermittler wollten Audi schonen.

In Absprache mit dem Münchner Generalstaatsanwalt Manfred Nötzel finden die Ermittler dann am Dienstag dieser Woche eine Lösung: Die Durchsuchung wird um eine Stunde vorverlegt, von morgens um acht auf sieben Uhr. Das soll Audi die Möglichkeit geben, vor Beginn der Pressekonferenz um zehn Uhr noch zu reagieren.

Manche fragten sich bereits, ob der alte bayerische Filz zurück sei

Für Außenstehende wirken die zeitlichen Abläufe im Fall Audi seltsam, nicht erst an diesem Mittwochmorgen. Vielmehr deshalb, weil so lange nichts zu passieren scheint. Schon im Herbst 2015, als die US-Regierung die Abgasaffäre um Volkswagen publik macht, fällt der Name der VW-Tochterfirma. Audi selbst stellt alsbald Strafanzeige gegen unbekannt, wegen "sämtlicher nach deutschem Strafrecht in Betracht kommender Delikte". Das ist nichts anderes als eine Aufforderung an die deutsche Justiz, zu klären, ob es im Konzern zu Straftaten gekommen ist. Die Staatsanwaltschaft in Ingolstadt prüft den Fall zunächst selbst und übergibt ihn dann den Kollegen in München. Lange passiert nichts. Manche fragen sich schon, ob der alte bayerische Filz zurück ist.

Die Ermittler in München aber tun sich tatsächlich schwer mit dem Fall, sie haben Mühe, aus den Vorermittlungen ein offizielles Verfahren zu machen. Auf Anfrage erklären sie, dass sie einen ausreichenden Anfangsverdacht benötigten, aber keinen fänden. Sie bräuchten beispielsweise eine Aussage der zuständigen Behörden, wonach Audi ein verbotenes Defeat Device eingesetzt habe. Also eine gesetzeswidrige Manipulation der Schadstoffwerte bei Motoren, die in Ingolstadt entwickelt wurden.

Wie Audi den US-Kunden das Blaue vom Himmel versprach

Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in Flensburg als maßgebliche Zulassungsbehörde für Europa aber stellt ein solches Defeat Device nur bei VW fest, nicht aber bei Audi-Modellen. Und die US-Behörden erheben zwar öffentlich jede Menge Vorwürfe gegen Volkswagen und Audi, schicken der Staatsanwaltschaft München II aber keine Unterlagen. Ein Rechtshilfeersuchen aus München wird offenbar nicht beantwortet. Bei den deutschen Ermittlern entsteht deswegen der Verdacht, die US-Kollegen seien nur an Schadenersatz- und Strafzahlungen von VW in den Vereinigten Staaten interessiert. Nicht aber daran, den Deutschen Amtshilfe zu leisten.

Alles ändert sich im Januar dieses Jahres, als die US-Justiz sechs VW-Manager anklagt: In der Klageschrift stehen auch schwere Vorwürfe gegen Audi. Die Ingenieure sollen vom Jahr 2006 an speziell für den amerikanischen Markt ein Diesel-Aggregat mit drei Litern Hubraum entwickelt haben. Die US-Ermittler arbeiten in ihrer Darstellung heraus, in welchem Dilemma Audi steckte.

Technisch war es demnach gar kein Problem, die Dieselabgase chemisch zu reinigen: Dies geschieht durch das Einspritzen von Harnstoff, von der Industrie "Ad Blue" genannt. Das Problem mit Ad Blue war nur, dass es für die Kunden zwingend Nachteile hatte. Entweder mussten sie auch jenseits der Werkstatttermine selbst Ad Blue nachfüllen. Oder aber Audi hätte einen größeren Vorratstank für Harnstoff im Auto verbauen müssen, was Platz im Kofferraum gekostet hätte. Der US-Justiz zufolge befreite sich Audi aus dem Dilemma, indem es die Abgasreinigung im Normalbetrieb zurückfuhr; nur auf dem Prüfstand funktionierte sie richtig. Anders gesagt: Audi versprach den US-Kunden das Blaue vom Himmel, lieferte aber faktisch schmutzige Autos.

VW gab die Täuschungen der Audi-Tochter zu

Im Januar 2017 ist das Besondere an diesen Vorwürfen, dass VW sie einräumt. Die US-Regierung veröffentlicht neben der Anklage gegen VW-Manager nämlich eine Tatsachendarstellung, auf die sie sich mit VW geeinigt hat. Demnach gibt der Mutterkonzern Volkswagen praktisch zu, dass Audi mit seinem Drei-Liter-Motor die Kunden und die US-Behörden vorsätzlich getäuscht hat. Auch räumt VW ein, dass Audi-Mitarbeiter Unterlagen vernichtet haben, die mit den Abgasproblemen in Amerika zu tun hatten. Es ist eine Art Geständnis. Die Münchner Ermittler werten es im Februar und März aus und kommen zu dem Ergebnis, dass nun endlich ein ausreichender Anfangsverdacht vorliegt, um gegen Audi vorzugehen. Wenn man so will, hat die US-Justiz also den bayerischen Ermittlern auf die Sprünge geholfen.

Die beschlagnahmten Unterlagen sollen jetzt verraten, wer bei Audi an dem möglichen Betrug mitgewirkt hat. In dieser Frage sind die Hinweise aus Amerika bislang eher dünn geblieben. Anders als heute bei VW ist noch weitgehend unklar, wer die illegale Technik entwickelt hat - und wer dabei geholfen hat, sie zu verheimlichen.

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