Abgasskandal:Das Märchen von der blütenweißen Weste

Mercedes-Stern

Ein Mercedes-Stern vor dem Werk in Sindelfingen.

(Foto: dpa)

Bei uns wird nicht manipuliert, beteuerten sie bei Daimler stets. Das Kraftfahrtbundesamt vermutet das Gegenteil - und fügt dem Märchen vom sauberen Diesel wohl ein neues Kapitel hinzu.

Kommentar von Markus Balser

Autobauer sind wirklich kreativ. Das haben sie vielen ihrer Kunden in den vergangenen Jahren eindrucksvoll bewiesen. Allerdings geschah dies viel zu oft nicht durch eingelöste Werbeversprechen, sondern beim Manipulieren von Abgaswerten. In diesen Tagen bekommt das Märchen vom sauberen Diesel wohl ein neues Kapitel. Auch der Hersteller Daimler könnte Teil dieser wundersamen Geschichte werden.

So hatte das Konzernchef Dieter Zetsche eigentlich nicht geplant. Im Märchen von der blütenweißen Weste wollte er der Held sein. Bei Daimler werde nicht betrogen oder manipuliert, sagte Zetsche nachdem der Skandal um den Abgasbetrug beim Konkurrenten Volkswagen im Spätsommer 2015 hochgekommen war. Mit einem vollmundigen Slogan verbreitet Daimler seither den eigenen Anspruch: "Das Beste oder nichts", heißt es in der Werbung. Und tatsächlich hatte bis vor wenigen Tagen keine einzige deutsche Behörde öffentlich Betrugsvorwürfe erhoben. Die Bösen, lautete die Botschaft aus Stuttgart beständig, sitzen in dieser Geschichte nun wirklich ganz woanders.

Doch seit Prüfer am Donnerstag auch Daimler erstmals offen Manipulationen bei einem Modell vorwarfen und zu einem tausendfachen Rückruf verdonnerten, verschwimmen die Rollen. Das Kraftfahrtbundesamt geht davon aus, dass auch in Stuttgart geschummelt wurde. Der Verdacht kratzt gewaltig am Image der Marke Mercedes mit dem glänzenden Stern, auch wenn Daimler die Vorwürfe scharf zurückweist und vor Gericht ziehen will. Denn nun soll geprüft werden, ob auch weitere Modelle betroffen sind.

Bei der Lösung der Dieselkrise ist ganz offensichtlich großes Erzähltalent im Spiel. Eigentlich hatte die gesamte Branche versprochen, die Diesel der neuen Schadstoffklasse 6 seien nun wirklich sauber - keine Tricks, keine Zauberei. Die Fahrzeuge werden von den Konzernen entsprechend intensiv beworben, um im Austausch gegen ältere Modelle für bessere Luft zu sorgen.

Die Politik wollte der Geschichte glauben und machte bei der Märchenstunde der Hersteller viel zu lange mit. Von Fahrverboten könnten sie verschont bleiben, hieß es. Dabei sind einige Abgaswerte wohl auch bei den modernsten Modellen zu gut, um wahr zu sein. Zehntausende neue Diesel-Autos gleich mehrerer Hersteller mussten inzwischen zurückgerufen werden.

Das Kraftfahrtbundesamt geht nun davon aus, dass auch in Stuttgart geschummelt wurde

Deutschlands Autobauer haben ganz offensichtlich noch immer nicht erfasst, was für sie und das Land gerade auf dem Spiel steht: das weltweite Vertrauen in die gesamte deutsche Automobilindustrie - und damit Hunderttausende Arbeitsplätze. Märchen enden in der Regel damit, dass das Gute belohnt und das Böse bestraft wird. In Deutschland aber haben selbst die ertappten Abgassünder bislang ziemlich wenig zu befürchten. Nicht nur Millionen betrogene Autokäufer wurmt das. Die Bundesregierung muss sich inzwischen auch von der Europäischen Kommission aus Brüssel vorhalten lassen, dass die geforderten Sanktionen für Abschalteinrichtungen selbst drei Jahre nach Beginn der Affäre noch immer nicht verhängt werden. Das deutsche Diesel-Märchen, so sieht es leider aus, wird weitergehen.

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