Abgas-Skandal:Dicke Luft

Haben Autohersteller auch Verbrauchsdaten geschönt? Neue Messungen von Behörden könnten die Branche teuer zu stehen kommen.

Von Markus Balser, Berlin

Für diese Zahlen gilt seit Monaten höchste Geheimhaltung. Denn im Bundesverkehrsministerium und seiner Kontrollbehörde Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) weiß man: Es geht um Werte, die eine ganz neue Dimension der Abgasaffäre signalisieren. In Tabellen haben die Prüfer intern aufgelistet, welche Autohersteller nicht nur beim Stickoxid getrickst haben - dem Auslöser des Skandals. Die Tabellen listen auf, wo die wahren Werte nun auch beim Treibhausgas CO₂ deutlich über den Herstellerangaben liegen. Jetzt sickern erste Zahlen durch und lösen in der Branche und der Politik einen erheblichen Wirbel aus.

Die Daten, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, lassen gleich mehrere Hersteller in einem schlechten Licht erscheinen: Die Laborwerte unter anderem bei Fahrzeugen von Alfa Romeo, Audi, BMW, Fiat, Jaguar, Jeep, Land Rover, Opel, Peugeot, Mercedes, Renault, VW, Volvo und Porsche sollen bei Nachmessungen durch das Bundesamt zum Teil deutlich über den Herstellerangaben gelegen haben. So stieß etwa ein Golf auf dem Rollenprüfstand 148 anstatt der angegebenen 129 Gramm CO₂ pro Kilometer aus. Bei fast 30 von mehr als 50 geprüften Modellen lagen die Werte deutlich über den beim Verkauf angegebenen, etwa auch bei einem Audi A6 oder einem Opel Zafira.

Volkswagen - Jahreszahlen

Abgasuntersuchung: Nicht nur bei den Stickoxid-Werten, auch beim CO₂-Ausstoß wurde offenbar getrickst.

(Foto: Patrick Pleul/dpa)

Damit eskaliert nicht nur der Umweltskandal um Abgaswerte, denn neben dem gesundheitsgefährdenden erhöhten Stickoxid-Ausstoß geht es nun auch um jenes Treibhausgas, das für die Erderwärmung verantwortlich ist. Damit bekommt die Affäre eine ganz neue Dimension. Denn höhere CO₂-Werte legen auch nahe, dass der Kraftstoffverbrauch der Fahrzeuge höher ausfällt. Dass Kunden also mehr für den Betrieb ihrer Autos zahlen, als nach den Herstellerangaben zu erwarten ist. Zwar weisen die Hersteller darauf hin, dass es bei diesen Werten zunächst um einmalige und deshalb fehleranfällige Tests gegangen sei. Den Tests sollten weitere folgen. Doch sollten sich die Werte auch in den weiteren Messungen bestätigen, könnte das für die Autohersteller teuer werden. Bislang lehnt etwa Volkswagen eine Entschädigung europäischer Kunden ab. Müssten jedoch Verbrauchswerte korrigiert werden, wird der Druck wachsen. Bei starken Abweichungen könnten Kunden möglicherweise gar die Rücknahme von Fahrzeugen verlangen. Das Bundesverkehrsministerium hatte bereits eingeräumt, dass der Kraftstoffverbrauch "ein wichtiges Kriterium bei der Kaufentscheidung für einen neuen Pkw" ist. Zudem wird die Kfz-Steuer nach dem CO₂-Ausstoß berechnet. Auch dem Staat könnten damit Einnahmen entgangen sein.

Für die Hersteller geht es um viel. Schließlich haben fast alle große Mühe, die offiziellen CO₂-Emissionsziele der EU zu erreichen, wonach die Werte der Pkw-Fahrzeugflotten im Schnitt von heute 130 Gramm CO₂ pro Kilometer bis 2020/21 auf 95 Gramm sinken müssen. Sonst drohen saftige Strafen. In der Opposition wächst der Ärger über die Abgasaffäre und ihre schleppende Aufklärung: "Dass der tatsächliche Spritverbrauch eines Autos nichts mit den Herstellerangaben zu tun hat, ist leider nicht mehr überraschend für einen Autokäufer", sagt der Grünen-Fraktions-Vize Oliver Krischer. Die Hersteller gäben für den Verbrauch etwa vier Liter auf 100 Kilometer an, tatsächlich verbrauche der Wagen aber nicht unter 5,5 Liter - selbst bei sparsamster Fahrweise. Ursache sei der völlig unrealistische, im Labor gemessene Fahrzyklus, der nichts mit dem Normalverbrauch eines Autos zu tun habe.

Audi wirft Fragen auf

Die US-Umweltbehörde EPA nimmt eine möglicherweise illegale Software-Funktion in Modellen der VW-Tochter Audi einem Medienbericht zufolge genauer unter die Lupe. In der kommenden Woche müssten hochrangige Techniker des VW-Konzerns bei der EPA antreten, schreibt die Bild am Sonntag. Auch das US-Justizministerium hat demnach mehrere Audi-Ingenieure vorgeladen.

In Deutschland hat sich derweil das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in die Vorgänge bei Audi eingeschaltet. Es geht um den Vorwurf, das Unternehmen habe CO₂-Messwerte manipuliert. Offenbar konnten - wie berichtet - einige Audi-Modelle mittels einer sogenannten Lenkwinkel-Erkennung feststellen, ob sie auf einem Rollenprüfstand sind und schalteten dann in einen "saubereren" Fahrmodus. Erst im Mai 2016 habe Audi den Einsatz der Software gestoppt.

Bei Audi hieß es am Sonntag, aufgrund der laufenden Gespräche mit den Behörden in den USA können man sich lediglich zu der Situation in Europa äußern. Dem KBA wurden technische Informationen zur Verfügung gestellt. "Weitere Gespräche mit dem KBA werden folgen." dpa

Das Ministerium hält sich mit Details zurück

Verkehrsminister Dobrindt hatte bereits im Frühjahr angekündigt, dass die Abgas-Untersuchungskommission seines Ministeriums ihre Arbeit nach der Prüfung von Stickoxiden auch auf CO₂ ausdehnen soll. "Unsere Arbeit ist noch nicht zu Ende", hatte er erklärt. Doch seitdem lässt die offizielle Veröffentlichung der Messdaten auf sich warten. Im Mai hatte das Ministerium zumindest bestätigt, dass 30 Fahrzeuge auffällige Werte aufwiesen; die Untersuchungen liefen noch. Details zu den Messungen - wie etwa betroffene Hersteller - nannte man bislang jedoch nicht. "Die auffälligen Fahrzeuge sind einer eigenen CO₂-Untersuchung zugeführt worden", erklärte ein Sprecher am Wochenende. Ergebnisse würden nach Abschluss der Untersuchungen veröffentlicht.

Volkswagen äußerte sich auf eine Anfrage nicht. Audi erklärte, man könne die Daten nicht kommentieren. "Wir haben leider keine Kenntnis über die Messrandbedingungen und das Messverfahren, die zu den von Ihnen zitierten Werten geführt haben." Es gebe viele Faktoren, die zu unterschiedlichen Messwerten führen könnten. Auch Opel erklärte, man könne sich dazu nicht äußern.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: