Proteste im Nahen Osten:Geschäftsziel Freiheit

Wenn es um Menschenrechte geht, stellen sich viele deutsche Firmen taub und blind - die Aufstände in Ägypten behandeln sie wie eine bloße Unpässlichkeit. Dabei könnten Unternehmen in autoritären Staaten zum Wandel beitragen.

Alexandra Borchardt

Eigentlich wissen sie, was sie tun. Die Reisekonzerne wissen, dass sie Urlauber in die Länder von Diktatoren fliegen. Die Autoproduzenten wissen, dass es dort, wo schöne Geschäfte zu machen sind, oft schreckliche Gefängnisse gibt. Und die Turnschuh- und T-Shirt-Unternehmen wissen um die Nöte der Näherinnen in den Fabriken ihrer Auftragsfertiger.

Auswärtiges Amt rät von Reisen nach Ägypten ab

Ein Angestellter eines Last-Minute-Reisebüros in Frankfurt nimmt Reiseangebote nach Ägypten aus seinem Angebot.

(Foto: dpa)

Allzu genau allerdings wollen viele Manager diese Dinge gar nicht wissen; geht es um Menschenrechte, stellen sich viele taub und blind. Dabei hat die Wirtschaft in einer globalisierten Welt besondere Macht überall dort, wo es gilt, die Kernwerte für ein friedliches Zusammenleben auf der Erde durchzusetzen. Und wer die Macht hat, trägt auch Verantwortung.

Unternehmen könnten Botschafter dieser Werte sein, mit Musterfabriken Fairness und menschenwürdige Arbeitsbedingungen in fragwürdige Länder tragen. Sie, die zwangsläufig mit Diktatoren und ihren Statthaltern verhandeln müssen, könnten Missstände benennen. Sie könnten ihre Investitionen an Bedingungen knüpfen: Eine neue Schule für jede Fabrik, jeden Hotelkomplex verlangen - und deren Bau unterstützen. Schließlich ist Bildung der stärkste Garant dafür, dass der Wunsch nach Mitsprache erwacht.

Die Firmen könnten sogar damit werben und auf diese Weise jene kaufkräftigen Konsumenten auf ihre Seite ziehen, die keine Produkte mögen, an denen die Tränen anderer kleben. Stattdessen halten es die meisten mit Herbert Hainer, dem dynamischen Adidas-Chef, der - zu den Olympischen Spielen in China befragt - einmal in einem Interview bekannte, Politik sei nicht seine Aufgabe. Sie warten lieber, bis es kracht, auch wenn sie nicht gerade darauf hoffen.

Schadensbegrenzung von Tag zu Tag

Im Nahen Osten kracht es nun, und die Reisekonzerne, die sich um ihre Urlauber-Magneten im südlichen Mittelmeer sorgen, tun das Übliche: Schadensbegrenzung von Tag zu Tag. Die Unternehmen handeln, als seien die Aufstände in Ägypten und Tunesien eine vorübergehende Unpässlichkeit, als habe ein Virus einen ansonsten gesunden Körper befallen, dessen Abwehrkräfte hoffentlich schnell wirken. Solange die Urlauber nicht akut gefährdet sind, so das Kalkül, geht möglichst alles weiter wie gehabt. Es muss schon eine offizielle Reisewarnung kommen, bis die Veranstalter ihre Kunden daheim behalten.

Schon aus Geschäftssinn setzen sie darauf, dass ihre "touristische Landkarte" intakt bleibt. Schüsse auf Demonstranten, Massenverhaftungen - hoffentlich alles bald vorbei und vergessen. Und hatte nicht sogar der Außenminister seine Weihnachtsferien in Ägypten verbracht? Nun sind Ägypten und Tunesien nicht Birma oder Nordkorea. Und wie sähe sie tatsächlich aus, diese touristische Landkarte, würde man darauf alle Länder schwärzen, in denen das Volk freie Wahlen, den Rechtsstaat, angemessene Löhne oder Arbeitsschutz vielleicht gerade mal aus dem Internet kennt? Wie wirkte eine Weltkarte mit allein den Ländern, die demokratisch lupenrein genug für ethisch vertretbare Investitionen sind?

Kein Wandel allein durch Handel

Wer jetzt von Reisenden fordert, alle politisch zweifelhaften Staaten zu meiden und von Unternehmen, ihre Gelder dort herauszuhalten, klingt zwar ungemein entschlossen, aber er macht es sich auch zu leicht. Denn gerade Konzerne haben Möglichkeiten, die Geschicke von Völkern zum Besseren zu wenden - mit etwas gutem Willen könnte man sie fast subversiv nennen.

Schließlich geht wie einst schon bei der Französischen Revolution der Kampf um Menschenrechte und Demokratie häufig von jenen Gruppen aus, die etwas zu verlieren haben: Die Urheber kommen meist aus der Mittelschicht. Vor allem sie ist gebildet genug, um zu ermessen, woran es fehlt, und sie hat sich einen kleinen Besitz erkämpft, für den es sich zu streiten lohnt.

Vorbilder in vielem

Investieren Konzerne also in fragwürdigen Ländern, schulen sie dort ihre Mitarbeiter und bezahlen sie gut, ermöglichen sie ihnen den Aufstieg in jene Schicht, der Menschenrechte und Demokratie etwas bedeuten könnten. Wer nichts hat, wird nach Brot verlangen. Wer gutes Brot bekommt, mag auch Appetit auf Kuchen entwickeln.

Unternehmen, die so agieren, haben schon einiges getan, denn der Handel allein bringt noch keinen Wandel, auch wenn viele Manager dies gerne glauben würden. Nur mit der Investition im fremden Land kauft sich noch niemand von seiner Verantwortung frei.

Westliche Unternehmen müssen aber noch in vielem anderen Vorbilder sein. Sie können auch in armen Ländern mit unterdrückten Bevölkerungen Standards im Menschenschutz, im Umweltschutz setzen, denen andere folgen. Sie können von lokalen Auftragnehmern verlangen, dass sie die Männer und Frauen am Fließband, die Näherinnen in der Textilfabrik, die Kellner im Hotel anständig behandeln und entlohnen.

Kürzlich, auf dem Treffen der weltweiten Wirtschaftselite in Davos, hätte es unter dem Eindruck der Bilder aus Ägypten eine Chance gegeben, all dies zu diskutieren. Doch die Manager haben das Thema gemieden. Über die Verantwortung der Wirtschaft wurde schon geredet - jene für den Klimaschutz. Viel wichtiger wäre es jedoch zuweilen, über Menschenschutz zu reden.

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