Abgasskandal:Die Autoindustrie hat eine Zukunft - dank Abgasskandal

IAA erster Publikumstag

Auf der IAA in Frankfurt herrschen futuristische Entwürfe vor

(Foto: dpa)

Autos fahren künftig elektrisch, so viel ist klar. Ohne Dieselgate jedoch hätte es zu dieser Einsicht noch Jahre gebraucht. Die Konzerne dürfen diese Zeit nicht verschenken.

Kommentar von Thomas Fromm

Der Autobauer Daimler brachte es in der vergangenen Woche wunderbar auf den Punkt. Um zu wissen, wo die deutsche Autoindustrie heute steht, genügte der Besuch einer Abendveranstaltung der Schwaben. Nur zwei Autos zeigten sie dort: einen vollelektrischen Smart ohne Lenkrad und Pedale, der seine Gäste irgendwann autonom durch die Städte fahren soll. Und einen 1000-PS-Boliden mit V6-Motor.

Ein Konzern, der sich selbst demonstrativ zwischen den Extremen verortet, will nichts auslassen, nichts verpassen, und hat eine Botschaft: Zwischen Öko- und Hypercar passt so ziemlich alles, was wir als Autokonzern können.

Zwei Jahre, nachdem die Dieselaffäre bei VW bekannt wurde und im Laufe der Monate eine komplette Branche mit sich riss, will es die Autoindustrie nun allen recht machen und ein bisschen von allem sein. Weg vom Diesel? Klar. Aber bitte nicht in den nächsten Jahren. Weg vom Benziner? Auch. Aber bitte nicht in den nächsten Jahrzehnten. Elektroautos? Unbedingt. Aber bitte nicht gleich zu viele und nicht alles schon gleich nächste Woche, denn das wird schwierig. Selbstfahrende Autos? Klar doch, da sind wir schon längst dabei.

Dass sich diese Industrie verändert, dass ihr Konzerne wie Tesla, Google und Apple immer mehr auf die Pelle rücken, das schwant den Konzernchefs schon seit Jahren. Aber sie glaubten stets, dass sie selbst es sind, die das Tempo der Veränderung bestimmen können - schließlich waren sie die Millionenverdiener in einem Milliardenspiel. Alle anderen, auch die Politik, hatten sich dem PS-Primat zu fügen.

Dieselgate hatte tatsächlich auch etwas Gutes

Das ist einer der Gründe dafür, dass jahrelang nur sehr wenig in dieser Industrie passierte. Seit jenem 18. September 2015 aber, jenem Tag, an dem in den USA der große Wolfsburger Dieselschwindel aufflog, hat sich das Spiel komplett verändert. Die Spielmacher von einst werden seitdem von Verbraucherschützern, Behörden und neuen Rivalen vor sich hergetrieben. Dass sie sich schwer damit tun, ist kein Wunder. Sie sind diese neue Rolle nicht gewohnt.

Wenn Dieselgate auch etwas Gutes hatte, dann dies: Die Affäre hat nicht nur bei VW, sondern überall in der Industrie Debatten über die Zukunft der Mobilität losgetreten und den Wandel auf diese Weise beschleunigt. Die Zukunft der Autoindustrie begann also, wenn man so will, am 18. September 2015.

Besonders für VW brechen nun harte Zeiten an

Die nächsten Jahre werden für die Konzerne eine harte Zeit. Der Wandel hin zu Elektroautos wird Zehntausende von Arbeitsplätzen in der Branche vernichten; gleichzeitig werden IT-Konzerne wie Google oder Facebook verstärkt versuchen, das Auto zu einem Teil ihres eigenen Geschäftsmodells zu machen. Hersteller und IT-Ausrüster werden Partner, sich umschmeicheln, und gleichzeitig erbitterte Konkurrenten - sie werden darum kämpfen, wer die Hoheit über das Auto hat. Es wird ein erbitterter Kampf um Daten und Erlöse. Die Autoindustrie hat dabei den schwierigeren Stand, denn sie muss sich mit Milliarden auf die Zukunft einstellen, hockt aber immer noch auf den Altlasten ihrer Vergangenheit.

Besonders VW. Der Konzern hat neuen Ärger mit der EU-Kommission und Verbraucherschützern, denen die Reparatur von acht Millionen betroffenen Diesel-fahrzeugen zu Recht zu langsam vonstattengeht. Zudem hat eine öffentliche Schlammschlacht mit deutschen Händlern begonnen, die direkt an der Kundenfront stehen und sich vom Konzern alleingelassen fühlen. Die Händler sind es am Ende, die den Käufern erklären müssen, warum der Wert ihres Dieselfahrzeugs in diesen Tagen immer weiter sinkt. Dazu kommen drohende Dieselfahrverbote, Ermittlungen gegen führende Ex-Manager und der Imageverlust - es gab für diese Branche sicherlich schon bessere Zeiten, um in die Zukunft aufzubrechen.

Die großen deutschen Autobauer kommen schon klar

Und doch hat diese Industrie keine andere Wahl: Sie muss den Wandel als Chance begreifen, wenn sie verhindern will, dass bald andere Autos bauen. Dazu gehören nicht nur neue Technologien und Partnerschaften. Dazu gehört auch, dass ein Konzern wie Volkswagen seine Kunden und Händler anständig behandelt und nicht auch noch sein Restvertrauen verspielt. Der Dieselbetrug wurde nicht von Händlern erfunden, sondern in VW-Abteilungen ausgeheckt.

Sorgen, dass die großen deutschen Autobauer scheitern, braucht sich jedenfalls niemand zu machen, auch die Bundeskanzlerin nicht. Die Gewinnmaschinen BMW, Daimler und VW haben ihre Groß-Eigentümer jahrelang mit Rekorddividenden verwöhnt. Das wird wohl auch so bleiben. Nur muss jetzt eben ein noch größerer Teil dieses Geldes investiert werden.

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