Protokolle aus Zypern:"Das haben die Politiker in Nordeuropa mit Absicht gemacht"

Ein Land in Schockstarre: Die Banken sind seit Tagen geschlossen, das Parlament hat die EU-Pläne zur Rettung Zyperns abgelehnt und kaum jemand weiß, wie es in dem Mittelmeerstaat weitergehen soll. Viele Zyprer sind ratlos - und suchen die Schuld bei Deutschland.

Protokolle von Vanessa Steinmetz

Wie geht es in Zypern weiter? 5,8 Milliarden Euro muss die Regierung auftreiben, um noch an das Rettungspaket der Euro-Gruppe zu kommen. Doch nachdem das Parlament die umstrittene Zwangsabgabe für zyprische Bankkunden abgelehnt hat, herrscht Ungewissheit. Vor allem die Generation, die gerade im Arbeitsleben angekommen ist, belastet die unklare Situation. Auswandern? Geld horten? Oder einfach optimistisch bleiben? Junge Zyprer schildern ihren Blick auf die Krise.

Nick, 29, Architekt

Die vergangenen Tage war ich extrem gestresst und konnte mich nicht auf die Arbeit konzentrieren, weil ich mir Sorgen um meine Zukunft gemacht habe. Bis Freitag habe ich immer gedacht, in ein paar Jahren wird alles wieder gut sein, aber nun wird alles noch schlimmer. Ob das Parlament nun für oder gegen die Pläne der EU stimmt, macht für mich keinen Unterschied. Die Wirtschaft in Zypern ist auf jeden Fall zerstört.

Ich habe mich erst vor drei Jahren selbstständig gemacht. Jetzt gehe ich davon aus, dass alle meine Kunden ihre Projekte auf Eis legen werden und ich meine Firma aufgeben muss. Deshalb habe ich beschlossen, auszuwandern. Vielleicht nach London, dort habe ich schon mal für ein paar Jahre gelebt. Ich habe viele Freunde, die auch darüber nachdenken, das Land zu verlassen, weil sie bald arbeitslos sein werden. Der Arbeitgeber meines Vaters sagte ihm, er müsse nicht mehr zur Arbeit kommen, weil er ihn am Ende der Woche nicht wird bezahlen können. Meine Eltern sind genauso besorgt wie ich, aber sie können nicht einfach die Sachen packen und gehen.

Was am Freitag passiert ist, hat unseren Finanzsektor zerstört. Das haben die Politiker in Nordeuropa mit Absicht gemacht. Sie wollen, dass die Investoren ihr Geld in anderen Ländern anlegen, in Malta oder Deutschland zum Beispiel. Ich glaube, dass Deutschland viel von dem Geld möchte. Deshalb fühle ich mich von der EU betrogen. Wenn man einen Freund hat, und der nach Hilfe fragt, fällt man ihm nicht in den Rücken.

Marianna, 30, Angestellte im Bildungsministerium

Das, was in den vergangenen Tagen hier passiert ist, hat mich geschockt und ängstlich gemacht. Die Menschen sind panisch. Wir gehen jeden Tag zu den Bankautomaten und heben Geld ab. Bis zu 500 Euro können wir von unseren Konten holen, Beträge darüber sind eingefroren. Das Geld bunkern wir dann zu Hause. Ich mache mir Sorgen um meine Rücklagen und die Investitionen meiner Familie. Um meinen Job mache ich mir weniger Gedanken, weil ich festangestellt bin. Aber meine Schwester beispielsweise hat vor zwei Monaten ihre Arbeit verloren und noch nichts Neues gefunden. So geht es vielen.

"Alles ist kollabiert"

Noch dazu warten wir alle darauf, dass etwas passiert und wissen nicht, ob doch noch eine Zwangsabgabe eingeführt werden soll. Die Pläne haben Zypern in eine Angststarre versetzt. Unser Finanzsektor ist, zusammen mit dem Tourismus, die wichtigste Säule unserer Wirtschaft, und die wird gerade zerstört. Ich sehe nicht, wie wir in Zukunft noch eine gesunde Wirtschaft haben sollen. Wir haben eigentlich nur noch die Wahl zwischen einem gewaltigen Schaden und einer totalen Katastrophe.

Das ist meiner Meinung nach alles einem politischen Kalkül geschuldet, das sich zum einen gegen die russischen Investoren richtet. Zum anderen will sich Angela Merkel damit für die Bundestagswahl hervortun. Wir fühlen uns unfair behandelt.

Konstantinos, Musikproduzent

Ich habe neun Jahre im Ausland gelebt und viele Zugeständnisse gemacht, um wieder zurück nach Zypern zu kommen. Seit einem Jahr bin ich jetzt hier bei meiner Familie - und in dieser Zeit ist alles kollabiert. Ich bin als Musikproduzent selbstständig und daher auf Aufträge angewiesen. Ich arbeite zwar noch, aber ich verdiene jetzt gerade noch ein Viertel von dem, was ich vor einigen Monaten noch bekommen habe. Insofern haben mich die neuesten Entwicklungen gar nicht so sehr getroffen, es geht mit der Wirtschaft hier ja schon viel länger bergab.

Trotzdem macht mich das alles unglücklich. Nicht, weil ich Angst um meine Ersparnisse habe, sondern weil viele Menschen die Probleme in Zypern immer noch nicht sehen wollen. Niemand versucht, eine Lösung zu finden. Stattdessen suchen sie nach jemandem, dem sie die Schuld dafür geben können.

Zypern ist ruiniert. Nicht, weil diese oder jene Entscheidung getroffen wurde, sondern weil die Banken mit unserem Geld spekuliert haben. Für mich gehören die Menschen, die dafür verantwortlich sind, eingesperrt.

Konstantinos, 27, Unternehmer

Schon seit einiger Zeit bekommen wir hier die Krise zu spüren, etwa weil es in einigen Geschäften nicht mehr alles zu kaufen gibt. Aber wir achten auch mehr darauf, wofür wir unser Geld ausgeben. Ich habe eine kleine Firma für Bürobedarf und wir merken schon seit einiger Zeit, dass die Nachfrage zurückgeht. Seit drei Tagen stagniert alles.

Ich war sehr froh über die Entscheidung des Parlaments, die Zwangsabgabe nicht einzuführen. Zwar mache ich mir weniger Sorgen um meine Ersparnisse, aber ich möchte wissen, wie es mit Zypern weitergehen und wie die Wirtschaft hier wieder stabilisiert werden soll. Eine Lösung habe ich dafür nicht. Deshalb bin ich ja auch kein Politiker geworden. Aber ich vertraue den Politikern und dem, was sie entscheiden. Wir haben diese Leute gewählt und können erwarten, dass sie in unserem Sinne handeln. Die Entscheidungen der EU sind hingegen nicht unbedingt im Interesse der Menschen hier.

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