Papier-Wut im Amt:Bundesagentur macht Arbeit

129 Handlungsempfehlungen oder Geschäftsanweisungen, 118 E-Mail-Infos und 84 Verfahrensinformationen: Allein im vergangenen Jahr hat die Bundesagentur für Arbeit ihre Mitarbeiter mit fast 1000 Seiten Weisungen überflutet. Ein Referatsleiter schlägt Alarm: Die Zahl der Dokumente sei deutlich mehr, als die Sachbearbeiter verarbeiten könnten.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Was wirklich wichtig ist, lässt sich prägnant zusammenfassen. Die Realität sieht in vielen Unternehmen und Behörden meist anders aus. Es wird geschrieben, korrigiert und gemailt, was das Zeug hält.

Die Mitarbeiter in den 305 Jobcentern und 176 Arbeitsagenturen haben die Wörter, die in Form von Anweisungen aus der Bundesagentur für Arbeit (BA) auf sie einprasseln, wahrscheinlich noch nie gezählt. Doch nun hat die Nürnberger BA erstmals offiziell dargelegt, was so alles an Papier und E-Mails aus der Zentrale kommt. Und das ist für so manchen Sachbearbeiter offenbar ein bisschen viel.

In der Antwort auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sabine Zimmermann (Die Linke) steht, dass die Bundesagentur allein in diesem Jahr bis Ende November 346 Weisungen veröffentlicht hat. Darunter hätten sich 129 Handlungsempfehlungen oder Geschäftsanweisungen, 118 E-Mail-Infos und 84 Verfahrensinformationen befunden. Und weiter heißt es in der Antwort: "Die Weisungen hatten insgesamt einen Umfang von 921 Seiten nebst 8105 Seiten Anlage."

Nun muss kein Mitarbeiter alles lesen oder gar im Kopf behalten. Trotzdem macht sich das bayerische Sozialministerium mittlerweile Sorgen ob der Papierflut. Dessen Referatsleiter für die Grundsicherung (Hartz IV) schrieb in einer E-Mail, die bundesweit die Runde machte: Die Zahl der Dokumente sei deutlich mehr, als die Sachbearbeiter verarbeiten könnten. Außerdem merkte er an: "Neben der täglichen Arbeit mit Einzelschicksalen, für die ohnehin nicht immer genügend Zeit investiert wird, ist es einfach nicht möglich, zusätzlich eine solche Informationsflut zu bewältigen, wie sie von der Zentrale der BA ausgeht."

Bundesagentur räumt Informationsdichte ein

Auch in den für die Hartz-IV-Empfänger zuständigen Einrichtungen wird über die Informationsflut geklagt. In einem Arbeitspapier der Jobcenter von Nordrhein-Westfalen heißt es: Die Anzahl der Rechtsgrundlagen, die Mitarbeiter bei der Auszahlung von Leistungen beachten müssten, seien "zunehmend deutlich schwieriger verständlich". Das Sozialleistungssystem werde "ein Buch mit sieben Siegeln". Linke-Politikerin Zimmermann sieht in der Weisungsflut "einen Ausdruck von Detailverliebtheit, Überreglementierung und Kontrolle". Dies binde erhebliche Zeitressourcen der Vermittler, "die nicht mehr für die Arbeit mit Betroffenen zur Verfügung stehen".

Die Bundesagentur kennt die Vorwürfe. Eine Sprecherin räumt ein: "Die Informationsdichte für die Kollegen ist sehr hoch." Sie verweist aber darauf, dass seit 2008 "die Regelungsdichte mehr als halbiert wurde". Die BA wolle die Mitarbeiter nicht durch unnötige Information belasten. Die Behörde habe jedoch keinen Einfluss auf die neue Rechtsetzung und Rechtsprechung, welche die BA kommunizieren müsse. Man setze sich für eine Entbürokratisierung von Hartz IV ein und sei hier "in einem guten Dialog mit der Politik", sagt die Sprecherin. Die Mitarbeiter dürfen also auf weniger Seiten hoffen.

Anmerkung der Redaktion: Eine frühere Version dieses Artikels enthielt Zahlen zum Inhalt einer angeblichen EU-Verordnung. Diese Verordnung existiert allerdings nicht, sondern geht auf ein lediglich ironisch gemeintes Zitat zurück. Wir haben diesen Fehler korrigiert und bitten, ihn zu entschuldigen.

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