Abgas-Skandal:VW-Chef erstmals als Mitwisser verdächtigt

Volkswagen - Matthias Müller

Matthias Müller, vorher bei Audi und Porsche, wurde nach Bekanntwerden des Abgasskandals VW-Chef: Was wusste er von den Manipulationen?

(Foto: Uli Deck/dpa)

US-Generalstaatsanwälte legen nahe, dass Matthias Müller früh von der manipulierten Abgas-Software gewusst haben könnte.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Er kam als Saubermann, um die Scherben des Skandals um manipulierte Abgastests aufzukehren - nun jedoch ist Volkswagen-Chef Matthias Müller selbst ins Visier der US-Ermittler geraten. Die Generalstaatsanwälte von New York, Massachusetts und Maryland reichten bei den obersten Gerichten ihrer Bundesstaaten Klagen ein, die den Verdacht nahelegen, dass Müller vom Einbau verbotener Softwarecodes in die Abgasanlagen von Diesel-Pkw gewusst haben könnte. VW wies den Vorwurf als "unbegründet" zurück.

New Yorks Chefermittler Eric Schneiderman Müller wirft Müller in seiner Klage zumindest eine Teilmitwisserschaft vor. So habe der Manager bereits 2006 davon erfahren, dass die Konzerntochter Audi auf den Einbau eines größeren Harnstofftanks verzichtete, der zur Erfüllung der strengen US-Abgasstandards nötig gewesen wäre, heißt es in dem Schriftsatz, der sich auf interne Dokumente, E-Mails sowie Zeugenaussagen beruft. Ob Müller auch wusste, dass die Ingenieure stattdessen eine Manipulationssoftware einbauten, wird offen gelassen. Die Software sorgte dafür, dass die eigentlich viel zu hohen Emissionen der Pkw auf ein gesetzeskonformes Niveau herunter geregelt wurden, sobald die Autos auf dem Werkstatt-Prüfstand standen.

Erhärtet sich der Verdacht, wären die Aufräumarbeiten der letzten Monate zunichte gemacht

VW hatte die Tricksereien im September auf Druck der US-Behörden eingestanden, weltweit sind mehr als zehn Millionen Diesel-Pkw der Marken VW, Audi und Porsche betroffen. Ende Juni einigte sich der Konzern mit der US-Regierung und den Anwälten Hunderter klagender US-Kunden auf einen Vergleich, der ihn 15 Milliarden Dollar kosten dürfte. Nun könnten weitere Milliarden hinzukommen.

Erhärtet sich darüber hinaus der Verdacht gegen Müller, wären die gesamten Aufräumarbeiten der vergangenen knapp zehn Monate zunichte gemacht. Die nach dem Bekanntwerden des Skandals neu formierten Führungsgremien des Konzerns wären diskreditiert, die Unternehmensgruppe könnte in eine existenzbedrohende Krise geraten.

Das gilt umso mehr, als in Schneidermans Klageschrift auch der VW-Darstellung widersprochen wird, der Einbau illegaler Software sei das Werk einiger weniger Techniker gewesen. Stattdessen legt das Dokument nahe, dass es bei dem Wolfsburger Konzern über mehr als zehn Jahre ein orchestriertes, bewusstes System aus Lug und Trug gab, das bis in den Vorstand hinein habe bekannt gewesen sein müssen. "Die Anschuldigungen gegen Volkswagen, Audi und Porsche offenbaren eine Kultur einer tief verwurzelten unternehmerischen Arroganz, kombiniert mit der absichtlichen Missachtung von Gesetzen sowie des Schutzes der öffentlichen Gesundheit und der Umwelt", erklärte Schneiderman in einer zusätzlichen Stellungnahme.

In den Schriftsätzen wird darauf verwiesen, dass der Konzern über die Jahre nicht etwa nur eine, sondern gleich sechs gesetzeswidrige Abschalteinrichtungen einsetzte. Außerdem wird die Urheberschaft des gesamten Skandals erstmals bei Audi statt bei VW verortet. Audi habe Anfang des vorigen Jahrzehnts eine Methode entwickelt, die das für Diesel-Motoren früher typische Klappern eliminierte. Der Einbau der Technik erhöhte jedoch den Schadstoffausstoß, so dass Audi seine Pkw in Europa 2004 erstmals so programmierte, dass sich das Modul bei Tests automatisch abschaltete.

Minutiös zeichnen die Ermittler dann nach, was sich im Sommer 2006 ereignete. Die Konstellation bei Audi ist - aus heutiger Sicht - äußerst brisant. Audi-Chef war damals noch Martin Winterkorn, der später an die VW-Spitze wechselte und dann, nach Bekanntwerden des Abgasskandals, aus dem Amt schied. Leiter des Audi-Produktmanagements damals: der heutige VW-Chef Müller. Beide sollen seinerzeit gewusst haben, dass man mit den kleinen Harnstoff-Tanks in Diesel-Audis die Stickoxid-Grenzwerte in den USA nicht würde erfüllen können. Man hätte also in größere Tanks investieren müssen, so wie es auch andere Hersteller in Übersee taten. Doch Audi ging einen anderen Weg: "Stattdessen", heißt es in der Schrift, habe man sich für "den Einsatz einer defeat device" entschieden - einer illegalen Software also.

Belastend dürfte eine Mail aus der Feder des damaligen Qualitätsmanagementsleiters Frank Tuch an Winterkorn vom Mai 2014 sein: Eine ausführliche Erklärung für einen abweichenden Stickoxidausstoß könne man den Behörden kaum geben, schrieb er. Sonst nämlich bestünde die Gefahr, dass die dortigen Behörden Nachfragen stellten - um zu ermitteln, ob VW eine fragwürdige Software an Bord habe.

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