Ab in die Ferien:Von Löwen und Kontrollfreaks

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Brauchen Arbeitnehmer einen richtig langen Urlaub? Entspannt Nichtstun am besten? Und was kann schon dabei sein, regelmäßig seine Mails zu checken? Sieben Irrtümer.

Von Alexander Hagelüken

Moderne Wohlstandsgesellschaften stehen im Verdacht, die einfachsten Dinge zum Problem aufzublasen. Zum Beispiel kann es doch nicht so schwer sein, sich durch Sommerferien vom Berufsalltag zu erholen? Urlaub einreichen, wegfahren, fertig. So dachte der leitende Angestellte W., als er im Juli nach hektischen Arbeitswochen nach Italien aufbrach.

In Ligurien angekommen, fühlte er sich die ersten Tage erschöpft, krank, übellaunig. Frau und Kinder waren enttäuscht. Wie kann es sein, dass man mehr streitet, wenn man endlich Zeit füreinander hat? Als es ihm besser ging, blieb weniger Muße als gedacht für die eingepackten Historienromane und das Planschen mit den Söhnen. Das Projekt, klar. Telefonieren, E-Mails beantworten. Alle paar Stunden auf dem Handy kontrollieren, was Neues von einem erwartet wird. Nach zwei Wochen in Italien hatte er keinen neuen Elan, aber im Büro einen Haufen neuer Aufgaben.

"Den Menschen fällt es schwerer als früher, sich zu erholen", diagnostiziert Jessica de Bloom. "Durch Laptops und Smartphones sind sie immer und überall einsatzfähig. Und Arbeitgeber überschreiten einfacher Grenzen", sagt die Psychologin, die an der Universität Tampere Gesundheit und Beruf erforscht. Vacatio, Urlaub als Befreiung vom Job, kannten schon die Römer. Nur weil etwas lange existiert, müssen es die Menschen aber nicht beherrschen. Forscher wie de Bloom haben inzwischen eine Menge darüber zusammengetragen, wie Ferien gelingen - und was sich an Irrtümern verfestigt hat.

Irrtum 1: Überflieger brauchen keine Ferien

56 Prozent der Deutschen fühlen sich nach einer Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbundes im Beruf oft unter Zeitdruck oder gehetzt. Stress entsteht durch die Arbeitsmenge und das Tempo, aber auch durch Ärger mit Kollegen, Vorgesetzten oder Kunden. Zahlreiche Untersuchungen demonstrieren, dass Stress der Gesundheit schadet, ob physisch oder psychisch. Gleichzeitig erholen sich Beschäftigte abends und am Wochenende oft nur unzureichend, weil sie noch Berufliches erledigen oder über den Job grübeln. Als Gegenpol ist entspannender Urlaub für jeden wichtig, urteilt Carmen Binnewies, Arbeitspsychologin an der Uni Münster. Ohne Erholung droht ein Teufelskreis aus Erschöpfung und einem Mangel an Energie für Aktivitäten, der zu Depressionen und Burn-out führen kann.

Die Firma kann sich dann nur kurz an dem allzeit bereiten Überflieger freuen: "Wer sich nicht erholt, leistet generell weniger", erläutert Binnewies. Noch existenzieller wird es für den Beschäftigten selbst. Die neunjährige Begleitung von 13 000 mittelalten Amerikanern mit Herzrisiken, also einer sehr großen Gruppe, ergab: Je seltener einer Ferien macht, desto eher erkrankt er. Und desto früher wird er sterben.

Irrtum 2: Guter Urlaub beginnt am ersten freien Tag

Einfach wie der Angestellte W. in die Ferien zu reisen garantiert keine Erholung. Jeder Dreißigste wird gleich krank, ermittelten Wissenschaftler der Uni Tilburg. Bei manchem fährt das Immunsystem herunter. Andere belasten die Stresshormone aus der Bürohetze. Die Hormone entstanden, damit unsere Vorfahren mit Löwen kämpfen oder wenigstens vor ihnen fliehen konnten. Deshalb lassen sie sich am besten wie damals abbauen: durch Bewegung, die dem Büromenschen schnell fehlt. Also geht er vor dem Urlaub mal zum Sport.

Und bleibt ein, zwei Tage zu Hause, bevor er losfliegt. In den letzten Arbeits- und den ersten Ferientagen maß die Universität Wien erhöhten Blutdruck, weil die Probanden durch Überstunden, Kofferpacken und anderes Belastung auf Belastung türmten. Damit der Urlaub nicht als Gesundheitsrisiko beginnt, ist es besser, die Abreise in Ruhe zu Hause vorzubereiten. Dazu gehört auch, mit Partnern und Kindern zu besprechen, was jeder von den Ferien erwartet, damit nicht gleich am Strand der Streit ausbricht.

Ganz entscheidend ist es, vorher die berufliche Arbeit zu kanalisieren. Was muss wirklich noch vor den Ferien geschafft sein? Wer kann einen vertreten und Aufgaben übernehmen? Urlaubsforscher empfehlen, nicht alles mit sich selbst auszumachen, sondern rechtzeitig mit den Kollegen darüber zu reden. Wer alles selbst in der Hand behalten muss, ist kein Mitarbeiters des Monats, sondern ein Kontrollfreak. Und Unerledigtes erschwert, am Ferienort abzuschalten.

Irrtum 3: Wer gern arbeitet, dem tut das immer gut

Nach Umfragen arbeitet jeder zweite Manager im Urlaub. Generell bekommen vier von zehn Beschäftigten in den Ferien berufliche Anfragen. Und viele halten das für gar kein Problem. "Mir macht die Arbeit Spaß, dann kann sie doch auch im Urlaub keine Belastung sein", hört Carmen Binnewies von solchen Menschen. Die Professorin widerspricht dann: Arbeit ist schlecht für die Erholung, unabhängig davon, ob sie Spaß macht. Genauso wie zu wenig Schlaf schlecht ist. "Für die Entspannung zählt, dass jemand von der Arbeit abschaltet", sagt Binnewies.

Das Abschalten fällt einfacher, wenn einer tatsächlich wegfährt. Und schwerer wird es nicht nur, wenn er im Urlaub stundenlang an Beruflichem werkelt. Sondern auch, wenn er seine Zeit elektronisch durchlöchert. In einer noch unveröffentlichten Studie ermittelte Binnewies mit ihren Kollegen: Je mehr einer im Urlaub sein Smartphone benutzt, desto schlechter kann er abschalten. Vor allem, wenn es mit dem Beruf zu tun hat. Es macht auch keinen Unterschied, die E-Mails nur zu lesen und nicht zu beantworten. Selbst wer im Liegestuhl sitzt und mit Kollegen per Chat über den Chef lästert, hat zu wenig Distanz zum Job. Wer unbedingt arbeiten muss, sollte es strikt kontrollieren, in dem er etwa einmal am Tag online geht.

Irrtum 4: Nichtstun ist die beste Erholung

Nicht arbeiten also. Aber was entspannt am besten, am Strand ein Buch lesen oder joggen? Ganz egal, sagt Jessica de Bloom. Entscheidend ist, dass einer mit den Ferien wirklich zufrieden ist. Dazu kann Faulenzen genauso beitragen wie ein Marathonlauf, solange der Urlauber mit letzterem nicht Leistungszielen wie im Beruf nachhechelt. Erholend wirkt das Gefühl, etwas Neues, Nicht-Berufliches zu meistern wie eine andere Sprache. Und gut für die Erholung ist, sich selbstbestimmter zu erleben als im Arbeitsalltag. Das heißt im Urlaub: Dinge tun, die man wirklich will - und nicht nur das, was der Partner oder die Kinder mögen.

Abschalten ist wichtig: Ohne Erholung droht ein Teufelskreis aus Erschöpfung und einem Mangel an Energie. (Foto: Bernd Wilhelm)

Jede Entspannung lässt sich zerstören, wenn einer den Urlaub mit Erwartungen vollstopft. Etwa mit dem Ziel, alle Sehenswürdigkeiten abzuklappern oder den romantischsten Moment aller Zeiten zu erleben. "Viele Paare trennen sich nach dem Urlaub", warnt de Bloom lachend.

Irrtum 5: Hauptsache, vier Wochen weg

Sich möglichst lange von der Arbeit auszuklinken ist ein Wert an sich. Die Erholungseffekte halten nach den meisten Studien aber nicht länger an, wenn jemand vier Wochen wegfährt statt zwei. Urlaub funktioniert wie Schlaf: Man kann ihn schlecht auf Vorrat bunkern. Wie viele Wochen die Erholung anhält, hängt von anderen Faktoren ab. Etwa davon, ob man bei der Abreise und Ankunft Stress vermeidet. Und wie man wieder mit der Arbeit anfängt. Wissenschaftler empfehlen, durch Vertretungsregeln zu verhindern, dass sich in der Abwesenheit das Unerledigte aufgetürmt hat. In die ersten Arbeitstage sollte der Beschäftigte nicht zu viele Termine legen. Außerdem: Wer anfangs Überstunden vermeidet und sich an den Abenden der ersten Tage bewusst entspannt, verlängert den Erholungseffekt, stellten die Forscherinnen Jana Kühnel und Sabine Sonnentag fest. Und wer seinen ersten Arbeitstag auf einen Mittwoch legt statt auf den üblichen Montag, schenkt sich zum Start eine kurze Woche.

Die Forschungen zum vermeintlichen Goldstandard der vierwöchigen Ferien legen auch nahe: Es erholt mehr, öfter im Jahr Auszeiten zu nehmen als alles für den einen großen Sommerurlaub aufzuheben.

Irrtum 6: Urlaub macht unproduktiv

Kreativität zeigt sich auf unterschiedliche Weise. Wie viele Ideen einer hat, ob sie unterschiedlich sind - und, ob sie bahnbrechende Originalität beweisen. Jessica de Bloom hat in einer Studie ermittelt, dass Urlaub keineswegs faul macht, sondern die Kreativität steigert. Zwar nicht den Typus Originalität: "Ein Trip nach Kalifornien macht aus niemandem einen Steve Jobs." Aber: Wer einen erholsamen Urlaub hinter sich hat, liefert dem Arbeitgeber mehr unterschiedliche Ideen.

Irrtum 7: Weil wir viel frei haben, hängen uns USA und Japan ab

Andere Nationen gewähren ihren Arbeitnehmern halb so viel Urlaub wie die Deutschen - oder noch weniger. Weil aber zum Beispiel Amerikaner und Japaner in der Regel unproduktiver zu Werke gehen, ist das für die deutsche Volkswirtschaft kein ernsthaftes Problem. In Japan denkt die Regierung darüber nach, Beschäftigte zu verpflichten, mindestens fünf Tage bezahlten Urlaub im Jahr zu nehmen.

Ein Drittel aller Suizide in dem Land werden darauf zurückgeführt, dass die Betroffenen überarbeitet sind.

© SZ vom 01.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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