Zoff um Hartz-IV-Sätze:Arm - was heißt denn das?

Hat Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen bei der Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze für Erwachsene getrickst? Neues Datenmaterial zeigt: Die Leistungen für die knapp fünf Millionen erwachsenen Hartz-IV-Empfänger könnten deutlich höher ausfallen - wenn die Regierung ihre Berechnungsmethode verändert.

Thomas Öchsner

Die Wohlfahrtsverbände hatten nie einen Zweifel: Seit Monaten werfen sie Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) vor, bei der Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze für Erwachsene getrickst zu haben. Ihr Generalverdacht: Mehr als das kärgliche Plus von fünf Euro pro Monat ist nur deshalb nicht herausgesprungen, weil die Bundesregierung sparen will. Ein Vorwurf, den von der Leyen stets vehement abstritt. Nun liefert das Datenmaterial, das das Arbeitsministerium der Opposition zur Verfügung gestellt hat und das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, neuen Zündstoff für die Debatte: Daraus ergibt sich, dass die Leistungen für die 4,8 Millionen erwachsenen Hartz-IV-Empfänger deutlich höher ausfallen würden, wenn die Regierung ihre Berechnungsmethode verändert. Statt der geplanten Erhöhung von 359 auf 364 Euro wären dann 394 Euro drin, also insgesamt 35 Euro zusätzlich.

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Fünf Euro mehr sollen Hartz-IV-Empfänger erhalten - zu wenig, sagen die Wohlfahrtsverbände.

(Foto: dapd)

Die Hartz-IV-Sätze werden von Erhebungen des Statistischen Bundesamtes abgeleitet. Es ermittelt anhand seiner Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS), wofür Haushalte Geld ausgeben. Insgesamt geht es dabei um knapp 200 Positionen, von Nahrungsmitteln bis zur Praxisgebühr beim Arzt. Entscheidend ist dabei, welche Vergleichsgruppe der nach Einkommen geschichteten Ein-Personen-Haushalte herangezogen wird.

Das Arbeitsministerium rechnete zunächst die Hartz-IV- und Sozialhilfe-Bezieher selbst heraus, um sogenannte Zirkelschlüsse zu vermeiden. Dann zog es die übrigen einkommensschwächsten 15 Prozent der Haushalte heran, um den Hartz-IV-Satz zu ermitteln. Bislang dienten aber nach Herausnahme der Sozialhilfeempfänger jeweils die unteren 20 Prozent als Basis. Ein finanziell gewichtiger Unterschied: Denn die Gruppe der unteren 15 Prozent hat logischerweise ein geringeres Einkommen als die unteren 20 Prozent der Haushalte. Die SPD-geführten Länder, auf deren Stimmen das Regierungslager für die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze angewiesen ist, forderte deshalb das Arbeitsministerium auf, neu zu rechnen: mit der Variante für die untersten 20 Prozent. Außerdem sollen zusätzlich vorher die "Aufstocker" herausgenommen werden, also Hartz-Empfänger, die staatliche Grundsicherung erhalten und einen Mini-, Teilzeit- oder Vollzeitjob haben. Schließlich unterscheidet sich das Lebensniveau dieser Menschen, die dazuverdienen, kaum von denen, die allein von Hartz IV leben. Die Rohdaten dieser Neuberechnung liegen nun vor. Und anhand dieser hat der Paritätische Wohlfahrtsverband errechnet: Der neue Hartz-IV-Satz würde demnach 394 Euro und nicht 364 Euro betragen.

Die Opposition fühlt sich dadurch in ihrer Kritik bestätigt: "Wir vermuten, dass bei der Neuberechnung der Regelsätze sehr stark nach der Haushaltslage entschieden wurde", sagte die stellvertretende SPD-Chefin, Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Manuela Schwesig. Sie fordert von der Leyen auf, selbst den Regelsatz anhand der veränderten Berechnungsmethode zu ermitteln und zu begründen, warum sie sich bislang "für die billigere Rechenvariante entschieden hat".

Das Arbeitsministerium hat Kritik an der 15-Prozent-Marke bislang stets zurückgewiesen. Schließlich habe man vorher 8,6 Prozent der Ein-Personen-Haushalte, nämlich alle Empfänger von Hartz IV, Sozialhilfe oder Grundsicherung im Alter, herausgerechnet. Die Berechnungen, heißt es im Hause von der Leyen, seien "unbestechlich".

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