Weltwirtschaftsforum Davos:Alles gut? Noch lange nicht!

Es ist bemerkenswert, mit wie viel Optimismus das Treffen der Mächtigen aus Politik und Wirtschaft in Davos begann. Doch je länger das Weltwirtschaftsforum dauert, desto größer ist die Irritation vieler Teilnehmer über die Zuversicht. Die EZB habe der Politik doch nur Zeit gekauft, heißt es. Die Gefahr sei groß, dass die Politiker sie nicht nutzten.

Von Lutz Knappmann, Davos

Die schwarzen Limousinen sind schon fast verschwunden. die Straßensperren, die schwerbewaffneten, nervösen Soldaten und Polizisten ebenso: Davos, eben noch einer der bestbewachten Orte der Welt, gehört schon fast wieder den Skifahrern. Die Teilnehmer des Weltwirtschaftsforums wirken in diesem abgeschotteten, goldenen Käfig der Wirklichkeit der Finanzkrise entrückt. Und doch: Die Krise beherrscht alles.

Vordergründig herrscht dabei ein bemerkenswerter Optimismus in den Diskussionen und auf den Fluren des WEF. Teilnehmer wie Martin Wolf, Chefökonom der Financial Times, beobachten einen "Seufzer der Erleichterung". In Europa hat die EZB die Geldschleusen geöffnet, die Finanzmärkte haben sich beruhigt, die Zinsen für Anleihen von Schuldenstaaten sinken. Alles wird gut, so scheint es.

Doch mit jedem Tag, den das Forum andauert, sickert ein wenig mehr Realität in den idyllischen Graubündner Hochsicherheitstrakt. Das "aber" in den Vorhersagen rückt wieder in den Vordergrund.

"Unsere Prognose zeigt Ansätze einer zerbrechlichen und ängstlichen Erholung", sagt IWF-Chefin Christine Lagarde über den aktuellen Wirtschaftsausblick des internationalen Währungsfonds. Und sie wiederholt ihr Mantra, dass die Regierungen Europas in ihren Reformanstrengungen nicht nachlassen dürften.

"Ich bin sehr beunruhigt"

Ähnlich warnt der kanadische Zentralbankgouverneur Mark Carney mit Blick auf Europa: "Es gibt langfristige Risiken. Und die Maßnahmen der Zentralbank waren für die Entwicklung zwar wichtig, aber nicht alles entscheidend." Carney wird im Juli den Vorsitz bei der Bank of England übernehmen. Er liefert schon jetzt deutliche Hinweise darauf, dass er die Politik der Bank revolutionieren könnte: Ihr soll künftig eine wichtigere Rolle bei Belebung der britischen Wirtschaft zukommen.

Und dann spricht Angel Gurria. Der Präsident der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) geht mit Europa hart ins Gericht: Europa und besonders die EZB hätten mit den Rettungsmaßnahmen ihren Spielraum aufgebraucht. "Ich bin sehr beunruhigt", sagt Gurria. "In Europa steigt die Arbeitslosigkeit immer noch." Notwendig seien grundlegende strukturelle und soziale Reformen. Und ein ökologisches Umdenken. "Wir sind auf Kollisionskurs mit der Natur", warnt Gurria. "Die Krise hat uns abgelenkt von den Problemen, um die wir uns eigentlich kümmern sollten."

Solche Stimmen sind immer häufiger zu hören, je länger das WEF dauert. Die auffallend positive Stimmung zum Konferenzauftakt, irritiert die Teilnehmer zusehends. "Wir haben sehr große, generationsübergreifende Probleme: die Verschuldung, Energiekosten und die Zerstörung der Umwelt", sagt Mark Spelman, Strategiechef der Unternehmensberatung Accenture zu Süddeutsche.de.

"Das sind sehr reale Probleme." Zumal die Krise in Europa bei weitem noch nicht gelöst sei. "Die nächste Herausforderung sind die Reformprogramme. Und es wird wichtig sein, dass dort Klarheit herrscht über die Art und den Zeitplan für diesen Prozess", sagt Spelman. "Es hat ein Jahrzehnt gedauert, den Schuldenberg aufzutürmen. Es wird ein weiteres Jahrzehnt brauchen, ihn abzubauen."

"Die EZB hat den europäischen Politikern Zeit gekauft" sagt der Volkswirt einer großen Bank. Die Gefahr sei groß, dass sie sie nicht nutzten. Auch die aufwändig behütete Idylle der Schweizer Alpen täuscht am Ende nicht mehr darüber hinweg: Das Schlimmste der Krise ist vielleicht überstanden. Doch die Aufarbeitung der Ursachen hat gerade erst begonnen.

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